Von den Uhren für Flieger zu den Fliegeruhren
- 10. Juli 2012
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Die Zeitmessung in der Aviatik nahm von Beginn her eine sehr wichtige Stellung ein. Dies, obwohl noch vor der Jahrhundertwende des vergangenen Jahrhunderts der Traum vom Fliegen in weiter Ferne schien. Doch der Pioniergeist jener Epoche kannte keinen Halt mehr, und als 1903 das erste Fluggerät, von einem Motor angetrieben, vom Boden abhob und die Erde unter sich liess, war auch schon die Zeitmessung dabei. Die Uhr war von da an nicht mehr nur Instrument zur Anzeige von Tagen und Stunden, sondern auch Aufzeichnungsgerät, welches die Dauer eines Ablaufs protokolliert. Von nun an wurden Uhren konzipiert, um die immer extremer werdenden physikalischen Anforderungen zu meistern. Im Jahre 1903, dem historischen Jahr des Erstflugs der Gebrüder Wright, lancierte die Uhrenfabrik Breitling das Modell «Montbrillant», benannt nach der Rue Montbrillant, dem damaligen Hauptsitz der Firma in La-Chaux-de-Fonds.
Nicht selten waren es auch Freundschaften, welche die Faszination des Fliegens verband – so wie jene des Pariser Hofjuweliers Louis Cartier mit dem brasilianischen Piloten und Kaffeeplantagenbesitzer Alberto Santos Dumont. Nach ihm wurde denn auch die CARTIER «Santos» benannt. Die Uhr, sie soll zwischen 1904 und 1907 öffentlich in Erscheinung getreten sein, unterschied sich erstmals in Form und Beschaffenheit deutlich von anderen Uhren jener Zeit. Dazu beigetragen hat eine verschraubte Lunette und eine massive Ausführung des Gehäuses. In den Archiven von Cartier aus dem Jahre 1911 erscheint auch der Name Jaeger, welcher schon damals 10-linige, signierte Werke an CARTIER verkaufte – eine Zusammenarbeit, die noch über Jahre erfolgreich gepflegt wurde.
Eine massgebende Entwicklung jener Zeit gelang Breitling: Nach Léon Breitlings Tod übernahm dessen Sohn Gaston die Firma und präsentierte im folgenden Jahr einen Chronographen mit 30-Minuten- Zähler (Compteur). Dieser Zeitmesser taugte als Handgelenkinstrument und ermöglichte dem Piloten auch Zeitmessungen in verschiedenen Lagen, was vor allem für die militärische Fliegerei von Vorteil war. In den Zwischenjahren des Ersten und Zweiten Weltkrieg präsentierte sich die Fliegerei noch als sehr wetterabhängige Angelegenheit. Piloten trugen eine Lederjacke, über welcher sie am linken Ärmel die Uhr herumschnallten, während sie jeweils mit der rechten Hand den Steuerknüppel hielten.
Doch die Fliegerei in offener Kabine im Doppeldecker wurde bald von weiteren Entwicklungen eingeholt. 1927, als Charles Lindbergh mit seiner «Spirit of St. Louis» den Atlantik auf einer Strecke von 5809 Kilometer nonstop überquerte, wies ihm eine «Longines» die Zeit. Das Flugzeug – wie auch die Uhr – waren Neukonstruktionen. Noch heute erinnert Longines an die Teilnahme an diesem Abenteuer und würdigt Charles Lindbergh mit einer Neuauflage jener Uhr. Geblieben aber ist die Erfahrung aus diesem Flug – elementar und bahnbrechend war diese in mancher Beziehung.
Sie deutete auf den kommerziellen Personenverkehr, welcher den alten und den neuen Kontinent miteinander verbinden sollte. Dieser Markt, noch vor wenigen Jahren von luxuriösen Dampfern beherrscht, konnte nun von der Fliegerei durch eine geringere Reisezeit übertroffen werden. Städte wie New York, London, Paris rückten in eine bessere Erreichbarkeit. In den 1930er Jahren entstanden die ersten Hersteller von Passagierflugzeugen. Politisch war es damals auch absolut opportun, sich dieser Entwicklung der Fliegerei nicht zu verschliessen.
