Vom Piratengetränk zum Gaumenschmeichler – Die bunte Welt des Rums
- 10. Juli 2012
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Er führt ein stiefmütterliches Dasein neben seinen grossen Brüdern Whisky und Cognac. Der Rum, das Enfant terrible der alkoholischen Familie. Die drei grossen fassreifen Getränke dieser Welt sind Cognac, Whisky und Rum. Während Erstere hierzulande längst als Premiumgetränk gehandelt werden, gilt der Rum verbreitet immer noch als Wintergetränk, den man als Grog geniesst. Doch die Welt des Rums ist so bunt wie die Inseln in der Karibik. Wer einmal einen Tropfen aus Guyana, Peru oder Barbados gekostet hat, wird diesem Genuss so schnell nicht mehr abschwören wollen.
Die Geschichte des Cognacs und des Whiskys ist längst erforscht. Bei der Historie des Rums ist man oft auf Vermutungen angewiesen. Dies beginnt bereits bei der Namensgebung. Leitet sich «Rum» schlichtweg von der lateinischen Bezeichnung für Zuckerrohr, Saccharum officinarum, ab oder liegt der Ursprung im malaiischen Wort «brum», einem dort schon sehr lange bekannten Getränk, welches ebenfalls aus Zuckerrohr hergestellt wird. Ein weiterer Erklärungsversuchbezieht sich auf die Auswirkungen, die durch die Einnahme von frisch vergorenem, ungereiftem und hochprozentigem Zuckerrohrsaft entstehen konnten. Häufig kam es zu Klagen über ein «rumbustious behaviour», ein derbes, ungezügeltes Verhalten. Ähnlich die Herleitung vom englischen Wort «rumbullion», einem Slangausdruck für Unruhe oder Aufruhr, welche unweigerlich entstanden, wenn grössere Mengen des Getränkes zu sich genommen wurden.
Getränk der Sklaven und Piraten
Wenn auch die Namensgebung im Unklaren liegt, so ist der Ursprung des Rums ziemlich sicher. In den Plantagensystemen der Zuckerrohrproduktion entdeckten Arbeiter bei ihrer täglichen Arbeit, dass Melasse, ein Nebenprodukt der Zuckerherstellung, unter bestimmten Bedingungen zu gären beginnt und eine alkoholische Lösung bildet, die man mit einfachsten Mitteln destillieren konnte. Diese war zwar kaum zu geniessen, sorgte aber beim Konsumieren für einen kräftigen Rausch, welcher die Arbeit der Sklaven für eine kurze Zeit erträglicher erscheinen liess.
Populär wurden der Rum und seine Vorfahren jedoch durch Freibeuter und Piraten, die ihn gezielt zur Förderung der Kampfmoral auf ihren Schiffen nutzten. Um dem etwas entgegenzusetzen, wurde von 1655 an bei der British Navy den Mannschaften ebenfalls eine tägliche Ration Rum, später Grog ausgeschenkt. Diese Tradition endete erst im Jahre 1970.
Ebenfalls im 17. Jahrhundert begann das Volk in England und Nordamerika, neben dem Geschmack einen anderen Vorteil des Rums zu schätzen: den günstigen Preis. Vor allem die durch die Sklavenausbeutung niedrigen Produktionskosten sorgten für rasante Verbreitung. Der Rumkonsum in England stieg beispielsweise von 207 Gallonen im Jahr 1698 auf über zwei Millionen Gallonen jährlich ab 1771. Dieser Rum hatte jedoch nichts mit dem Getränk gemein, welches wir heute trinken. Er war ungereift, hochprozentig und scharf. So war der Rum bis zum beginnenden 19. Jahrhundert für die Oberschicht Europas keine Alternative zum spanischen Brandy oder zum französischen Cognac. Er blieb das Getränk der einfachen Leute.
Die Geburtsstunde des Cocktails
Zwei Entwicklungen sollten dies ändern. Im Jahre 1740 veranlasste Edward Vernon, in Sorge um die Kampfkraft seiner Truppe, die tägliche Ration Rum an seine Mannschaft nicht mehr pur auszuschenken, sondern mit Wasser, Limettensaft und Zucker zu strecken. Der Grog war geboren. Dies war zudem die Geburtsstunde der Rum-Mixgetränke, die später als Punsch und noch später als Cocktail die Welt eroberten und den Rum auch in den höheren Gesellschaftsschichten salonfähig machten.
