The Gambino Family – Teil III – John Gotti – der «Teflon-Don»
- 27. März 2013
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«Falls du denkst, dein Boss sei ein Idiot, vergiss nicht – du hättest keinen Job, wäre er freundlicher.» Der verhasste Paul Castellano ist tot. Verachtet und getötet wie ein Stück Dreck. Mit einem Handkuss auf den hochkarätigen, pinkfarbenen Diamanten erweisen die Soldaten John Gotti nach Castellanos Tod ihre Ergebenheit. John Gotti hat sein lang ersehntes Ziel erreicht. Er ist der Boss der Bosse und das neue Oberhaupt der Gambino-Familie. John Gotti sitzt mit Salvatore «Sammy the bull» Gravano als stiller Beobachter im Auto auf der gegenüberliegenden Strassenseite, als Paul Castellano und sein Fahrer Tommy Bilotti hingerichtet werden. Das «Steakhouse Massacre» schreibt Kriminalgeschichte und Gotti, der mit seiner Art der Machtergreifung gegen alle Regeln der anderen vier New Yorker Mafia-Familien Bonanno, Colombo, Genovese und Lucchese verstösst, ist nach Al Capone der erste zeitgenössische Mobster, der in den Medien umfassend präsentiert wird. «Time», «People» und das «New York Time Magazine» platzieren den perfekt frisierten, tadellos gekleideten und zum Halbgott stilisierten Gotti auf der heissbegehrten Titelseite ihrer Magazine. Nach Al Capone ist er eines der bekanntesten Mitglieder der Cosa Nostra und der Liebling der Presse. Die Anklagen, die gegen ihn laufen, perlen an ihm ab wie Fremdstoffe von einer Teflon-Beschichtung. John Gotti ist der «Teflon-Don».
Der neue Pate
Das Weihnachtsgeschenk, das Gotti für Castellano vorbereitet hat, sind Bleikugeln in dessen Schädel. Sich selber schenkt er die Erfüllung eines lange gehegten Traums. Neun Tage nach dem Tod von Paul Castellano beschäftigt eine Frage sowohl die New Yorker Unterwelt als auch das FBI brennend – wer tritt die Nachfolge von Castellano an? Nach dem Treffen der Mobster in einem Social Club in Little Italys Mulberry Street beobachten observierende FBI-Agenten, wie die Soldaten John Gotti die Tür seiner 70’000-Dollar-Limousine aufhalten, ihm aus der Jacke seines 2000-Dollar-Brioni-Anzugs helfen und ehrwürdig den protzigen Ring küssen. Mit 45 Jahren hat sich Gotti wie ein penetrantes Krebsgeschwür ins Herz der Cosa Nostra emporgearbeitet.
Die Wurzel der Macht
Als fünftes von dreizehn Kindern wird John Gotti am 27. Oktober 1940 in New York City geboren. Sein Vater J. Joseph Gotti und seine Mutter Fannie, italienische Einwanderer, ernähren ihre Grossfamilie mit dem unsicheren Einkommen, das Joseph als Tagelöhner verdient. Im Süden der Bronx kennt jeder den Mob. Die Jungs und Teenager himmeln die gut gekleideten Männer in ihren teuren Autos und den Geldscheinen in den Taschen an. John Gotti sieht sie mit den gleichen hungrigen Augen an, wie es vor ihm Paul Castellano und Carlo Gambino getan hatten, als sie in Johns Alter waren. Der charismatische John ist ein «hardliner» und das geborene Alphatier. Mit zwölf Jahren weiss John, wie er andere manipulieren kann, damit sie machen, was er sagt. Sie lungern vor dem Mafia Social Club in Brooklyn, der von Carmine Fatico geführt wird, dem ersten Boss der Gambino-Familie. Durch Fatico lernt er Aniello Dellacroce kennen, der sein lebenslanger Mentor sein wird.
Erste Schritte
Der junge Gotti setzt alles daran, um den Bossen zu imponieren, und bald schon ist er der Führer der Gang «Fulton Rockaway Boys», die sich mit Einbrüchen und Autodiebstählen bereichert. Im März 1962 heiratet John Gotti die 17-jährige Victoria Di Giorgio, die zum Zeitpunkt der Hochzeit bereits ihr erstes Kind geboren hat. In seiner neuen Rolle als Ehemann und Vater versucht Gotti, sein Geld auf legale Weise zu verdienen, doch sein Lohn als Lastwagenfahrer reicht nicht aus, um die Familie zu ernähren und seine Spielsucht zu finanzieren. John fängt wieder an, Autos zu stehlen. Als er 1965 verhaftet und ein Jahr später aus dem Gefängnis entlassen wird, hat er kein Geld, um seine Familie zu unterstützen. Der Wohnort der Gottis in Queens, nahe beim Flughafen John F. Kennedy, bietet die perfekte Lage, um die mit Gütern vollgeladenen Flughafenlastwagen zu entführen. Doch das Glück scheint Gotti nicht hold zu sein. Mit seinem Bruder Gene und Angelo Ruggiero wird er verhaftet und sitzt erneut für drei Jahre im Gefängnis.
