Knappheit war schon immer ein wichtiges Prinzip für Luxusmarken auf der ganzen Welt und kann durchaus auch auf viele Nichtluxusmarken angewendet werden. Beim Knappheitsprinzip geht es darum, dass Menschen dazu neigen, Dingen einen höheren Wert beizumessen, von denen sie annehmen, dass sie selten oder begrenzt sind – oder es tatsächlich auch sind. Während Luxusmarken das Knappheitsprinzip oft als eine der Schlüsselstrategien nutzen, kann jedes Unternehmen, jede Marke oder jeder Experte dieses Prinzip effektiv auch für sich verwenden – zum Beispiel, um die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen zu steigern, höhere Margen zu erzielen oder die Kundenbindung zu verbessern.
Autor_Markus Kramer
Wie funktioniert Knappheit in einem Luxusgeschäftsmodell? Es gibt zwei Hauptarten von Knappheit: die echte Knappheit und die wahrgenommene Knappheit. Echte Knappheit entsteht durch reale, oft physische Limitierung, zum Beispiel den Einsatz von seltenen Materialien, begrenzte Ressourcen wie menschliches Können und Geschick oder die eigene Zeit und Energie. Und dann natürlich durch die Preisgestaltung, die oft so weit geht, dass sich Produkte umso besser verkaufen, je teurer sie sind. Ein scheinbarer Gegensatz, der gegen das Gesetz von Angebot und Nachfrage verstösst. In der Luxusbranche nennt man das den Veblen-Effekt. Zurück zu einem konkreten Beispiel: Die Schweizer Luxusuhrenmarke Richard Mille verwendet Materialien wie Graphen, Carbon TPT und andere fortschrittliche Verbundwerkstoffe, um extrem leichte und langlebige Uhren herzustellen. Diese Materialien sind naturgemäss schwer zu beschaffen. Die wahrgenommene Knappheit hängt mit bewussten, geschäftlichen Entscheidungen zur Einführung von Beschränkungen zusammen. Beispielsweise werden die Accessoires von Dunhill als knapper und exklusiver wahrgenommen als die von S.T. Dupont, da Dunhill nicht so viele Geschäfte auf der Welt hat. Pagani hat sein Modell Huayra auf insgesamt nur 100 Exemplare limitiert. Luxus-Whisky-Marken wie Laphroaig und Bunnahabhain stellen exklusive Flaschen für den Reise-Einzelhandel her, die nur in wenigen Duty-Free-Shops an ausgewählten Flughäfen auf der ganzen Welt erhältlich sind. Und so weiter. Was glauben Sie, wie viele offizielle Ferrari-Händler es in London gibt? Zwei in Fussdistanz – sie gehören demselben Besitzer.
Aber bei Knappheit geht es nicht nur darum, weniger anzubieten. Im Gegenteil, es geht darum, mehr Wert, Faszination und Begehrlichkeit zu schaffen. Knappheit ist direkt oder indirekt mit Begriffen wie Verfügbarkeit, Zugänglichkeit, Exklusivität, Exotik, Einzigartigkeit, Wartelisten oder Individualisierung verbunden. Sie kann sich auf Raum (Vertrieb, Standorte), Zeit (begrenzt, Verfügbarkeit) oder Menge (seltene Materialien oder begrenzte Produktion) beziehen. Exklusiver und selektiver Vertrieb ermöglicht die Kontrolle der «Experience» eines Produkts oder einer Dienstleistung in ihrer kleinsten Granularität. Zeitliche Begrenzung, Verfügbarkeit von Produkten und Dienstleistungen, exklusive Vorpremieren, Wartelisten oder Ähnliches sind alles Mechanismen, die das Feuer der Begehrlichkeit schüren.