Zudem wurde bis weit ins 19. Jahrhundert Rum ausschliesslich in Pot Stills hergestellt. Dabei entsteht ein sehr geschmacksintensiver, aber auch sehr schwerer Rum. Besonders Spanien strebte aber nach einem feineren und milderen Getränk, welches es mit Brandy und Cognac aufnehmen konnte. Diesem Wunsch kam die Erfindung und Weiterentwicklung einer zweiten Destilliermethode Mitte des 19. Jahrhunderts entgegen: die Column Stills mit einem Alkoholgehalt von bis zu 95 Volumenprozent. Die Chance, die dieses Verfahren mit sich brachte, entdeckte als Erster ein spanischer Einwanderer auf Kuba namens Don Facundo Bacardi i Massó. Seit 1862 hatte er nur eines im Sinn: einen Rum für den gehobenen Geschmack herstellen. Der Column Stills Rum ist leichter und samtiger, jedoch weniger komplex und mit geringer Aromenvielfalt. Diese Eigenschaften prädestinierten ihn, als Grundzutat vieler Cocktails zu dienen, da er weniger dominant wirkt und somit die übrigen Zutaten hervorragend zur Geltung kommen lässt. Bacardi traf den Zeitnerv nach leichten alkoholischen Getränken, und sein Name wurde zu einer der erfolgreichsten Marken der Welt. Gerade dieser leichte Rum und seine vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten sorgten während der Prohibition in den USA von 1919–1933 für einen intensiven Reiseverkehr nach Kuba. Es entstand eine völlig neue Kultur. Bars wurden eröffnet, die Barkeeper erfanden immer neue Cocktails, dazu die Lebensfreude und die Musik der Kubaner – alles drehte sich nur noch um ein Getränk: den Rum. Diese Welle erreichte schliesslich auch Europa und die USA.
Von Kolonialmächten geprägt
Im Laufe der Jahrhunderte entwickelten sich unterschiedliche Herstellungsmethoden, und zwar in Abhängigkeit von den Kolonialgebieten, in denen sie entstanden. Heute gibt es drei massgebliche Rumstile: der kubanische, der französische und der Jamaika-Stil.
Den kubanischen Stil zeichnen überwiegend leichte und sehr reine Rums aus. Er ist überwiegend auf Kuba, Puerto Rico und in der Dominikanischen Republik zu Hause: Aus der im Vergleich zu anderen Rums relativen Körperarmut resultiert ein kürzerer Reifungsprozess. Die meisten Vertreter dieser Schule erreichen bereits mit fünf bis sieben Jahren den Höhepunkt ihrer Entwicklung. Längere Lagerungszeiten führen oft zu starken vanillig-würzigen Einflüssen des Eichenholzes. Diesen Stil nennt man auch «Spanischen Stil», da er dort in der Karibik zu finden ist, wo Spanisch gesprochen wird. Bei sommerlichen Temperaturen munden diese Rums am besten.
In den französischen Überseegebieten Martinique, Guadeloupe, Marie-Galante, La Réunion und Haiti hat sich ein ganz eigener Rumstil etabliert. Der Rhum agricole. Er wird nicht aus Melasse, sondern direkt aus Zuckerrohrsaft hergestellt. Diese Rumsorte zeichnet sich durch eine schöne Fruchtigkeit und sehr komplexe Aromen aus. Ihm fehlt die melassige Süsse und Süffigkeit, dadurch eignet er sich ideal zum Einsatz als Aperitif. Der Jamaika-Stil hingegen steht für Rum, der überwiegend aus Pot Stills gewonnen wird. Da England an den schweren Rums festhielt und jene gegenüber den leichteren spanischen präferierte, sind dies in der Hauptsache die Destillate aus den englischsprachigen Kolonien wie Guyana, Bermuda und eben Jamaika. Diese sind für ihre Nachhaltigkeit und Aromenvielfalt sowie Intensität bekannt und bestens geeignet für einen kalten Wintertag vor dem knisternden Kamin.
Diese Einteilung ist ein erster Weg durch das Dickicht der weitverzweigten Rumwelt. Dabei darf man jedoch nicht vergessen, dass jeder Rum und jedes Land im Laufe der Jahrhunderte einen eigenen Stil entwickelt hat. Aber es ist spannend und schön, diese verschiedenen Nuancen für sich zu entdecken und den Rum aus seinem stiefmütterlichen Dasein herauszuholen.