
Wo Männer zu Legenden wurden – «Race To The Clouds»
- 10. Oktober 2013
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Das Pikes Peak International Hill Climb ist das zweitälteste Motorsport-Event in den USA. 156 Kurven müssen bis zum Gipfel gemeistert werden. Für dieses Rennen braucht man starke Nerven und viel Fahrgefühl. «Elektroautos hat es hier früher nicht gegeben. Das ist also die moderne Zeit», sagt Steven Baker und nippt an seinem Budweiser Light. Vor dem hellen Licht hier oben schützt der Mittvierziger seine Augen mit einer Pilotenbrille und sieht dabei aus, wie man sich einen Motorsport-begeisterten Ureinwohner in Colorado vorstellt. Ein kräftiger Typ mit leichtem Bauchansatz, Baseball-Cap und Nike-Turnschuhen an den Füssen. Der es am liebsten mag, wenn es laut knattert. Früher, ja früher, da wurden hier beim «Hill Climb» echte Legenden geboren. Wie Walter Röhrl.
Das Motorsport-Mekka der USA
Wir sind am Pikes Peak. Der Berg nahe Colorado Springs, mit seiner Höhe von 4301 Metern, ist das Motorsport-Mekka der Rocky Mountains. Seit 1916 wird hier alljährlich mit dem «Pikes Peak International Hill Climb» ein traditionelles Bergrennen ausgetragen. Eine Veranstaltung, die aufgrund ihres hohen Prestigefaktors sowohl Autohersteller als auch Fans in den Bann zieht. Heutzutage zeigen sich Hersteller am Berg auf zwei oder vier Rädern mit meist eigens angefertigten Fahrzeugen. Die Modelle sind speziell aufbereitet und auf Sieg getrimmt oder dienen, wie zum Beispiel die Elektroautos, als technische Vorreiter zu Marketing- und Imagezwecken. Krasse Schotter- sowie Asphaltpisten stellen Pilot und Material auf dem rund zwanzig Kilometer langen Weg zum Gipfel vor heikle Aufgaben. Beim «Race To The Clouds» müssen unter Vollgas um die 1500 Höhenmeter und anspruchsvolle Kurven genommen werden, um das Ziel auf Bestzeit zu erreichen. Da sich der Start in 2800 Meter Höhe befindet, ändern sich Wetterbedingungen wie die Aussentemperatur und der Luftdruck so häufig, wie Steven ein neues Bud aufschnippt. Ein Rennen also, bei dem Mensch und Maschine beim Hochbrettern zur Spitze des Pikes Peak verschiedensten Einflüssen ausgesetzt sind.
Die Piste macht Männer zu Legenden
Die Fahrer, die diesen Kurs in Angriff nehmen, glänzen vor allem durch Mut. Denn die übliche Sicherheit, wie bei anderen Rallye-Veranstaltungen, ist in Colorado nicht überall greifbar. An einigen Passagen geht es neben den Reifen der teils unbefestigten Strasse direkt ab in die Tiefe. Zuschauer sitzen oder stehen, wenn es möglich ist, neben der Fahrbahn und können das Spektakel so aus nächster Nähe verfolgen. Einer dieser Piloten, der den Mumm hatte und sich hier am Pikes Peak mit einer fabelhaften Bestzeit unsterblich machte, ist die deutsche Rallye-Legende Walter Röhrl (66). Wir schreiben das Jahr 1987. Röhrl ist bei Audi unter Vertrag und die Ingolstädter haben den Ehrgeiz, mit ihrem Audi Sport quattro S1 ein Stück Motorsportgeschichte zu schreiben. In den Jahren zuvor hatte das Fahrzeug aufgrund seiner Unhandlichkeit bei Rallyes und Weltmeisterschaften mit diversen Problemen zu kämpfen. Trotz einiger beachtlicher Erfolge konnten Röhrl und die anderen Fahrer lediglich einen WM-Lauf für sich entscheiden. Nun stand der grosse, schlaksige Regensburger – «der Lange» genannt – also mit seinem verbesserten, kantigen Boliden und 598 PS am Pikes Peak. Die Konkurrenz las sich wie das Who-is-Who des Rallyesports und war ausgerechnet 1987 mit etlichen Profi-Rallyefahrern, die in besonders wendigen Rennern antraten, sehr stark. Röhrl wurden keine grossen Chancen auf einen Sieg eingerechnet. Doch es war einer dieser seltenen Momente, die Sportler zu Helden und Männer zu Legenden werden lassen.
Röhrl, der die Strecke zuvor mit seiner Frau in langsamer Geschwindigkeit abfuhr, um sich alle Kurven einzuprägen, legte das wohl berühmteste Rennen seines Lebens hin. Mit unnachahmlicher Präzision, riesengrosser fahrerischer Fähigkeit und der richtigen Portion an Ehrgeiz verewigte Walter Röhrl sich und seinen Audi Sport quattro S1 in den Geschichtsbüchern. Die rutschige, unbefestigte Schotterpiste hoch durch die Serpentinen des Pikes Peak frass das Audi-Flügelmonster-Duo in zehn Minuten und 47,85 Sekunden. Damit war Röhrl der erste Fahrer überhaupt, der die Strecke in weniger als elf Minuten bewältigte – ein sportlicher Meilenstein. Audi hatte eine Fabel für die eigene Unternehmensgeschichte gestrickt.
Walter Röhrl machts vor
«This German guy is amazing», sagt Steven euphorisch und sein Blick bleibt fest an einem Punkt hängen, als ob er das Rennen von 1987 noch mal in seinem Kopf abspielt. Wo sonst als in den USA hätte diese Leistung besser in den Gedächtnissen hängenbleiben können. Lieben und verehren sie Helden und ihre Geschichten hier in Amerika doch am meisten: die Menschen, die etwas ganz Aussergewöhnliches geleistet haben. Walter Röhrls Bestzeit wurde später auf der nun teilweise asphaltierten Strecke verbessert. Die aktuelle Rekordmarke hält seit 2011 ein gewisser Rhys Millen, der nicht mal über einen deutschsprachigen Wikipedia-Eintrag verfügt, mit seinem Hyundai Genesis Coupé Prototyp. Wahre Helden wie Röhrl, über die grenzenlos gesprochen wird, haben sich wohl neue Geburtsstätten gesucht.
Für den limitierten Audi Sport quattro S1 werden heute Höchstpreise bezahlt. «Der Lange» wird als der grösste Rallyefahrer aller Zeiten verehrt und wurde mehrfach für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Er startet immer noch als umjubelter Teilnehmer bei Rallyes, die ihm Spass bereiten. Steven Baker würde sich über ein Comeback freuen, bei dem Staub aufgewirbelt wird und die Motoren knattern. «Hier, wo Männer zu Legenden wurden», sagt Steven, schaut sich das vorbeirauschende Elektroauto an und nimmt sich noch ein Budweiser.