Flugplätze sowie eigene Airlines förderten den Nationalstolz eines manchen Landes. Nun galt es, in den doch wichtigen Zeiten der Entwicklung mit vorne dabei zu sein. Mit neuen Flugzeugen wuchs auch der Bestand der Piloten, welcher sich mit der Grösse der Flugzeuge um ein Vielfaches mehrte. Bestand die Crew anfangs aus einem Captain und einem Copilot, waren später bei grösseren Maschinen Captain, Copilot, Navigator und ein sogenannter Bord-Ingenieur (Flight-Engineer) nötig.
Der Bedarf nach Uhren wuchs, und im Jahre 1934 präsentierte OMEGA eine Fliegeruhr mit mattschwarzem Zifferblatt und dem Werkkaliber 35.5 SOB T1 ausgerüstet. Die Uhr verfügte über eine drehbare Lunette mit Pfeil-Index zum Feststellen der Flugdauer. Zudem erlaubte die kugelförmige Krone auf langem Rohr das Betätigen mit Handschuhen. Die am Staybrite-Stahlgehäuse angelöteten Bandanschlüsse waren breit gehalten, um ein Riemen-Lederband durchzuziehen. Diese Referenz wurde 1937 durch die Referenz CK2000 mit einer noch breiteren, inseitigen Lunette mit Skala abgelöst. 1938 wurde zudem das Kaliber von 40,6 durch eines von 37,6 mm ersetzt.
Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs wurde die Fliegeruhr zunehmend Bestandteil der Standardausrüstung der Piloten. 1936 entstand bei IWC Schaffhausen die erste Pilotenuhr mit leuchtenden Zeigern und schwarzem Zifferblatt. Sie wird unter der Bezeichnung «Spezialuhr für Flieger» bekannt und beherbergte eine Variante des Calibers 83 in antimagnetischer Ausführung. Im gleichen Jahr beliefert BREITLING die englische Luftwaffe Royal Air Force mit Zeitmessern.
Unter strengen Evaluationsverfahren und stets begleitet vom Schweizer Neutralitätsgedanken wurden zunehmend Uhren für fremde Nationen hergestellt und geliefert. IWC erhielt 1940 einen Auftrag der Deutschen Wehrmacht für 1000 Einheiten. Diese «Grosse Fliegeruhr» war nach Kriterien für Beobachtungsuhren (B-Uhren) gebaut. Das «Grossgerät»mit dem Taschenuhrkaliber 52 T. S. C. war mit 55 mm Gehäusedurchmesser, 16,5 mm Höhe und einem Gewicht von 183 g die mächtigste je gebaute IWC-Armbanduhr. Das gleiche Uhrwerk, Kaliber 52 T.S.C., wurde in Beobachtungstaschenuhren, 200 Exemplare, gleichzeitig auch an die Royal Navy geliefert. OMEGA selbst erhielteine Anfrage des königlichen HofjuweliersGarrard’s in London, 2000 Exemplare ihrer Militärpilotenuhr MKVIIA zuliefern, welche durch das Air Ministry an die Royal Air Force weitergeleitet wurden. Diese Uhren wurden während mehreren aufeinanderfolgenden Tagen in fünf Positionen und zu drei verschiedenen Temperaturen reguliert (d.h. wie für Chronometer) und trugen auf dem Gehäuseboden die Gravur einer Krone (Besitz der Krone). Diese Gravur ist übrigens auch auf Produkten anderer Hersteller zu finden.
