
Zeit zum Anhalten: neue Chronographen
- 28. September 2017
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Spaghetti al dente kochen, Wettläufe stoppen, Durchschnittsgeschwindigkeiten erfassen: Mit Chronographen ist alles unkompliziert möglich. Dazu schauen sie auch noch gut aus. Grund genug, Geschichte und Technik anhand neuer Exemplare vorzustellen.
Kaum zu glauben, aber wahr: 155 Jahre ist er mittlerweile alt, dazu fit wie ein Turnschuh. Hinzu gesellt sich Beliebtheit par excellence. Keine Zusatzfunktion mechanischer Uhren erfährt so viel Zuspruch wie der Chronograph, von dem hier die Rede ist. Die Gründe: Funktionalität, vielseitige Verwendbarkeit und markante Optik. Das entscheidende Wesensmerkmal klassischer Chronographen besteht zweifellos in der konstruktiven Einheit von Uhrwerk und dem durchaus komplexen, aus etwa 40 Teilen bestehenden Schaltwerk für die drei spezifischen Funktionen Start, Stopp und Nullstellung. Letztere findet sich – abhängig von der Konstruktion – auf der Vorder- oder Rückseite des eigentlichen Uhrwerks.
Parmigiani Fleurier setzt auf eine sogenannte Kadratur, sprich die Montage der Chrono-Mechanik direkt unter dem Zifferblatt. Bereits 2001 startete das Unternehmen eine Kooperation mit der exklusiven Autoschmiede Bugatti. Sie setzt sich fort im «Bugatti Aérolithe Performance» mit 41 Millimeter grossem Titan-Gehäuse. Das exklusive Uhrwerk, Durchmesser 30,3, Höhe 6,81 Millimeter, verlangt nach 311 sorgfältig veredelten und assemblierten Bauteilen. Die Geschichte der integrierten Flyback-Funktion reicht zurück bis in die späten 1930er-Jahre und die dringenden Wünsche hoch beanspruchter Militärpiloten. Sie gestattet unverzüglichen, also rapiden Neustart ohne vorheriges Anhalten und Nullstellen des laufenden Zeitschreibers mit einem Knopfdruck. Seit 1969 gibt es Chronographen mit Selbstaufzug, damals vorgestellt von Breitling, Heuer, Seiko und Zenith. Bei Parmigiani zeichnet sich das Basiswerk mit Rotor-Automatik durch zwei parallel wirkende Federhäuser und mehr als 50 Stunden Gangautonomie aus. Vier Hertz Unruhfrequenz gestatten Stoppvorgänge auf die Achtelsekunde genau. Die beiden Totalisatoren reichen bis 30 Minuten und 12 Stunden. Patente für Stundenzähler finden sich schon im Jahr 1892. Die praktische Umsetzung der Theorie erfolgte jedoch erst 1937. Die Bezüge zum schnellen Auto ergeben sich aus einer doppelten Tachymeterskala. Sie dient dem zügigen Erfassen von Durchschnittsgeschwindigkeiten über einen Kilometer oder eine Meile hinweg. Zu diesem Zweck wird der Stopper beim Passieren einer entsprechenden Marke am Strassenrand gestartet und bei der nächsten wieder angehalten. Nun zeigt der zentrale Sekundenzeiger direkt auf den jeweiligen Wert.
Drücker und andere Aspekte
Bis in die frühen 1930er-Jahre diente ein einziger Drücker zum Bedienen des Chronographen. Konsequent nacheinander erfolgten Start, Stopp und Nullstellung. Dann setzten sich deren zwei durch. Mit ihrer Hilfe kann der Stoppvorgang beliebig oft unterbrochen und wieder fortgesetzt werden. Fachleute sprechen hierbei von Additionsstoppungen. Beim Schaltwerk unterscheiden Fachleute zwischen zwei verschiedenen Systemen. Überlieferte Chronographen-Kaliber verfügen über ein drehbar gelagertes Säulenrad. Bei jedem Schaltvorgang bewegt sich das aufwändige Bauteil um einen exakt definierten Winkel. Kommt das Ende eines Hebels auf einer Säule zu liegen, wird es durch diese angehoben. Fällt es hingegen zwischen zwei Säulen, sorgt leichter Federdruck für eine Absenkung. Eine derartige Konstruktion ist auch dem auf 50 Exemplare limitierten «Track 1» von Singer Reimagined zu eigen. Dieses aussergewöhnlich anmutende Gerät basiert auf dem während zehn Jahren entwickelten «AgenGraphe». Sein Automatikkaliber 6361 besteht aus 477 Teilen. Weil die Genfer Werkeschmiede AgenHor den Rotor unter dem Zifferblatt drehen lässt, bietet sich freie Sicht auf das rückwärtig angeordnete Chronographen-Schaltwerk mit einigen technischen Besonderheiten. Im Zifferblatt-Zentrum finden sich drei Zeiger für den Sekunden-Chronographen sowie die akkurat springenden 60-Minuten- und – absolut einzigartig – 60-Stunden-Zähler. An die Stelle von Zeit-Zeigern, welche das Ablesen des Gestoppten stören können, treten zwei äussere Ringe zur Darstellung der Stunden und Minuten.
