
Vivian Maier – Allein, nur mit ihrer Kamera
- 20. Juli 2015
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Es klingt fast wie in einem Märchen, wenngleich die Hauptperson das Happy End nicht miterleben durfte. Als der junge Hobby-Historiker John Maloof 2007 rund 100’000 Filmabzüge sowie Negative auf einer gewöhnlichen Hausratsauflösung erwarb, war ihm gewiss nicht bewusst, dass er einen bemerkenswerten Fund gemacht hat. Maloof schrieb damals an einem Geschichtsbuch und war in diesem Zusammenhang auf der Suche nach alten historischen Stadtaufnahmen. «I found this box, that was loaded with negatives. The auction-house told me the photographer. Her name was Vivian Maier.» Für 380 Dollar erhielt er – nichts ahnend – einen Teil von Vivian Maiers Negativen. Ein reiner Zufallsfund, welcher sein Leben – und posthum auch das von Vivian Maier – verändern sollte.
Finding Vivian Maier
Beim näheren Betrachten der Negative musste Maloof feststellen, dass diese für sein Buch nicht geeignet waren. Es waren Aufnahmen aus Chicago in den 50er- und 60er-Jahren mit spielenden Kindern, Bettlern, einer verträumten Dame vor dem Schaufenster, Autos und Überlebenskünstlern. Kurz: Momentaufnahmen des alltäglichen Strassengeschehens einer Grossstadt. Da Maloof jedoch eine gewisse Sympathie für die Bilder empfand, veröffentlichte er nach und nach die Fotos auf seinem Internetblog. Die Reaktionen darauf waren aufsehenerregend, die Fotos faszinierten jeden, der sie zu Gesicht bekam. So beschloss er, dem Mysterium der Bilder auf den Grund zu gehen und die Spuren einer bis dahin unbekannten Fotografin aufzunehmen. Als er ihren Namen bei Google suchte, bekam er jedoch keinen Treffer, erst zwei Jahre später brachte ihn eine Todesanzeige auf die Spur der Fotografin. Nun konnte er endlich mit den Recherchen über die mysteriöse Frau beginnen und hielt seine Suche mit der Filmkamera fest.
Durch den bemerkenswerten Dokumentarfilm «Finding Vivian Maier» wurde aus einem unbekannten Kindermädchen eine weltweit bekannte Fotografin. Maloof besuchte Familien, in denen sie über 40 Jahre als Kindermädchen arbeitete. Durch Gespräche mit Bekannten und längst erwachsenen Pflegekindern entstand ein anderes, ein sehr privates und psychologisches Bild von Vivian Maier als das, welches ihre künstlerischen Arbeiten vermuten liessen. Spannend wie ein Krimi und melancholisch wie das Porträt eines unterschätzten Sonderlings. Die Geschichte ist eine späte Entdeckung der Kunstwelt und zugleich eine Rekonstruktion einer Person voller Rätsel.
Das geheime Auge
Heute gilt Vivian Maier als eine der wichtigsten Fotografinnen der Welt, und doch hat zu ihren Lebzeiten nie jemand eine ihrer Fotografien gesehen. Nie hat sie eine Ausbildung zur Fotografin absolviert und doch fotografierte sie mit ihrer zweiäugigen Rolleiflex in einer unfassbaren Qualität. Anscheinend wusste sie ganz genau, was sie tat, denn Vivian Maier war ihrer Zeit weit voraus. Sie fotografierte von den 50er- bis in die 80er-Jahre hinein alles, was ihr vor die Linse kam. Mit den ihr anvertrauten Kindern zog die Nanny in die schäbigsten Gegenden – immer mit ihrer Kamera um den Hals. Sie dokumentierte das Leben und die Menschen auf der Strasse. Ihr fotografischer Blick fasziniert noch heute. Sie liebte die kleinen Details wie knochige Kinderknie, ein ausgebrannter Sessel oder bestrumpfte Damenbeine. Und so sehr sie als Sonderling und Einzelgänger bezeichnet wurde, sie muss die Menschen gemocht haben. Ihre feinfühlige Art versteckte sie jedoch stets hinter ihrer Kamera. Sie schaute immer nach unten in den Fotoapparat und suchte nie die frontale Aufmerksamkeit. Doch sie blickte nicht nur durch das Kameraauge, sondern den Menschen direkt in das Innenleben. Mit einem wunderbaren Gespür für die Menschen und den Ort gelang ihr somit eine fast persönliche, ganz private Begegnung mit den ihr völlig fremden fotografierten Menschen. «Man möge mir das Klischee verzeihen, aber ein Bild von Vivian Maier sagt mehr als tausend Worte. Jedes Foto erzählt eine Geschichte … Die Bilder ohne Gesichter und ohne Menschen sind nicht weniger aussagekräftig als diejenigen, in denen die Fotografierten in die Kamera blicken.» So schwärmt die Schriftstellerin Laura Lippmann im Vorwort der grossen Monografie zu Vivian Maier. Wären Maiers Bilder in den 60er-Jahren entdeckt worden, würde sie heute gewiss zu den prägenden Künstlerinnen der Strassenfotografie zählen.
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