Der aufsteigende Stern der Mafia
Nach seiner Entlassung kehrt er 1972 zu Carmine Faticos Crew zurück und kontrolliert das Glücksspiel in den paar illegalen Clubs in Queens. Mit 31 Jahren ist Gotti innerhalb der Mafia ein gemachter Mann und rapportiert direkt an den Unterboss der Gambino-Familie, Neil Dellacroce. Dellacroce wird zu seiner Vaterfigur, er verteidigt und fördert Gotti, der ihm bis zum Ende loyal und treu ergeben ist. 1973 erleuchtet Gottis Stern innerhalb des Gambino-Clans wie ein explodierender Komet. Als Emanuele Gambino, ein Neffe von Carlo Gambino, dem amtierenden Boss der Bosse, von Jimmy McBratney, einem rivalisierenden Gangster, entführt und ermordet wird, fällt die Wahl des Rächers auf John Gotti. Noch nie in seinem Leben wurde Carlo Gambino so eine Respektlosigkeit und Verachtung demonstriert wie mit dieser Tragödie. Nach dem Mord an McBratney sitzt John Gotti erneut für drei Jahre im Gefängnis, was ihm enorme Pluspunkte innerhalb des Gambino-Clans sichert. Nach seiner Freilassung wird er im Sommer 1976 unter dem Patronat von Paul Castellano, dem neuen Boss der Bosse, offiziell in die Mafia aufgenommen und vereidigt.
Zwischen Himmel und Hölle
Gotti ist erfolgreich, verdient haufenweise Geld, sieht gut aus, ist charmant und grosszügig. Ein spendierfreudiger Kavalier, der sich auf der Sonnenseite des Lebens wähnt, bis das Schicksal grausam zuschlägt. Am 18. März 1980 wird sein 12-jähriger Sohn Franky auf seinem Mini-Bike unweit seines Elternhauses vom Auto eines Nachbarn tödlich angefahren. Jim Favara hat den kleinen Jungen auf seinem Fahrrad übersehen und das schreckliche Drama wird von der Polizei als Unfall protokolliert. John und Victoria Gotti warten vergebens auf eine Entschuldigung von Jim Favara, dem die Behörden raten, sein Haus schnellstens zu verlassen. Zwei Tage bevor er wegziehen kann, zerren ihn drei Männer in einen Van. Favara verschwindet spurlos.
Fünf Jahre später ist John Gotti nicht nur der Kopf der Gambino-Familie, sondern der Superstar der Medien. Mit dem öffentlichen Ansehen und seiner Popularität verzerrt sich jedoch auch sein Selbstbildnis. Gotti ist das pure Gegenteil von Paul Castellano; laut, selbstbewusst und egozentrisch inszeniert er seine Rolle als Pate und gibt in Diskotheken Autogramme wie ein Popstar. James La Rossa, ein Bekannter Gottis, sagt in einem Interview: «Es war verrückt! Auf der Strasse winkten ihm die Menschen zu, schüttelten ihm die Hand. Und er sagte, siehst du? Sie lieben mich!» Eine Zeit lang vermittelt es den Anschein, als sei Gotti unbesiegbar. Er gewinnt jeden Prozess, der gegen ihn läuft, und erhält den Spitznamen «Teflon-Don». Nicht ahnend, dass das FBI ihn und seine Soldaten bespitzelt und ihre Gespräche aufnimmt.
Der Judas
Gottis Geschäfte bringen der Familie eine halbe Milliarde Dollar pro Jahr ein. Verantwortlich für den Erfolg ist hauptsächlich Salvatore «Sammy der Bulle» Gravano, Gottis Berater, dessen brillantes Gehirn auf Hochtouren läuft und der über den Geschäften wacht. John ahnt nicht, dass es eines Tages Gravano ist, der ihn und somit die ganze Gambino-Familie zu Fall bringen wird. Am 11. Dezember werden Gotti, Sammy Gravano und der Unterboss Frank Locascio verhaftet. Das FBI hat genug Beweismaterial gesammelt, um Gotti und die anderen Mobster endgültig hinter Gitter zu bringen. Unter anderem werden sie auch für den Mord an Castellano verantwortlich gemacht. Dieses Mal scheinen die sicheren Seilschaften Gottis zu reissen. Im Knast beschliesst Sammy Gravano, das zu sein, was er immer verachtet hat: eine Ratte. Als Kronzeuge will er gegen John Gotti aussagen.
Der Fall der Gambinos
Sammy Gravano zwitschert im Gerichtssaal wie ein Kanarienvogel und erzählt der Welt, wie John Gotti das Geschäft der Gambinos geführt hat und wie er und Gotti die Exekution von Paul Castellano geplant haben. Der Mann, dem er am meisten vertraut und wie einen Bruder geliebt hatte, serviert ihn den Anklägern eiskalt auf dem Silbertablett. Die Jury benötigt zwei Tage, um ihr Urteil zu fällen. Schuldig in allen Anklagepunkten. Gotti endet im Hochsicherheitsgefängnis United States Penitentiary at Marion, Illinois, während Gravano nach einem kurzen Gefängnisaufenthalt ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen wird.
Der Popstar der mächtigsten Mafia-Organisation aller Zeiten hat ein Vermögen für sich und die Cosa Nostra gescheffelt. Jetzt ist er dabei, den Clan regelrecht hinzurichten. Vom Gefängnis heraus ernennt er seinen Sohn John Gotti Junior zu seinem Nachfolger. Einen pummeligen und unerfahrenen Teenager, der statt massgeschneiderter Anzüge lieber Trainerhosen trägt und vom komplexen Geschäft der Organisation keine Ahnung hat. Genau wie damals Paul Castellano, der in den Augen John Gottis unverdienterweise zum Boss der Bosse ernannt worden war.
Am 10. Juni 2002 stirbt John Gotti im Gefängnis an Kehlkopfkrebs.