Naomi Campbell ist zu einem Klassiker geworden, der nicht mehr aus der Mode kommt. Nun wird dem Supermodel ein multimediales Denkmal gesetzt.
Hört man nur den Namen Naomi, ist bereits klar, um wen es sich handelt – egal ob man mit der Modewelt vertraut ist oder sich noch nie im Leben ein Designerkleid gekauft hat. Die Reduktion auf den Vornamen, das schaffen nur die Besten der Besten. Und jetzt wird ihr sogar eine eigene Museumsausstellung in London gewidmet. Ein Ritterschlag in der Stadt, in der das Model aufwuchs und Vorurteile und Rassismus erdulden musste, wogegen sie nach wie vor mit aller Kraft ankämpft.
Die Ausstellung «NAOMI: In Fashion», die noch bis zum 6. April 2025 läuft, ist ein Versuch der Macher*innen, die Grenzen des Victoria & Albert Museums zu durchbrechen, über 100 Kleidungsstücke aus Naomis Privatbesitz, die in Vergessenheit geraten sind, wieder zum Leben zu erwecken und auf diese Weise eine Traumwelt mit edlen Textilien erlebbar zu machen. «Für mich als Modehistorikerin ist die Art und Weise, wie sich ihre Karriere mit den Besten der High Fashion überschneidet, absolut faszinierend», beschreibt Kuratorin Sonnet Stanfill die massgeschneiderte Hommage an eine Pionierin in der Welt des Glamours. «Wir erzählen die einzigartige Geschichte des Supermodels durch ihre Kleidung – Kleidung, die heute absolut legendär ist.»
Naomi Campbell war von Anfang an involviert in die Planung und Gestaltung der Ausstellung. Und so seien bei der Zusammenarbeit viele Erinnerungen geweckt worden. «Es ist erstaunlich, wie Bilder und Kleidung das Gedächtnis anregen können», erklärte sie sichtlich gerührt anlässlich der Pressekonferenz. «So viele Dinge sind mir wieder eingefallen und ich habe sie alle aufgeschrieben. Viele der Geschichten werden auch im V&A-Bildband enthalten sein: wie ein Outfit erst entstand und die ganze Geschichte, die dahintersteckt. Es war sehr nostalgisch, mit all den verantwortlichen Menschen wieder Kontakt aufzunehmen, die heute noch hier sind.»
Vom Auftritt auf dem roten Teppich zur Met Gala bis zum geschichtsträchtigen Moment vor Gericht – die Britin lieferte etliche denkwürdige Kleidermomente in ihrer Karriere. Sie hat fast vier Dekaden stilistisch geprägt und unvergesslich gemacht – auf und neben dem Laufsteg, in Versace, Chanel, OffWhite, McQueen, Valentino, Mugler und Alaïa. Kuratorin Sonnet Stanfill versichert, man habe in der Ausstellung auch die weniger glamourösen Momente in Campbells Biografie nicht ausgespart. Wir erinnern uns: 2007 wurde sie in New York zu fünf Tagen gemeinnütziger Arbeit verurteilt, nachdem sie ein Handy nach ihrem Hausmädchen geworfen hatte.
Doch jeden Tag, an dem sie in einer Autogarage Putzarbeiten übernehmen musste, kam sie stets aufs Neue perfekt gestylt und frisiert zur Arbeit, begleitet vom Modefotografen Steven Klein. Erst im Nachhinein stellte sich heraus, dass das Topmodel selbst ihren «Gang nach Canossa» zu Geld machen konnte, indem das amerikanische Lifestyle-Magazin «W» die öffentliche Demütigung der Naomi Campbell als Modegeschichte inszenieren durfte.
Und wie es sich auf einem Laufsteg der Eitelkeiten gehört, folgte zum Abschluss der ultimative Höhepunkt: Am fünften Tag erschien Naomi im bodenlangen Abendkleid von Dolce & Gabbana – und wurde dafür auf allen Kanälen gefeiert. Mit ihrer Aktion bewies sie, dass jeder von uns im Leben tief sinken kann, es jedoch weit weniger schlimm ist, dies so gut angezogen wie nur möglich zu tun. Natürlich ist das berüchtigte Kleid jetzt auch in der V&A-Ausstellung zu sehen, in der es einen Ehrenplatz einnehmen wird.