Knappheit als praktisches Prinzip
Die Rolle der Knappheit ist für Luxusmarken von grösster Bedeutung. Das Angebot darf nie grösser sein als die Nachfrage – die Grundlage des Luxuskonzepts. Im Geschäftsmodell von Luxusmarken muss die Nachfrage, ob tatsächlich oder vermeintlich, immer in einem starken Missverhältnis zum Angebot stehen. Auf operativer Ebene beschränken beispielsweise einige Luxusmarken den Vertrieb ihrer Produkte, während andere den Luxuskunden warten lassen. Wer seine Rolex Daytona bestellt, muss sich etwa drei Jahre gedulden. Selbst wenn ein Geschäft eine oder mehrere vorrätig hätte, wäre es schwierig, sie in die Auslage zu bekommen. Die Seltenheit oder Unverfügbarkeit von Dingen steigert die Begehrlichkeit bis zu einem Punkt, an dem der Preis allein nicht mehr ausschlaggebend ist. Ein naheliegender Ausweg ist daher, die Produkte einfach zu limitieren und ihren Preis zu erhöhen. Natürlich geht das nicht so einfach. Man sagt, dass Fabergé, der berühmte Juwelier, in den ersten Jahrzehnten seines Schaffens jedes Stück als Unikat herstellte. Selbst von den billigsten Stücken gab es keine einzige Kopie. Er hob das Prinzip der Knappheit auf eine ganz neue Ebene, sodass sogar die königliche Gesellschaft zu seinen Kunden zählte. Das Konzept funktioniert im Luxusbereich hervorragend, ist aber nicht nur im Hochpreissegment zu finden, sondern weitaus verbreiteter, als man denkt.Heutzutage wird das Prinzip der Knappheit in verschiedenen Branchen angewandt – von Fast Fashion, Einzelhandel, Gaming, Automobilindustrie bis hin zu Technologie, B2B und Dienstleistungen. Das Spektrum ist sehr breit. So arbeitet beispielsweise die Fast-Fashion-Marke H&M häufig mit High-End-Designern zusammen, um Kollektionen in limitierter Auflage herauszubringen. Diese Kooperationen erzeugen ein Gefühl von Exklusivität und Knappheit, da die Sonderkollektionen nur für kurze Zeit erhältlich sind und einen Ansturm von Kunden am frühen Morgen vor Ladenöffnung auslösen. Nike limitiert die Produktion bestimmter ikonischer Turnschuhmodelle – oft in Zusammenarbeit mit einem Superstar – und hat seine Vintage-Designs so gut vermarktet, dass sie zu sammelwürdigen Luxusartikeln geworden sind.Beim Gaming erhalten die Spieler Anreize in Form von Punkten, Token oder fiktiven Währungen, die nur begrenzt verfügbar sind. Tesla ist vorbildlich darin, von Luxusmarken zu lernen. Beispielsweise nutzt das Unternehmen einen exklusiven Vertrieb, indem es sich auf möglichst wenige oder gar keine Zwischenhändler verlässt, um seine Autos zu verkaufen. Interessanterweise kopieren viele neue Automarken den Ansatz, extrem niedrige Anzahlungen zu verlangen und dann «ausverkauft» von den Dächern zu rufen. Nur wenige wissen, dass die «250-US-Dollar-Anzahlung voll rückzahlbar und komplett unverbindlich» ist und den Grund für den vermeintlichen «Kaufrausch» medial antreibt. Ein anderes gutes Beispiel ist Apple. Millionen von Menschen auf der ganzen Welt sehnen sich nach dem nächsten Apple-Produkt und warten ungeduldig darauf, dass es in die Läden kommt. Die Nachfrage lässt sich an den langen Schlangen vor den Apple-Läden ablesen. Die ersten iPhones sind immer knapp. Deshalb warten die Kundinnen und Kunden auf die Modelle der zweiten Runde. Auch der neue KI-Assistent namens Rabbit war innerhalb der ersten 24 Stunden ausverkauft. Möchten Sie ChatGPT Pro für 20 US-Dollar pro Monat erhalten? Dann bitte gerne auf die Warteliste setzen lassen.Es geht nicht nur um physische Produkte oder Software. Auch qualifizierte Fachleute und Experten können rar sein. So gibt es nur sehr wenige Experten, die sich auf bestimmte Bereiche spezialisiert haben, zum Beispiel Coaches für Rohstoffhändler, Spezialisten für die Restaurierung von Oldtimern, Anwälte für den Kauf von Flugzeugen, Experten für SAP-Autogarantie-Module und so weiter. Diese Experten können den Preis für ihre Dienstleistungen bestimmen und entscheiden, mit wem sie zu welchen Bedingungen zusammenarbeiten und mit wem nicht, und nicht umgekehrt.Bei näherem Hinsehen gibt es viele Nichtluxusmarken und Dienstleistungsangebote in einer Vielzahl von Branchen, die das Prinzip der Knappheit effektiv nutzen. Damit generieren sie Aufmerksamkeit und Interesse, steigern die Nachfrage, erhöhen den Umsatz, behalten die volle Marge bei oder steigern sie sogar und schaffen eine dauerhafte Kundenbindung. Das Äquivalent aus Sicht des Employer Branding oder EVP (Employer Value Proposition) ist die Einführung von Zusatzleistungen, mehrjährigen Aktienoptionsplänen et cetera. Das ist nicht für jede und jeden – und gerade deshalb attraktiv. Und es ist schwer, sich davon zu trennen, wenn man sich einmal daran gewöhnt hat.Der Schlüssel zum Funktionieren von Knappheit ist Kommunikation. Es gibt einen Grund, warum Luxusmarken ihre Produkte, Träume und Sehnsüchte von den Dächern zu den Massen predigen. Von live gestreamten High-End-Events (Streaming ist für jedermann, beim Event dabei zu sein nicht) bis hin zu Influencer-Marketing und hochkarätigen Ausgaben für digitale Medien, Product-Placements, Out-of-Home und Media. Je mehr Menschen die Botschaft hören und je weniger effektiven Zugang zur Marke haben, desto stärker wirkt der Knappheitseffekt.