Wie die Schweiz tickt – Eine kurze Geschichte des Uhrmacherhandwerks
- 10. Juli 2012
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Die Entdeckung der Langsamkeit wird den Schweizern zugeschrieben: Beim Streichen der Turmuhr schlägt der Stundenzeiger dem Eidgenossen bekanntermassen den Pinsel aus der Hand. Aber in der Ruhe liegt auch die Kraft. Schweizer Bedachtsamkeit und Qualitätsarbeit finden sich in der Uhrmachergeschichte wieder. Aber ticken tun die Schweizer schon lange nicht mehr. Höchstens schwingen. Seit der Erfindung der Quarzuhr wurde das Ticken hinfällig, es gab nichts mehr, was tickte, denn Quarzuhren ticken nicht, sondern sie schwingen. Damit es dennoch ein «Tickgeräusch» zu hören gibt, wird ein spezieller Quarz in die Uhr eingebaut, der beim sekündlichen Stromdurchleiten ein schönes Knackgeräusch von sich gibt, welches in ungeübten Ohren dann als «Ticken» wahrgenommen wird. Die Aussage «die Schweizer ticken anders» sollte also revidiert werden zu «die Schweizer knacken anders», um zeitgemäss zu bleiben.
Die erste automatische Uhr mit Handaufzug war eine Taschenuhr und wurde im Jahre 1770 von Louis-Abraham Perrelet im jurassischen Le Locle erfunden. Die durch das Marschieren des Trägers entstandenen Stösse brachten ein Gewicht zum Auf- und Abschwingen, welches die Uhr aufzog. Im Jahre 1870 vollendete Breguet in Paris, wahrscheinlich ausgehend von der Idee Perrelets, die Perpetual-Uhr (immer währende Uhr). Darauf setzten weitere wichtige Entwicklungen ein, wie die des Chronographen durch den Franzosen Rieussec im Jahre 1821 und jene des Schleppzeiger-Chronographen durch Louis-Frédéric Perrelet im Jahre 1827. Seither hat sich die Uhrenindustrie stets weiterentwickelt. Der Triumphzug der Uhren nahm letztendlich seinen Siegeslauf durch die Einführung der Automatik in den 1930er Jahren, dazu kam, dass die Uhren jetzt auch wasserdicht hergestellt werden konnten. Etwa zur gleichen Zeit wurde auch die Quarzuhr erfunden, also konnte man auch auf Zeiger verzichten. Die Räderuhren wurden weitgehend vom Markt verdrängt, erleben aber heute wieder einen enormen Zuspruch. Man wusste es zu Beginn noch nicht, aber die Armbanduhr sollte das beliebteste Accessoire auf der ganzen Welt werden.
Swiss made
Qualität, Präzision, Einzigartigkeit, Beständigkeit, Tradition, Design und Innovation. Es fehlt nicht an Eigenschaften, um die Vielseitigkeit der Schweizer Uhrenindustrie zu beschreiben. Produziert werden Zeitmessungsinstrumente – klein und ultrakomplex, die perfekte Vereinigung von traditionellem Wissen und modernster Technik. Seit Mitte des 16. Jahrhunderts sind die Uhren eine Schweizer Spezialität und vor allem die Region Genf ist bekannt dafür. Noch heute konzentriert sich der Grossteil der Produktion auf die Kantone Neuenburg, Waadt, Jura, Bern, Solothurn und Baselland. Es war der puritanische Reformator Johann Calvin (1509–1564), der das Genfer Volk anhielt, «sich einfach zu kleiden, ohne alles läppische Gepränge und Haschen nach menschlichem Ruhm». Es fiel den Genfern sichtlich schwer, sich mit dem Diktat Calvins abzufinden, denn ganz ohne Schmuck wollten die Bürger nicht sein. Politisch korrekt kauften sie von nun an Uhren von den zu Uhrmachern konvertierten Juwelieren, deren Auftragslage sich sprunghaft verbesserte. Da sich die Uhrenfabrikation also auf bestimmte Gebiete der Schweiz beschränkte, und somit gar nicht die ganze Schweiz repräsentierte, stellt sich die Frage, warum die Uhren weltweit als Symbol der Schweiz berühmt geworden sind. Letzteres mag in erster Linie damit zusammenhängen, dass die in der Schweiz produzierten Uhren zu 95 Prozent exportiert und im Ausland als «Swiss made» wahrgenommen werden. Somit ist die Uhrenindustrie auch ein Schlüsselsektor der Schweizer Exportwirtschaft. Uhrenmarken sind über die Gestaltung ihrer Armbanduhren erkennbar – entsprechend hoch sind die Identifikationsmöglichkeiten des Trägers mit einem bestimmten Image und die entsprechende Signalwirkung auf andere. Diese Identität von Produkt und Marke ist eines der stärksten Verkaufsargumente in der Branche. Die Tradition der Uhrmacherei in der Schweiz hat somit zwei starke Standbeine. Zum einen die handwerklich hoch qualitative Konzeption und Ausführung ihrer Werke für komplexe, aber sinnvolle Anzeigen, zum anderen das immer währende Streben nach schöner, zeitgemässer und stilvoller Gestaltung der Produkte.