Ein weiterer Aspekt der grossen Campbell-Show wird sich mit ihrer Kindheit im Süden Londons und ihren ersten Tanzauftritten befassen, wo auch ihre Modelkarriere begann, als sie im Alter von 15 Jahren beim Einkaufen in Covent Garden von einem Model-Scout angesprochen wurde. Zuvor wollte sie Tänzerin wie ihre Mutter werden und trat bereits im Musikvideo «Is this Love» von Bob Marley auf. Ihren leiblichen Vater lernte sie nie kennen. Die Schule brach sie ohne Abschluss ab. Naomi-Entdeckerin Beth Boldt erinnert sich an die Anfänge: «Sie war aussergewöhnlich. Die schönste und eleganteste Person, sogar in ihrer Schuluniform. Sie war enorm diszipliniert und immer freundlich. Im Laufe der Jahre haben viele aufstrebende Models zu mir gesagt: «Ich möchte Naomi Campbell sein» statt «Ich möchte ein Supermodel sein».»
Es war Anfang der 1980er-Jahre, eine Zeit, in der die Modebranche von einer homogenen Darstellung von Schönheit dominiert wurde. Ihr anmutiger Gang wurde zu ihrem Markenzeichen und machte sie sehr schnell zur Favoritin auf den Laufstegen in Paris, Mailand und London. Naomi erinnert sich: «Damals war ich Teil einer kreativen Zeit voller kreativer Genies wie Azzedine Alaïa – den ich liebevoll Papa nannte – und Yves Saint Laurent, Karl Lagerfeld, John Galliano, Vivienne Westwood, Rifat Ozbek, Katharine Hamnett, Jasper Conran, Thierry Mugler sowie vieler anderer. Damals hat mich England umarmt, besonders Jasper und John. Ich glaube nicht, dass ich je ein Casting für John gemacht habe. Er hatte gerade von mir gehört und mich einfach gebucht.»
Erst danach traf Naomi auf Cindy, Christy und Linda. Und nichts sollte mehr so sein wie zuvor. Sie machten New York unsicher, hielten zusammen und prägten die sogenannte «Goldene Ära» der Mode: Shootings mit berühmten «Vogue»-Fotografen wie Richard Avedon, Peter Lindbergh, Irving Penn und Steven Meisel in improvisierten Studios, enge Beziehungen zu den grössten Designern, legendäre Editorials, Auftritte als Freundinnen, zu denen sie wurden. Jede spielte ihre Rolle, hatte ihre Nische, die perfekte Girl-Group der Modewelt war geboren. Natürlich hatte das auch seinen Preis.
Naomi Campbell wurde in die Rolle der Diva und Exotin gedrängt. Sie sah nicht nur anders aus als die anderen, sondern fiel ebenso durch ihre direkte, offene Art aus dem Rahmen. Und musste immer eine Spur härter für den Erfolg kämpfen als ihre drei Model-Kolleginnen. Lange vor #MeToo sahen sie sich Vergehen und von der Modewelt entschuldigten sexistischen Praktiken ausgesetzt. Sie erzählt auch heute noch oft von ihren Erlebnissen als schwarze, junge Frau inmitten eines lodernden Feuerkreises. Und davon, wie sie oft von Werbejobs ausgeschlossen wurde und ihre Model-Freundinnen sagen mussten: «Entweder ihr bucht auch Naomi oder ich mache nicht mit.»
Manche Modephänomene feiern ihr Comeback, obwohl sie nie ganz von der Bildfläche verschwunden waren. So geschehen im letzten Jahr als Cindy Crawford, Christy Turlington, Linda Evangelista und natürlich Naomi Campbell ihr legendäres «Vogue»-Cover von 1991 für die amerikanische und britische September-Ausgabe der Modezeitschrift nachstellten. Kurz danach folgte auf Apple TV+ die Dokumentation «The Super Models». In den vier Episoden erzählt die Serie die Geschichten der vier Frauen, von ihren naiven Anfängen bis zur totalen medialen Vergötterung.
Heute scheint die Model-Ikone auch privat angekommen zu sein. Spät, mit über 50 Jahren, wurde sie zweifache Mutter – damit ging ein grosser Traum von ihr dank der Hilfe einer Leihmutter doch noch in Erfüllung. Der Vater der Kinder? Das bleibt ihr Geheimnis. Selbstbestimmt, stolz und nach wie vor mit diesem Hunger nach mehr: Das ist Naomi Campbell im Jahr 2024. Endlich erfährt sie die Wertschätzung, die ihr viele Jahre verweigert worden war. «Jugend ist nicht nachhaltig, Schönheit ist es», sagt sie geläutert in einem Gespräch mit ihrem guten Freund Edward Enninful, der eine Installation hochkarätiger Modefotografie für die Ausstellung zusammengestellt hat.
