
Urlaubsreise ins Ich
Anna Karolina Stock
- 22. Juli 2020
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In den 1970ern noch Aussteiger-Paradies, heute bekannt für Massentourismus und Full-Moon-Partys: Koh Samui im Golf von Thailand. Im Kamalaya Resort hingegen weht ein ruhiger Wind. Wer hierherkommt, möchte zu sich finden und an sich arbeiten.
«Aufwachen … aufwachen!», flüstert eine zurückhaltende Stimme mit thailändischem Akzent. Anyas Hand streicht sanft über meinen Arm. «Aufwachen», wiederholt die Thailänderin leise. Eingehüllt in ein Baumwolltuch finde ich mich auf einer Massageliege wieder. Die schläfrigen Augen noch geschlossen spüre ich meinen schweren, müden Körper. Ich höre, wie der Regen auf das Dach des offenen Behandlungsraums trommelt. Die schützenden Regenplanen an den Fenstern wehen dazu im Wind. Allzu viel weiss ich von der 90-minütigen Vitalmassage nicht mehr – entspannend war sie, denke ich. Und so beruhigend, dass ich am helllichten Tag eingeschlafen bin. Ich lausche den Regentropfen, spüre meine müden Glieder. Ein Gefühl, das ich schon lange nicht mehr hatte.
Von diesem bewussten Denken und Fühlen war ich weit entfernt, als ich im «Kamalaya» – aus dem Sanskrit übersetzt «Reich des Lotus» – auf Koh Samui ankam. Weit entfernt von mir selbst, immer damit beschäftigt, mich von Aufgabe zu Aufgabe, von Termin zu Termin zu hangeln, ohne Achtsamkeit für mich oder das Leben, welches nicht gestern oder morgen, sondern jetzt stattfindet. Dem wollte ich ein Ende setzen, meine Prioritätenlisten überdenken, neu und gesünder gestalten, Geist und Körper wieder bewusst wahrnehmen. Klingt esoterisch? Fühlt sich aber gut an.
Kontrastprogramm zur Aussenwelt
In den 1970er Jahren galt Koh Samui noch als Geheimtipp für Hippies und Aussteiger, doch mit der Eröffnung des Flughafens im Jahr 1989 haben sich Pauschal- und Massentourismus auch hier breitgemacht. Spätestens seitdem die Insel 2004 vom Tsunami verschont geblieben ist, wimmelt es nur so von Touristen, die auf der Suche nach Sonne, Strand und Party sind. Besonders an den touristischen Hotspots Chaweng Beach und Fisherman’s Village reihen sich Garküchen an Restaurants mit europäischer Küche, Bars und Souvenirläden. Shoppingmeilen und Vergnügungsviertel sind voll von «Happy Hour»-Angeboten und hupenden Motorrollern.
Ein absolutes Kontrastprogramm bietet das an der Südküste gelegene «Kamalaya», ein ganzheitliches Healingresort, das auf die Natur als kraftspendendes Element und ein empathisches Verständnis für das Individuum setzt. In der Tat handelt es sich um einen ganz besonderen Ort, an dem der Kanadier John Stewart und seine mexikanische Frau Karina 2005 ihr Wellnessrefugium eröffneten. 76 Villen, Suiten und Zimmer sind inzwischen in die tropische Vegetation am steilen Hang verteilt, der mit Blick über den Golf von Thailand zum Laem Set Beach ausläuft. Herzstück des weitläufigen Geländes ist eine kleine Höhle, in deren Stille sich einst buddhistische Mönche zum Meditieren zurückzogen. Für die Stewarts war die Felsgrotte genau der Kraftort, den sie gesucht hatten, um ihre Vision von einer holistischen Gesundheitsoase, die westliche und östliche Heilmethoden kombiniert, zu realisieren.
Die Idee dazu fiel nicht weit vom Stamm: John Stewart lebte selbst 16 Jahre als zurückgezogener Mönch in einer kleinen Gemeinde im Himalaya. Karina ist Ärztin für Traditionelle Chinesische Medizin. Seine Lebensweisheiten und ihr medizinisches Fachwissen lassen sie von Anfang an in ihr Resort einfliessen. Auch die einheitliche gelbe Kleidung erinnert nicht zufällig an die Gewänder buddhistischer Mönche. Die Angestellten – egal, ob sie in der Küche, im Service oder im Spa arbeiten – sind Teil der «Kamalaya»-Gemeinschaft, deren Ziel es ist, ein gesundes Leben mit ausgewogener Ernährung und geistiger Ausgeglichenheit zu propagieren. Aber nicht in Klosterzellen und mit trister Diätkost, sondern so, dass es Menschen rund um den Globus begeistert: in einer Mischung aus Aschram und Luxushotel.
Eine Reise ins Ich
Getreu dem Motto «Feel Life’s Potential» checken im «Kamalaya» mehrheitlich Gäste ein, die ihr Leben als Sackgasse empfinden, nicht weiterwissen, aber etwas verändern wollen. Sie kommen, um begleitet von Heilpraktikern, Ärzten, Life-Coaches, indischen Ayurveda-Gelehrten, thailändischen Masseurinnen und aufmerksamen Angestellten ihr Leben neu zu ordnen, zu entgiften, abzunehmen, Kraft zu tanken oder einfach innere Ruhe zu finden. Statt zum Badestrand schreiten sie in Sari-Tüchern oder Bademänteln von Anwendung zu Anwendung: Massagen, Reiki, Chi Nei Tsang, Akupunktur, dazu Meditation, Pilates, Yoga und Qi Gong. Stets mit dem Ziel, eine tiefere Verbindung zu sich selbst aufzubauen: «Reconnecting» ist ein viel gehörtes und gesehenes Wort – sei es in Gesprächen, als gelebtes Mantra bei Meditation und Pranayama oder als Titel auf zahlreichen Broschüren.