Breitling gelang 1942 der grosse Durchbruch, als sie offizieller Lieferant für die US Army Air Force wurde. Bestellt wurde damals ein neuer Chronograph mit Rechenschieber. Während des Zweiten Weltkriegs entstanden auch verschiedene kleinere Marken – viele davon sind nicht mehr auf dem heutigen Markt vertreten. Die Nachfrage blieb damals auf hohem Niveau und bescherte auch neugegründeten Firmen Aufträge.
Allerdings litten diese mehr an der chronischen Verknappung von Uhrwerken sowie deren Bestandteilen. Zudem galten für Uhrwerke gewisse Regeln zur Produktion: Ein Uhrwerk gilt alsPräzisionsprodukt und kann auch für militärische Zwecke verwendet werden. Deshalb oblag die Herstellung der Kontrolle des Bundes, welcher dafür eine Lizenz herausgab. Eine solche war schwierig zu erhalten und wurde nur unter bestimmten Voraussetzungen ausgestellt. Dies und der Umstand, dass viele Bestellungen für einen kleinen Produzenten stückmässig schlicht zu gross waren, veranlassten daher manchen Hersteller, Aufträge mit anderen Firmen zu teilen. Das heutige Markendenken, wie wir es kennen, existierte damals noch nicht und so war diese Praxis kein Hinderungsgrund. Namen wie Minerva, Revue Thommen, Alpina und andere erlangten so doch eine gewisse Bedeutung.
Konsequenz dieser hohen Nachfrage war ein vermehrtes Gefühl der Abhängigkeit von der schweizerischen Uhrenindustrie.
Die unsichere Zukunft und der damit verbundene drohende Verlust eines wichtigen Zulieferers von Präzisionsinstrumenten veranlassten daher manche Nation, eigene Forschungs- und Herstellungsbetriebe zu errichten. Meist standen diese unter der direkten Aufsicht der nationalen Observatorien und garantierten ein unabhängiges Know-how. Ein kompliziertes und schwer verständliches Unterfangen, welches ohne Konsequenzen blieb.1944 verlangte das britische Kriegsministerium nach einer Universal-Uhr für die vielseitige Verwendung im Heer. Die «Spezialuhr für Flieger» der Schaffhauser Manufaktur IWC wurde nach einer Überarbeitung unter der Bezeichnung W.W.W. (WATCH, WRIST, WATERPROOF) in einer Auflage von 6000 Exemplaren an das Vereinigte Königreich geliefert. Die W.W.W. wurde an das britische Heer geliefert; in den widrigen Umständen (Schlamm, Feuchtigkeit, Schläge) bewährte sich die W.W.W. aus dem Hause IWC. Dies war der Grund, warum die RAF letztlich IWC beim Auftrag für die Mark 11 favorisierte. . Die Mk11 mit der eigenen Bezeichnung Navigators Wrist Watch Mark 11, Store Ref.6B/346atch‘ wurde von der Royal Air Force 1948 in Schaffhausen bestellt und ab November 1949 an die fliegende Truppe der RAF und andere Commonwealth-Staaten ausgeliefert.
Diese Uhr – aufs Nötigste reduziert – fand sich 1953 auch am Handgelenk von Polarforscher und Bergsteiger Sir Edmund Hillary, als er die Antarktis durchquerte. Charakteristisch für die Uhr ist ihr zweites antimagnetisches Gehäuse, welches das Werk vor magnetischen Feldern schützt. Die Mk 11 wurde über Jahre gebaut. Insgesamt wurden 8000 Exemplare ausgeliefert, unter anderem an die Royal Air Force, die australische Luftwaffe RAAF, die neuseeländische Luftwaffe und die BOAC – Britisch Overseas Airways Corporation. Noch lange über das Einführungsjahr hinaus wurde die bisweilen zur Legende arrivierte Mk 11 hergestellt und ausgeliefert. Die RAF ihrerseits musterte die Uhren 1981 aus und die letzten Exemplare wurden 1984 an Detaillisten ausgeliefert. Als Leuchtmasse verwendete man seit 1963 Tritium an Stelle von Radium – dies wurde auf dem Zifferblatt mit dem Buchstaben T in weisser Farbe gekennzeichnet.
