Bei Rolls-Royce ist jedes Fahrzeug ein einzigartiges Kunstwerk, das die Persönlichkeit und den Stil seines Besitzers widerspiegelt. Sina Maria Eggl, Designerin bei Rolls-Royce Motor Cars, spricht über die Erschaffung individueller Meisterwerke und wie Farben und Materialien zum Spiegel des Charakters werden.
Autorin_Swenja Willms
Bilder_Rolls-Royce
PRESTIGE: FRAU EGGL, was sind die wesentlichen Unterschiede bei der Gestaltung des Color & Trim für einen Rolls-Royce im Vergleich zu anderen Luxusautomarken?
SINA MARIA EGGL: Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass 90 Prozent aller unserer verkauften Fahrzeuge «Bespoked» sind, das heisst, sie sind in irgendeiner Hinsicht an die Wünsche des Kunden angepasst. Die Kunst hierbei besteht, den Kunden ganz genau kennenzulernen und zu verstehen. So ist es möglich, aus jedem Fahrzeug sowohl ein zeitloses, ruhiges Modell als auch mit auffälligeren Farbkombinationen provokantere Designs herzustellen. Klar beeinflusst die Form eines Fahrzeugs immer auch die Farbe. Jedoch sind wir beim Colour & Trim Design komplett frei –The sky is the limit.
Hört sich im ersten Moment aufregend, aber gleichzeitig auch überwältigend an. Nach meinen Recherchen sind bei Rolls-Royce mehr als 44 000 Farbkombinationen möglich. Eine fast unvorstellbare Menge. Wie trifft man hierbei als Kunde die beste Entscheidung der perfekten Farbe und Kombination?
Entscheidend ist die kompetente Beratung unserer Mitarbeiter und Designer. Unsere Serienpakete bieten eine wahnsinnig grosse Auswahl an Farben und feinsten Materialien. Die Konfigurationsmöglichkeiten scheinen hierbei endlos. Anhand von Gesprächen wird die beste Farbkombination für den Kunden herausgearbeitet. Bei unseren «Bespoked»-Fahrzeugen gehen wir ein Level weiter und passen die Farben individuell an den Geschmack an. Die Königsklasse in puncto Custom Design bilden unsere «Coachbuild»-Modelle. Hierbei erschaffen wir einen Rolls-Royce, der mehr als nur ein Auto ist – es ist der Spiegel des Charakters. Rund vier Jahre verbringe ich mit dem Design eines solchen Fahrzeugs, aber auch mit dem Kunden. Ich treffe ihn an privaten Orten, vielleicht in seinem Haus oder auf der Yacht, lerne Familienmitglieder kennen und tauche in sein Leben ein.
Welche Details dieser privaten Kundenmomente fliessen dann in das Design ein?
Das können Stickereien auf den Servietten sein, die Sofatextur, Blumen auf der Fensterbank, Lichtinstallation oder Designobjekte, Schmuck oder Kleider. Ich versuche, alles von oben bis unten abzuscannen. Daraus bildet sich in meinem Kopf ein Charakter des Kunden. Dieses Bild schärft sich mit jedem weiteren Treffen, bis ich genügend Informationen über den Kunden habe und genug über dessen Wünsche und Inspirationen, was ich mit diesem Fahrzeug ausdrücken möchte, gesprochen habe.
Der «Amethyst Droptail» ist ein Beispiel für Rolls-Royce’aussergewöhnliche Hingabe für die Kreation besonderer Einzelstücke. Welche Charaktereigenschaften des Kunden finden wir in diesem Unique-Piece?
Der Amethyst spielt eine unglaublich grosse Rolle in der Familie unseres Kunden, er ist der Geburtsstein des Sohnes. Die Farbe dieses Edelsteins wurde zum Hauptmerkmal des Exterieurs des Wagens. Des Weiteren haben wir tiefer in der Familiengeschichte gegraben, haben eine Wildblume gefunden, die in der Wüste nahe dem Wohnort wächst und eine weitere emotionale Bedeutung für den Kunden hat. Das Duoton-Finish des «Amethyst Droptail» fängt die verschiedenen Stadien der Blüte der Blume ein. Der sanfte Lilaton ist mit feinem Aluminiumpulver angereichert, wodurch ein schillernder Effekt entsteht. Ein weiteres Detail für unseren Kunden war das Thema Holz. Die Entscheidung fiel auf «Calamander Light», ein strukturiertes, offenporiges Holz, das sich über die Instrumententafel, die Türen, die Schalverkleidung und das Achterdeck erstreckt. Über 100 verschiedene Baumstämme der ausgewählten Baumart wurden inspiziert, bis wir den perfekten Braunton gefunden haben. All diese einzelnen Details erschaffen einen Wagen, in dem sich der Kunde zu 100 Prozent wiedererkennt. Subtil gelöst, ohne Initialen, sondern mit viel Zeit und Know-how.
Beeindruckend. Die Gewichtung von Farbe und Materialien ist bei Rolls-Royce-Kunden dementsprechend hoch?
Aussergewöhnlich hoch. All unsere Kunden sind unglaublich starke Charaktere. Farbe und Materialität sind hierbei eine Möglichkeit, sich auszudrücken. Jeder möchte ein bisschen Individualität zeigen. Teilweise erfüllen wir konkrete Wünsche, die der Kunde bereits im Vorfeld festgelegt hat, andererseits ergeben sich diese auch erst im Laufe des Prozesses. Ein Beispiel dafür ist der Farbton des «La Rose Noir Droptail». Die Familie des Kunden hat eine Vorliebe für Baccara-Rosen. Auf den ersten Blick erscheinen sie schwarz, wenn man genauer hinschaut, erkennt man jedoch einen roten Samtschimmer, gerade wenn ein Blütenblatt in eine Kurve übergeht. Über 150 Muster wurden benötigt, bis wir exakt diesen Farbton in das Exterieur und auch in das Leder im Innenraum übertragen konnten. Das Leder wurde dabei mit einer Kupferschicht überzogen, um einen samtigen Effekt zu erzielen.