Naomi gibt offen zu, dass sie am Anfang der Karriere damit gerechnet habe, die Arbeit als Model für höchstens fünf Jahre ausüben zu können. Die Gegenbewegung zu den kurvigen Supermodels Mitte der 1990er, oft als «Heroin Chic» verschrien, in der Kate Moss und ein extrem dünner, fast schon kindlicher Körper das Schönheitsideal verkörperte, markierte eine Pause, aber kein Ende für Naomi als Model.
Umso mehr versuchte sie sich in jeder erdenklichen Disziplin, und das nicht immer gleich erfolgreich. Ihr Talent für energische Auftritte machte das Model berüchtigt. Doch einer Laufstegdiva, die zu den Megastars der Branche gehört, verzeiht man so manchen cholerischen Ausbruch. Die heute 53-Jährige ist ausserdem Designerin, Schauspielerin und Buchautorin und engagiert sich intensiv für diverse Charity-Organisationen. Naomi fungierte als Model-Mentorin und ausführende Produzentin für die Reality-TV-Shows «The Face US», «The Face UK» und «The Face Australia».
Zudem trat sie in Musikvideos von George Michael, Aretha Franklin, Michael Jackson und Madonna auf und startete im Frühjahr 2020 eine YouTube-Webserie mit dem Titel «No Filter with Naomi». 1999 tat sie sich mit Cosmopolitan Cosmetics zusammen und veröffentlichte 25 Düfte für Frauen, und 2019 feierte sie eine späte Premiere, indem sie erstmals für eine Beauty-Kampagne gebucht wurde – und zwar für die Kult-Kosmetikmarke NARS. 2018 trat das Model in die Fussstapfen von Beyoncé, David Bowie, Rihanna sowie ihrer langjährigen Freundin Kate Moss und wurde mit dem CFDA Fashion Icon Award für ihren einzigartigen Stil ausgezeichnet.
Naomi Campbell ist heute beliebter denn je. Während der vergangenen Fashionweek lief sie für Dolce & Gabbana und Coperni und beendete die letzte Show von Sarah Burton für Alexander McQueen mit Tränen in den Augen. Sie designt und ist das Aushängeschild für Kleider von Boss. Es ist, als könne man sich an der Frau nicht satt sehen. Gleichzeitig schafft es kein Model-Neuling an ihr vorbei. Jeder kann heute alles sein – nur kein Supermodel wie Naomi. Besonders dunkelhäutige Frauen haben es nach wie vor schwer im Model-Business. Deshalb hat Naomi auch Kollegin Adut Akech als Mentorin unter ihre Fittiche genommen.
Naomi hat die Zeichen der Zeit erkannt und ist auch auf den sozialen Medien ganz Profi, interviewt locker auf YouTube Serena Williams oder spricht offen über ihren Dreh mit Michael Jackson für das Video «In the Closet», der über 30 Jahre zurück liegt, ebenso wie über ihren Sauberkeitsfimmel. Dafür filmte sie sich 2019 vor dem Abflug von Los Angeles nach New York, verhüllt mit Schutzoverall, Schutzmaske und Schutzbrille beim Desinfizieren ihres Sitzplatzes in der Business Class. Schon nur der Gedanke an Bakterien lasse sie erschauern, berichtete sie während der Aktion. Und verzog dabei das Gesicht zur Grimasse, gefolgt von ihrem längst berühmt gewordenen kehligen Lachen.
Durch solche humorvollen, aber auch etwas ernsteren Einblicke in ihr Privatleben hat sie zusätzlich die Generation Z auf TikTok für sich gewinnen können, die im Schnelldurchlauf vergangene Jahrzehnte und ihre Trends neu entdeckt haben. So kann Naomi in einer hart umkämpften Branche sogar mehr gute Cover, wichtige Modestrecken und luxuriöse Werbedeals ergattern als zur Blütezeit der 90er-Jahre.
So überstrapaziert dieser Satz auch klingen mag: Naomi ist zu einem Klassiker geworden, der niemals aus der Mode kommen wird. Bethann Hardison, ehemaliges Model und heute als Diversity-Verfechterin bekannt: «Sie war sich immer ihres Selbstwertgefühls bewusst. Ich denke, es ist angeboren. Was ihre Karriere betrifft? Naomi wird nie aufhören. Sie wird auch mit 75 Jahren noch auf dem Laufsteg sein! Sie wird es weiterhin tun, weil sie so stark an sich selbst glaubt. Und niemals aufgibt.»