The Gambino Family: Teil II – Paul Castellano
- 29. November 2012
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Der König ist tot, lang lebe der König! Carlo Gambino, der schlaue Fuchs mit der legendären Intuition, bestimmte bereits zu Lebzeiten seinen Nachfolger. Eine fatale Fehlentscheidung, wie sich später zeigen sollte. «Big Pauli», Paul Castellano, ist mehr Geschäftsmann als Mobster, verschlingt Berge von Essen, ist exzentrisch, gierig und impotent. Doch er ist Carlos Cousin und jetzt das neue Oberhaupt einer der mächtigsten Mafia-Dynastien.
Blutsbande
Blut ist dicker als Wasser und innerhalb der Gambino-Familie so klebrig wie Harz. Carlos Söhne besetzen weder Ämter im Mafia-Imperium, noch sind sie scharf auf seinen Thron. Paul Castellano operiert seit Jahren treu ergeben an Carlos Seite, ist Freund und Blutsverwandter in einem und es ist seine Familie, die Carlo damals verhalf, im fernen Amerika Fuss zu fassen und ein Milliarden Dollar schweres Reich zu erschaffen. Mit 22 Jahren festigt Paul durch die Heirat mit einer entfernten Cousine und zugleich Schwägerin von Carlo Gambino seine Beziehung im Netz der Mafia. Nina Mano ist eine typische italienische Lady, die mit ihren Hausangestellten das Abendessen bespricht, wie eine Glucke über die vier gemeinsamen Kinder wacht und jahrelang Pauls sexuelle Eskapaden erduldet.
Der Signor
Paul Castellano spielt eine Schlüsselrolle innerhalb der Gambinos, liebt schicke Autos, trägt massgeschneiderte Business-Anzüge und liest das «Wall Street Journal». Er kennt sowohl die seriösen als auch die verbotenen Geschäfte von der Pike auf und tanzt auf zwei Hochzeiten gleichzeitig. In den Augen der anderen Mobster, die morden, entführen, stehlen und betrügen, ist er ein moderner Lord Fauntleroy , dem durch seine Beziehungen ein Imperium in den Schoss gelegt wurde, das einem von ihnen zugestanden wäre und nicht Paul. Aniello Dellacroce, der sich mit der Funktion als Unterboss begnügen muss, ist eine der gefürchtetsten Individuen überhaupt. «Er hatte keine Augen», erzählt Joseph Coffey, ehemaliger New Yorker Mob-Jäger, «er hatte Röntgenapparate in den Augenhöhlen, die von so einem grellen, stechenden Blau waren, dass er Menschen förmlich durchbohren konnte. Er sah aus wie das Kind der Verdammten.» Dellacroce gehört zur alten Garde der Mobster, die ihrem Boss mit absoluter Loyalität treu ergeben sind, und akzeptiert seine «Degradierung», nur der Unterboss von Castellano zu sein, schweigend.
Im Schneckenhaus
Während Carlo Gambino mit seiner Familie bescheiden in einem gutbürgerlichen Backsteinhaus gelebt hatte, baut sich Castellano für 3,5 Millionen Dollar ein riesiges Anwesen auf Staten Island, das wie das Weisse Haus in Washington aussehen soll. Isoliert vom Leben der anderen Mobster und Familien, sitzt er auf dem Gipfel seines Hügels und ignoriert den wachsenden Missmut und die immer stärker werdende Ablehnung der anderen Mafia-Mitglieder. Carlo Gambino hatte sich um die Bedürfnisse und Anliegen seiner Mitarbeiter und Untergebenen gekümmert. Paul Castellano hingegen ist ein geldgieriger Raffzahn, kapselt sich immer stärker ab, ist arrogant, teilt seine Freizeit mit den Vorstandsvorsitzenden einflussreicher Wirtschaftsunternehmen und speist mit der High Society im New Yorker Sparks Steak House. Obwohl ihn die Heirat mit Carlo Gambinos Schwägerin an die Spitze der Mafia-Familien gebracht hat, ist er unglücklich. Paul leidet an Diabetes und einer damit verbundenen Nebenerscheinung, sexueller Impotenz. Seine Frau Nina und er schlafen in getrennten Schlafzimmern und die Momente trauter Zweisamkeit und Nettigkeit sind selten. Dem kubanischen Dienstmädchen Gloria, dem er zwei Clown-Puppen schenkt, sagt er: «Ich habe viel Geld in der Tasche, Gloria, und sonst gar nichts. Ich bin ein einsamer Mann. Es ist deine Aufgabe, mich zum Lachen zu bringen.» Glorias Aufgabengebiet wird erweitert, und als die Soldaten in den Strassen von Pauls Affäre mit dem Dienstmädchen hören, ist es Paul, der sich wie ein Clown benimmt. Die Gambinos distanzieren sich immer mehr von ihm, bis sie ihn am Ende nur noch hassen. Allen voran sein Erzfeind John Gotti.