Bei der Übertragung von Farben vom Exterieur in den Innenraum gibt es doch sicherlich Unterschiede. Was muss man hierbei beachten?
Ich vergleiche unsere Tätigkeit immer mit einem Schwan. Man sieht den Schwan über die Wasseroberfläche gleiten, wunderschön und elegant, aber untendrunter wird gepaddelt (lacht). Hinter der Perfektion, Leichtigkeit und Eleganz eines Rolls-Royce steht unheimlich viel Komplexität und Know-how. Materialien nehmen Farben unterschiedlich auf und verändern sich im Laufe der Zeit. Es kann also durchaus passieren, dass ein Rot-Ton in zwei Jahren durch permanente Sonneneinstrahlung plötzlich grün ist. Wir möchten sichergehen, dass unsere Materialien nicht nur jetzt wunderschön aussehen, sondern auch noch in 100 oder 200 Jahren. Es sind Autos, die in die Automobilgeschichte eingehen. Dementsprechend müssen alle unsere Materialien aufwendig getestet werden. An der Holzverkleidung des «Amethyst Droptail» wurde beispielsweise ein Jahr lang entwickelt, bis die perfekte Kombination aus Beize, Lack und aus Überlack gefunden wurde und ermöglichte, dass dieses Holz in den verschiedensten Klimazonen des Kunden beständig bleibt.
Hört sich nach einem sehr langwierigen Prozess an. Wie lange dauert es, bis so ein Masterpiece im Detail fertiggestellt ist?
Für den «La Rose Noir Droptail» und den «Amethyst Droptail» haben wir rund viereinhalb Jahre gebraucht. Davon treffen wir uns alle zwei Monate mit dem Kunden, um den aktuellen Stand zu besprechen. Im Hintergrund bin ich ständig in Kontakt mit dem Engineering-Team, mit den Leuten aus dem Leather-, Wood- und Paint-Shop. Schritt für Schritt, Test für Test vereinen wir dann unsere Technologien mit den besonderen Materialien. Ein Testing-Loop von 8000 Stunden wurde für diese Kunden entwickelt und musste erfüllt werden. Aber nur so entsteht am Ende eben ein echtes Meisterstück.
Machen wir den Sprung zu den Serienfahrzeugen. Der «Cullinan Fashion» ist in der Prêt-à-Porter-Welt zu Hause. Eine weitere Inspirationsquelle von Rolls-Royce?
Mode ist ein riesengrosses Thema für uns, sei es Haute Couture, Prêt-à-porter oder Street Style. Das Colour&Trim-Team ist selten zur Inspiration auf Automessen zu finden – wir reisen nach Mailand oder Paris an die Fashion-Shows und Möbelmessen, lassen uns vor Ort inspirieren und sprechen mit den Designern. So entstehen auch gemeinsame Projekte wie unser «Phantom Syntopia» mit der niederländischen Modedesignerin Iris van Herpen.
Inwiefern spiegelt der Luxus-SUV den elektrischen Geschmack und den Lebensstil Ihrer Kundschaft wider?
Kein Kunde von uns ist gleich. Nichtsdestotrotz gibt es eine gewisse Kundengruppe, die gerne provoziert. Leute, die Trends setzen, Bewegungen beeinflussen und inspirieren – sei es durch Kunst, Fashion, Musik oder Design. Speziell bei dem Fahrzeug ging es auch darum, das Alter Ego zu feiern. Die verschiedenen Farbkombinationen des «Cullinan Fashion» ecken an: Lime Green, Peony Pink, Manderine und Forge Yellow sind sehr expressive Farben und outside of the box. Hinter den Farben stehen aufwendige Recherche und ein Designplan. Unsere Designer analysierten die Frühjahrskollektion aus dem Jahr 2023 bis ins kleinste Detail. So entschied man sich im Innenraum auch für die Verwendung von Stainless Steel Fabric anstatt des Wood Decor. Dieses erinnert an metallische Kleidung und erzeugt eine komplexe Textur, wenn das Fahrzeug in Bewegung ist.
Werfen wir noch einen Blick in die Zukunft. Derzeit startet die Produktion des rein elektrischen «Spectre». Unterscheidet sich das Color&Trim von Elektrofahrzeugen zu üblichen Verbrennern?
Der «Spectre» ist, obwohl das Fahrzeug elektrisch ist, in allererster Linie ein Rolls-Royce. Die Wahl der besten Materialien und Farbkombinationen war deshalb genauso wichtig, wie bei Verbrennermotoren. Einer der für «Spectre» entwickelte Key-Exterior-Farbtöne, Chartreuse, ist sehr expressiv, kann einerseits sehr hell, andererseits aber auch moody sein. Daneben existiert die neue Lederfarbe «Peony Pink» als wunderschön krachende Farbe, inspiriert von Pfingstrosen. Dann wird das Thema Langlebigkeit und Nachhaltigkeit bei einem Elektrofahrzeug besonders hervorgehoben. Und hierbei sind wir unglaublich streng. Fast 80 Prozent aller jemals gebauten Rolls-Royce sind nach wie vor auf der Strasse. Das zeigt, wie langlebig unsere Materialien sind. Beispielsweise prüfen wir jeden Monat, woher wir unsere Hölzer beziehen und welche Bäume derzeit gefährdet sind. All dies macht selbst einen elektrischen «Spectre» zu einem perfekten Rolls-Royce-Charakter.