Das Phänomen Swatch
Die Swatch-Gruppe nimmt in der Geschichte der Uhrenproduktion der Schweiz eine ganz besondere Rolle ein. Sie besitzt nicht nur einen grossen Marktanteil, sondern hat auch Ende der 1970er Jahre die wohl grösste Krise in der Schweizer Uhrengeschichte abgewendet. Als Weltmacht in der Uhrenindustrie und unbestrittene Königin in der Produktion von Luxusuhren hat die Schweiz die Auswirkungen der Quarztechnologie auf den Uhrenmarkt weitgehend unterschätzt. So überliess sie die Weiterentwicklung dieser Innovation Dritten, vor allem den Japanern und den US-Amerikanern. Dank dieses Umstandes entwickelte die Konkurrenz präzise, aber kostengünstige Uhren, die sich anschickten,den Markt zu beherrschen. Für die Schweizer Uhrenindustrie war dies ein harter Schlag, denn die Verkaufszahlen fielen dramatisch in den Keller und viele Unternehmen fanden sich am Rande des Konkurses. Es war der Wirtschaftsberater Nicolas Hayek, der dem Schweizer Uhrenmarkt zu neuem Leben verhalf. Unter dem Namen Swatch kam diese Quarzuhr, die hohe Qualität mit niedrigem Preis kombiniert, 1983 auf den Schweizer Markt. Einerseits setzte sich die Swatch aus 51 und nicht wie herkömmlich aus 90 Komponenten zusammen, und andererseits konnte ihre Herstellung automatisch und in einer Produktionslinie vollzogen werden – eine absolute Neuheit auf dem Schweizer Uhrenmarkt. Die Schweizer Uhrenindustrie erwachte aus ihrem Dornröschenschlaf und kehrte an die Weltspitze zurück. Im bislang besten Jahr 2008 exportierten die Schweizer Hersteller Uhren, Uhrwerke und Komponenten im Wert von insgesamt 17 Milliarden Franken.
Ein Blick in die Zukunft
Viele wünschen sich, mal einen kleinen Blick in die Zukunft werfen zu können. Interessant wäre so ein Blick oder eine Reise in die Zukunft auf jeden Fall. Aber was würden wir dort vorfinden? Es ist abzusehen, dass sich bei den Uhren in 10 oder 15 Jahren nicht allzu viel verändern wird und wir uns in dieser Zeit problemlos zurechtfinden werden. Aber was wird in 100 oder 200 Jahren sein? Wie schon die Vergangenheit zeigt, kann die Entwicklung in einem Zeitraum von 100 Jahren gigantisch sein. Die Uhr hat ja eine enorme Evolution hingelegt von den Anfängen bis zum heutigen Tag. Doch wie wird sich die Uhr weiterentwickeln? Wird die Zeit immer noch der Mittelpunkt des Menschen sein und dessen Leben bestimmen? Aber egal, wie sich die Uhr der Zukunft entwickeln wird, aus welchen Materialien sie gefertigt wird, welches Design sie aufweisen wird, am Ende wird die Uhr immer die gleiche Primärfunktion aufweisen, nämlich die Zeit anzeigen.