Sich zurückzubesinnen und zu leben, anstatt nur zu funktionieren, war auch das Ziel von Leila Abachi, als sie ihren Job in England aufgab und als Heilpraktikerin im «Kamalaya» anfing. Die Britin wollte den stressigen Alltag hinter sich lassen, gesünder leben und zu sich selbst finden. Seitdem sie den «Kamalaya»-Gästen dabei hilft, sich mehr auf Geist und Körper zu besinnen, ist sie selbst glücklicher, verrät sie mir bei unserer ersten Sitzung.
Der anfängliche Check-up mit bioelektrischer Impedanzanalyse und Gesundheitsberatung ist ein wichtiger Bestandteil der «Kamalaya»-Programme, die anhand der ermittelten Ergebnisse individuell auf die persönlichen Bedürfnisse angepasst werden. Viel reden muss ich bei meinem Gesundheitscheck nicht. Leila weiss, welche Fragen sie stellen muss, um meine Laster und Probleme aufzudecken. Sie spürt meine Anspannung, sieht meine nervösen Blicke – und hat mich schon durchschaut. Leila erkennt sofort, dass auch ich eine dieser Stressgeplagten bin, für die Entspannung ein Fremdwort ist, deren Tag stets zu wenig Stunden hat, die ihre Bedürfnisse kleinreden, ignorieren und sich einbilden, es ginge nicht anders.
Digitaler Detox
Nach nur 15 Minuten verkündet mir Leila – eine völlig Fremde, wohlgemerkt –, woran ich in den darauffolgenden Tagen arbeiten soll: zur Ruhe kommen, mit einem gesunden Frühstück in den Tag starten (statt mit zwei grossen Tassen Kaffee!), meinem Stressproblem auf den Grund gehen und Lösungen für den Alltag finden. Leichter gesagt als getan. Vor allem, wenn man es nicht gewohnt ist, mit seinen Gedanken allein zu sein – und gleichzeitig digitale Entgiftung an der Tagesordnung ist. Denn jeder Gast ist dazu angehalten, das Handy im Zimmer zu lassen – nur dort darf telefoniert werden. Fernseher gibt es gar nicht. Wer nicht auf Internet verzichten kann, bekommt pro Woche eine Stunde WLAN geschenkt. Zusätzliches Datenvolumen kostet.
Erstaunlicherweise nehmen zahlreiche Gäste den digitalen Entzug ernst. Bei den Mahlzeiten führt das zu einem äusserst ungewöhnlichen Bild: Menschen, die einfach nur essen und dabei stillschweigend die Aussicht geniessen, mit ihrem Gegenüber den Tag rekapitulieren, ein Buch lesen oder ihre Gedanken aufschreiben. Viele führen eine Art Tagebuch als Teil des «An sich Arbeitens», machen sich Notizen zu Therapiesitzungen und Gesprächen mit Mentoren.
Erholung und Arbeit
Im «Kamalaya» lebt es sich nach dem Motto «Alles kann, aber nichts muss». Jeder bestimmt selbst, wie sehr er sich auf die angebotene Hilfe der Experten einlässt. Wer keinen Seelen-Striptease vor Life-Coach Smitha Jayakumar vollziehen möchte, muss das auch nicht. Doch manchmal braucht es gerade einen Fremden, der uns den ungeschönten Spiegel vorhält und genau das anspricht, was wir so erfolgreich in die hinterste Ecke unseres Bewusstseins verdrängt haben. Mir hilft es zumindest bei der Selbsterkenntnis, dass sich etwas ändern muss.
Da ein Urlaub im «Kamalaya» nicht nur Erholung, sondern auch Arbeit an sich selbst ist, begegnet man tagsüber kaum jemandem auf dem weitläufigen Gelände. Selten sind zwei Gäste gleichzeitig im Pool oder in einem der Dampfbäder anzutreffen, obwohl das Hotel ausgebucht ist. Erst am allabendlichen Gemeinschaftstisch, an dem jeder Gast nach Lust und Laune Platz nehmen darf, wird es gesellig. Besonders angenehm ist das für Single-Reisende, die sich bei frisch gepressten Detox-Säften und kulinarischen Hochgenüssen wie Mungobohnen-Pasta oder Kürbis-Curry austauschen wollen. Gesunde, leckere Mahlzeiten sind ein essentieller Bestandteil des «Kamalaya»-Konzepts. «Nur wer sich gut ernährt, fördert Vitalität und Gesundheit», erklärt Leila. Nicht umsonst betrachten alle holistischen Gesundheitslehren Essen als Medizin.
Ob man das «Kamalaya» darüber hinaus als «neuer» Mensch verlässt, sei dahingestellt. Seelischen Ballast einfach abzuwerfen, ist schwer. Doch man fährt tatsächlich mit inspirierenden Ideen, Einsichten und Plänen nach Hause. Und dank der ausgewogenen Ernährung tritt man die Heimreise zumindest körperlich deutlich leichter an.
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