Doppelleben
Die Rollen des einerseits erfolgreichen New Yorker Wall-Street-Geschäftsmannes und andererseits mächtigsten Mannes der Mafia sind ein Balance-Akt auf einem sehr dünnen Seil, an dem die Nager der unteren Hierarchien unermüdlich knabbern. Pauls Zerrissenheit zwischen Einsamkeit und dem krankhaften Zwang, respektiert zu werden, lassen ihn zu einem gierigen Despoten mutieren, der den Hals nicht vollkriegt und in seiner Doppelrolle immer mehr versagt. Die üblichen zehn Prozent Gewinnbeteiligung von seinen Soldaten erhöht er auf 50 Prozent, ist ein Weihnachtsgeschenk nicht pompös oder ein Briefumschlag nicht dick genug, schäumt er vor Wut. Doch es ist nicht seine Unersättlichkeit nach Essen, mehr Geld und sexuellen Spielchen mit seiner Angestellten Gloria, die Paul immer mehr von seiner Mafia-Familie entfremdet. Die Ernennung Dellacroces zu seinem Unterboss ist wie die Durchtrennung einer Nabelschnur der bis dahin gepflegten verwandtschaftlichen Blutsbande. Es ist ein unverzeihlicher Verstoss und Affront gegen die Familienehre mit ihren Traditionen.
Bündnis mit den Westies
Die Gerüchte, dass John Gotti gegen einen der wichtigsten Mafia-Codizes verstösst und mit Rauschgift handelt, verdichten sich, genauso wie Gottis Unzufriedenheit, immer mehr. Paul schert sich jedoch nicht um dessen Belange und denkt stattdessen daran, Gottis Crew aufzulösen. Wohl wissend, dass ihn dieser verhängnisvolle Fehler eines Tages den Kopf kosten wird, plant er eine Kooperation mit den «Westies», einer irischstämmigen Gang in New York, die aus Rauschgifthändlern und Profikillern zusammengesetzt ist. Castellano schlägt den Bossen der Westies, Jimmy Coonan und Micky Featherstone, einen Deal vor, dem sie nicht widerstehen können. Im Gegenzug zu den zehn Prozent Umsatzbeteiligung in ihrem Revier erteilt er ihnen die Erlaubnis, seinen und den Namen der Gambino-Familie an der West Side von Manhattan zu benützen. Die einzige Bedingung, die Castellano stellt, ist, dass er für jeden Mord die Erlaubnis dazu erteilen muss. Die Westies nehmen den Deal an.
Hell’s Kitchen
Die kriminelle Liebelei zwischen Paul Castellano sowie der Gambino-Familie mit den Westies trifft das FBI und die Behörden wie der Schlag einer Abrissbirne. Mögliche Zeugen verstecken sich wie Karnickel in ihrem Bau, während die Westies das Privileg, den Namen Gambino für ihre Gräueltaten zu benützen, bis zum Äussersten ausreizen. Das machtlose FBI wählt den direkten Weg zu Castellano und bittet ihn, seine Beziehungen zu den Westies abzubrechen. Zu viel Geld strömt jedoch aus Hell’s Kitchen auf die Konten der Mafia-Familie, als dass Castellano ein Interesse daran hätte, diese lukrative Quelle sowie seine Beziehungen zu den Westies komplett aufzugeben.