Die Nachkriegsjahre
Nach dem Kriegsende machten sich auf dem Bereich der Fliegeruhren verschiedene Veränderungen bemerkbar: Im militärischen Bereich wurden nun oft Aufträge mit sogenannten Allianz-Partnern vergeben.
Die neue strategische Ausrichtung der Westmächte machte auch vor der Uhrenindustrie keinen Halt, denn bei militärischen Aufträgen wurde nun auch der Nato-Code auf dem Gehäuseboden eingraviert. So zum Beispiel bei der im Jahre 1949 lancierten OMEGA – einem Chronographen für die Luftstreitkräfte von England, USA und Schweden. Ein silberfarbig galvanisiertes Zifferblatt und Leuchtindizes einschliesslich Zeigern aus Radium sorgten für die Lesbarkeit bei Nacht. 1953 übernahm OMEGA auch das Prinzip, ein zweites antimagnetisches Gehäuse einzubauen, ebenfalls um die magnetische Strahlung zu limitieren. Die Rundum-Abschirmung erreichte bei dieser Uhr 900 Oersted gegenüber 60 Oersted für eine normale antimagnetische Uhr. Geliefert wurden diese Uhren auch an die englische Luftwaffe. Von dieser Uhr wurden insgesamt 5900 Exemplare ausgeliefert.
Aber auch im zivilen Bereich hielt die Nachfrage an. Manche Airline nahm nach dem Krieg den Betrieb wieder auf und bestellte neue Flugzeuge.
So konzipierte Longines eine Uhr nach den Bedürfnissen der Navigatoren, das heisst, um damit einen Flugplan zu erstellen, und im Jahre 1950 wurde diese Uhr an die Swissair ausgeliefert. 1952 wurde die Pilotenuhr Navytimer von Breitling von der AOPA als Standardchronometer empfohlen.
Mit der Lockheed Constellation erreichte die Transatlantik-Fliegerei in den 50er und 60er Jahren einen neuen Höhepunkt, galt dieses Flugzeug doch als Inbegriff des luxuriösen Reisens in der Luft. Ausgerüstet mit bequemen Schlafkabinen, erreichte der Passagier im Nonstop-Flug über Nacht seine Destination in Europa mit der damaligen Trans-World-Airways von New-York–Barcelona nach Rom. OMEGA übernahm den Namen als Bezeichnung füreine Uhrenlinie, welche zwar den Charakter der abenteuerlichen Fliegerei nicht mehr einfängt und die Uhr auch nicht mehr als Instrument definiert, dafür aber im Design der stromlinienförmigen und avantgardistischen Form des Flugzeugs gerecht wird.
Um 1960 wurde der Luftraum auch für die Uhrenindustrie zu klein, und man fing an, sich auch um die Zeitmessung ausserhalb unseres PlanetenGedanken zu machen. An Bord der Aurora-7-Kapsel trug Scott Carpenter 1962 eine Breitling Cosmonaute, und als am 26. Juli 1971 die ersten Astronauten der NASA ihren Fuss auf den Mond setzten, verhalf dies OMEGA zum wohl berühmtesten Firmenauftritt jener Epoche. Das Kapitel der Fliegeruhren erreicht eine neue Dimension.
Revival
In den 90er Jahren wird man sich allgemein der vergangenen Zeiten mehr bewusst. Abenteuer und Geschichten aus vergangener Zeit finden vermehrt Eingang in die Formensprache der Uhrenindustrie und vermitteln so nicht nur die ästhetische Auseinandersetzung mit der Uhr. Sie lädt heute den Kunden ein, an ihren Abenteuern teilzunehmen und ihm einen Teil der Vergangenheit mitzugeben. Die Uhren tragen noch heute die Namen der Helden und Flugzeuge jener Zeit.