Gut gekuppelt
Jeder Chronograph besitzt eine Kupplung. Tradition verkörpert ein horizontal schwenkender Hebel mit Zahnrad, das zwei weitere Räder und damit das Uhrwerk beim Starten mit dem zeitschreibenden Schaltwerk verbindet. Das kostet Kraft, ist auch nicht immer hundertprozentig präzise. Daher haben Uhrmacher in den 1960er-Jahren die (in der Regel vertikale) Reibungskupplung ersonnen. Die AgenHor-Konstruktion bietet einen Mix aus beidem: Bei ihrer horizontalen Friktionskupplung besitzen die verbindenden Räder keine Zähne, sondern glatte Oberflächen, beschichtete mit feinem, aber hinreichend rauem Diamantmaterial, das man von Nagelfeilen kennt.
Auf eine vertikale Friktionskupplung setzt Breitling beim 2009 vorgestellten Manufakturkaliber B01. Dank einer Kooperation verwendet nun auch Tudor dieses Uhrwerk in modifizierter Ausführung. Beim neuen MT5813 des stählernen «Heritage Black Bay Chrono» erzeugt der Kugellagerrotor ein Energiepotenzial für rund 70 Stunden Gangautonomie. Selbstverständlich verfügt das Uhrwerk über klassische Schaltradsteuerung. Überdies verfügt es über ein patentiertes Selbstzentrierungssystem mit neuartigem Herzhebel zur Nullstellung des Chronographenzeigers sowie des 45-Minuten-Totalisators bei der «3». Im Gegensatz zum Original weist die Tudor-Version eine Glucydur-Unruh mit variabler Trägheit auf. Zusammen mit einer Siliziumspirale vollzieht der Gangregler unter einer langgestreckten Unruhbrücke stündlich 28ʼ800 Halbschwingungen. Maximale tägliche Gangabweichungen im Bereich zwischen minus vier und plus sechs Sekunden attestiert ein amtliches Chronometerzeugnis.
Zeiger im Schlepp
Letzteres begleitet auch den neuen «Navitimer Rattrapante». Der Schlepp- oder Doppelzeiger versteht sich als Komparativ zum einfachen Chronographen. Mit seiner Hilfe lassen sich simultan zwei gleichzeitig beginnende Ereignisse stoppen oder Zwischenzeiten erfassen. Wie in guten alten Zeiten positioniert Breitling die durch zwei Patente geschützte Schleppzeiger-Mechanik auf der Vorderseite des Uhrwerks. Zu den nur 28 Komponenten gehört ein innovatives Doppelzeigerrad mit äusserem O-Ring aus Nitrilkautschuk. Aus dem gleichen Material bestehen die Innenseiten der Federzangen zum Anhalten des Einholzeigers. Durch diese Aufwertung wird aus dem Kaliber B01 ein B03. Von der Rotgold-Version dieser Armbanduhr gibt es 250 Stück.
Ganz schön kompliziert
Nur 50 Exemplare fertigt A. Lange & Söhne von einem Ausnahme-Chronographen namens «Tourbograph Perpetual Pour le Mérite». Hierbei handelt es sich um eine wahrhaft grosse zeitschreibende Komplikation. Konstanten Energiefluss ermöglicht ein altehrwürdiges Kette-Schnecke-System, das die physikalischen Hebelgesetze nutzt. Die anfänglich höchste Federkraft korrespondiert mit dem kleinsten Schneckenumgang. Danach kompensiert ein kontinuierlich wachsender Schneckendurchmesser das allmählich sinkende Zugfeder-Drehmoment. Alleine die hauchdünne Kette besteht aus 636 Teilen. Mehr als beachtlich ist das gesamte Spektrum an Komplikationen: Schaltrad-Chronograph mit horizontaler Räderkupplung und Schleppzeiger, filigranes Minutentourbillon, Präzisions-Mondphasenanzeige sowie ein immerwährendes Kalendarium. Manuelle Korrekturen sind hier bis zunächst 2100 entbehrlich. Ohne die Kette verlangt die Montage des Handaufzugskalibers L133.1 nicht weniger als 684 Komponenten.
Im Zeichen der Ökonomie
Wegen der relativ hohen Kosten traditioneller Schaltrad-Konstruktionen ersannen die Fabrikanten in den späten 1930er-Jahren kurante Alternativen. Hierbei übernimmt ein intelligent geformter Schwenk-Nocken die funktionssteuernden Aufgaben. Zu finden im Bestseller unter den aktuellen Chronographenwerken. Zu den ökonomischen Aspekten des Eta/Valjoux 7750 gehört auch eine simple, trotzdem aber ausgesprochen zuverlässige «Schwingtrieb»-Kupplung. Das 1973 vorgestellte Kaliber verbaut Oris im sportiven «Chronoris Williams 40th Anniversary Limited Edition». Bleibt zum Schluss die Feststellung, dass der Chronograph am Handgelenk grundsätzlich keine Frage des Geldes, sondern eine des persönlichen Anspruchs ist.
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