
The Cartoon Car
von Anka Refghi; Titelbild: RM Sotheby’s, Angus McKenzie
- 3. Oktober 2017
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Es war ein ganz rares Juwel, das im Rahmen des diesjährigen «Pebble Beach Concours dʼElegance» in Kalifornien unter den Hammer kam – ein einzigartiger 1953 Abarth 1100 Sport mit einer Karosserie von Ghia und einer Geschichte, wie sie nur das Leben schreiben kann.
Am legendären Pebble Beach war das Sportcoupé mit Fahrgestellnummer 205-104 ein alter Bekannter. Denn gerade einmal zwei Jahre war es her, dass dem aussergewöhnlichen Fahrzeug etwas gelang, was meist nur den «Vorkriegsschönheiten» renommierter Hersteller vorbehalten ist – die Nominierung zum «Best of Show». Dabei war nicht nur erstaunlich, dass der Abarth 1100 nach dem Sieg in seiner eigenen Klasse weit vorne um den Gesamtsieg kämpfte, sondern auch, dass er keineswegs durch ein hochdotiertes Unternehmen restauriert worden war, sondern von seinem privaten Besitzer höchstpersönlich. Doch dazu später.
Cartoon Car
Das in diesem August für stattliche 891ʼ000 US-Dollar versteigerte Fahrzeug war das letzte von vier gebauten Abarth 205 mit Sport-Chassis, dessen Motor und Getriebe von einem Fiat 1100 und die Karosserie von Ghia stammt. Wer das Fahrzeug, dessen runde Formensprache an einen Handschmeichler oder ein Cartoon Car denken lässt, tatsächlich entworfen hat, darüber scheiden sich bis heute die Geister. Aller Wahrscheinlichkeit nach aber war es Giovanni Michelotti, jedoch nicht, ohne wohl auch den anderen Automobildesignern jener Zeit, wie Virgil Ex Exner, Mario Boano oder auch Giovanni Savonuzzi, über die Schulter geschaut zu haben. Fest aber steht, dass der Wagen bei seinem Debüt in der Öffentlichkeit begeisterte.
Das Debüt
Man schrieb das Jahr 1953, als das Sportcoupé erstmals am Turiner Automobilsalon ausgestellt wurde. Dabei diente der gerade einmal 3,6 Meter lange Abarth 1100 Sport Ghia nicht als reiner Rennwagen, wie frühere Fahrzeuge von Abarth, sondern vornehmlich als Konzeptfahrzeug, das dazu gedacht war, um auf Messen Aufsehen zu erregen. Mit Erfolg. Denn die Frontpartie mit ihrer Wölbung im Kühlergrill, die teilweise durch die Radhäuser verdeckten Speichenräder, die mit roter Farbe beschichtete Innenseite der Auspuffrohre und die gebrochen-weisse Lackierung, die in nahezu neckischem Kontrast zur Innenausstattung aus blauem Leder stand, sorgten für Furore. Während die italienische Presse den Ghia als ein «Meisterwerk des Designs» bezeichnete, schrieb ein Journalist der «Automobil Revue»: «Abgesehen von einer etwas massiven Vordergestaltung, ist ein fast schneeweisses kleines Ghia-Sportcoupé eine der Hauptattraktionen im Salon. Unter dem niedrigen Wagen, dessen verchromte Drahtspeichenräder in pikantem Gegensatz zur grossflächigen Karosserie stehen, verbirgt sich ein von dem ‹Frisier›-Künstler Abarth unter Verwendung von Fiat-1100-Teilen entwickeltes Fahrwerk mit eigenem Rahmen und Porsche-Vorderradaufhängung.»
Grosse Träume
Der Abarth 1100 Ghia gefiel. Und dem kanadischen Autofan William «Bill» Vaughan so sehr, dass er ihn kurzerhand kaufte. Nur ein Jahr später präsentierte er das Fahrzeug 1954 auf der New York Auto Show unter dem Namen «Vaughan SS Wildcat», wobei er nicht nur behauptete, das Coupé in Serie fertigen zu wollen, sondern auch, statt des Vierzylinders, mit dem ersten V8-Motor mit obenliegenden Nockenwellen. Doch es kam anders. Statt in Serie zu gehen, verlor sich die Spur des Automobils. Erst 1982 wurde es von Russ Baer in einer Scheune in Ashton, Maryland, wiederentdeckt und ging in der Folge in den Besitz von Pat Braden über.
Viel über den zwischenzeitlichen Verbleib ist bis heute nicht bekannt. Einen Hinweis aber darauf, dass der Wagen in den späten 50er-Jahren wohl als Alltagswagen benutzt worden war, liefert ein Park-Aufkleber an der Heckscheibe, auf dem «Litton Industries Maryland Division 1958» zu lesen ist. Nach Pat Braden wechselten die Besitzer noch einige Male, bevor der Abarth Sport in die Hände von Norbert Joseph McNamara kam, einem ehemaligen Colonel der US Army, der im Ruhestand vornehmlich italienische Autos sammelte und restaurierte. Nach dem Tod McNamaras führte der Kanadier Greg Kienzel ab 2010 die Arbeit des Colonels fort und küsste das aussergewöhnliche Fahrzeug endgültig wach. Ganze fünf Jahre hatte er in die Restaurierung gesteckt, die Geschichte penibel und anhand gut erhaltenen Bildmaterials und Dokumenten erforscht. Dass er brillante Arbeit geleistet hatte, um den Wagen bis auf das kleinste Detail wieder in den Originalzustand zurückzuversetzen, wurde ihm beim eingangs erwähnten Pebble Beach Concours dʼElegance 2015 unzweifelhaft ebenso bescheinigt. Genauso wie mit dem beachtlichen Auktionsresultat an der Classic Car Auction Monterey 2017 von RM Sotheby’s in diesem August. Ein im Vorfeld als «Underdog» betiteltes Fahrzeug hat es allen wieder einmal gezeigt.
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