Brutus
Trotz Castellanos Wachsamkeit verwanzt das FBI sein Haus und sammelt in wenigen Monaten über 600 Stunden Gesprächsstoff, um gegen das Syndikat vorgehen zu können. Paul Castellano redet nicht nur zu viel, sondern ist noch dazu ein Lästermaul. Während den Besuchen von Angelo «Quaquaq» Ruggiero dokumentieren sie praktisch die gesamten Geschäfte und Vorhaben der Mafia. Angelo Ruggiero ist ein grossspuriger Wichtigtuer, der alles, was er irgendwo aufschnappt, weitererzählt. Wegen seiner leicht manipulierbaren Persönlichkeit nennen ihn die Mobster nicht nur «Quaquaq», sondern auch« Brutus».
Am 25. Februar 1985 werden Paul und die anderen Mitglieder des New Yorker Syndikats verhaftet, die alle an den verschiedenen Geschäften des organisierten Verbrechens beteiligt sind. Das meiste Beweismaterial stammt von den Wanzen in Castellanos Küche. Die Mobster wissen, wer ihnen dieses Desaster eingebrockt hat. Paul Castellano weiss, in welch grossen Schwierigkeit er steckt und welche Konsequenzen ihn erwarten. Als Gerüchte auftauchen, dass er mit den Behörden kooperiert, um seinen eigenen Kopf zu schützen, will John Gotti den verhassten Boss endlich umbringen. Doch Dellacroce, der treu ergebene loyale Unterboss, verbietet diesen Schachzug. Als Dellacroce stirbt, bleibt Castellano dem Begräbnis fern. Einerseits aus Angst vor dem FBI, das ihn observiert, und andererseits, weil es seinen Geschäften schaden würde, wie er sagt.
Ein Zeichen der Respektlosigkeit in der Cosa Nostra. John Gotti und die Mobster haben genug von Castellanos Allüren und Unverschämtheiten sowie der verachtenden Art gegenüber seinem langjährigen Freund und Unterboss, dessen Ableben alle Dämme bei John Gotti brechen lässt. Frank DeCicco, ein Soldat aus dem Heer der Gambino-Familie, stimmt den Plänen Gottis zu, Castellano zu eliminieren, wenn er Unterboss würde. DeCiccio erzählt Castellano, dass die Familie verärgert ist über sein Fernbleiben von Dellacroces Beerdigung, und bietet an, ein Abendessen mit dessen Sohn Armond im Sparks Steak House in Manhattan zu organisieren. Es sei die letzte Chance, dem Unterboss Respekt zu zollen.
Unehrenhafter Tod
Am 19. Dezember 1985 soll sich Castellano mit Dellacroces Sohn Armond im Sparks Steak House in Manhattan treffen, um dem verstorbenen Unterboss doch noch seinen Respekt zu zollen. Nicht wissend, dass es sich dabei um eine Verschwörung handelt, fährt Castellano nach einem Weihnachtsbummel in Begleitung seines Fahrers Thommy Bilotti zum Steak House. Als der Wagen Castellanos um die Ecke des Restaurants biegt, wird er von einem anderen Fahrzeug gerammt, in dem vier Männer sitzen. Es sind je sieben Schüsse, die Paul Castellano und Thommy hinrichten.
Diese Art der Ermordung demonstriert die absolute Respektlosigkeit für Castellano. Wenn ein Mann in der Position eines Paul Castellano auf solche Art und Weise ermordet wird, übermittelt man ihm und allen anderen, die mit ihm in Verbindung stehen, eine klare Nachricht: «Das ist Schlamm, ein kleiner Schläger, kein Mörder und schon gar nicht der Boss der Bosse.» Neun Tage nach dem Tod Castellanos treffen sich in einem Steakhouse an der Mulberry Street in Little Italy die Top-Bosse der New Yorker Mafia, um das neue Oberhaupt der Gambino-Familie zu wählen.
Für John Gotti, der in einem 2000-Dollar-Briono-Anzug in seinen 70’000-Dollar-Mercedes steigt und am Finger einen pinkfarbenen Diamantring trägt, erfüllt sich ein Lebenstraum. Er ist zum neuen Boss der Bosse gewählt worden.