Unwesen der Tiefe
- 7. September 2016
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Zwei Drittel unseres Planeten sind von Wasser bedeckt. Unter den blauen Wellen tut sich eine Welt auf, die noch immer fremd und zu grossen Teilen unbekannt ist. Seemannsgarn, Glaube und gelegentliche Funde haben über Jahrtausende die Phantasie angeregt und die Meere mit unzähligen Ungeheuern belebt. Auf alten Seekarten sind Monster und Schrecken der Tiefe eingezeichnet. Wo unbekanntes Land war, dort hat man die Karten weiss gelassen und «Hic sunt dracones», hier leben Drachen, geschrieben. Wo die gefährlichen Meere beginnen, dort verzierte man die Seekarten mit Seeschlangen und anderen Ungeheuern.
Die alten Monster
Noch heute steigt im japanischen Kino Godzilla aus der Tiefe auf und verwüstet Metropolen wie ein Erdbeben. Der Glaube, dass die sonnenlosen Tiefen von schrecklichen Wesen belebt sind, ist alt und verbreitet. Vor 3000?Jahren lebten im Mittelmeer noch seltsame Wesen. Poseidon war bei den alten Griechen der Gott des Meeres. In seinem Reich lebten neben Fischen und Delphinen noch manche Wesen aus der Urzeit. Wie in einem Labor eines verrückten Genetikers gab es dort Geschöpfe, bei denen sich menschliche Glieder mit denen von Tieren ergänzen. Und wie es sich für Monster gehört, wollen sie Seefahrer ins Verderben stürzen. Der grosse Odysseus musste zwischen Skylla, einem Wesen mit dem Oberkörper einer Frau und dem Unterleib aus sechs Hunden, und Charybdis hindurchfahren. Sechs seiner Freunde wurden gefressen. Die Medusa, die statt Haaren Schlangen auf dem Kopf hat, stammt auch aus der Tiefe. Das Alte Testament kennt ebenfalls Monster aus der Tiefe. Leviathan ist ein Ungeheuer zwischen Krokodil, Schlange und Wal, vor dem deutlich gewarnt wird: «Vergreife dich nur einmal an ihm: Mache dich auf Kampf gefasst!» Die Mischwesen kann man noch heute an alten Kirchenfassaden als Wasserspeier betrachten.
Seemannsgarn
Im Mittelalter glaubte man, dass alle Lebewesen von Gott erschaffen sind. Und weil man glaubte, dass der Mensch Gott ähnelte, hat man dem Schöpfer auch eine gewisse Logik beim Kreieren unterstellt. So dachte man unter anderem, dass Tiere, die auf dem Land lebten, ihren Gegenpart unter Wasser hätten. Noch heute erinnern die Namen von so manchem Tier an diese Logik: Seelöwe, Seepferd oder Seehund. Alles war vorstellbar, als die grossen Entdeckungsfahrten begannen. Und die Seeleute brachten phantastische Geschichten und Beschreibungen mit – teils erfunden, teils nach bestem Wissen. Portugiesen, die als einzige Christen den Seeweg nach Indien entdeckt hatten, erzählten von schrecklichen Seeungeheuern, die Schiffe angreifen, um andere von der lukrativen Fahrt abzuhalten. Auch die Menschen im Norden erzählten von schrecklichen Tieren in ihren Gewässern, um alleine zu bleiben. Riesige Hummer, die Menschen mit ihren Klauen in die Tiefe ziehen, riesige Fische mit Zähnen wie Säbel, die Schiffe angreifen, und schöne Menschengestalten, die wie Sirenen Seefahrer ins Verderben locken.
Die Wissenschaft
Auf alten See- und Weltkarten finden sich allerlei Monster: Manche sollen nur die Karte verschönern, andere zeigen aber, was man dort vermutet oder gesehen hat. Letztere haben Namen und tauchen auch in wissenschaftlichen Schriften auf. Abraham Ortelius beschreibt 1603 zum Beispiel den «Steipereidur»: einen Wal mit Zähnen und einem Kopf wie ein Wildschwein und zwei Blaslöchern, der für Seefahrer gegen andere Wale kämpft. Und Olaus Magnus berichtet 1539 von einem Fisch, der 1537 ans Land gespült wurde: «Es hatte einen Schweinekopf, vier Füsse wie ein Drache und zwei Augen an jeder Seite seiner Lenden. Hinten hatte es einen Schwanz wie ein gewöhnlicher Fisch.» Noch im 17.?Jahrhundert berichten Johann Zahn und Caspar Schott (beides Professoren) glaubhaft von Fischmenschen – halb Mensch, halb Fisch –, die man gefunden habe. Und wer noch keine fliegenden Fische gesehen hat, der könnte sie auch ins Reich der Phantasie stecken…
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