
Steinreich und erleuchtet
von Marianne Eschbach; Titelbild: Boucheron
- 22. September 2017
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Wenn in Paris die hohe Juwelierkunst zelebriert wird, könnte man mit dem Glanz der Karat-Zahl Stadien ausleuchten. Ein Diamant gross wie ein Taubenei oder 2000 Perlen in einem einzigen Collier sind hier kein Märchen, sondern märchenhafte Realität. In der Haute Joaillerie wird nicht an Superlativen gespart. PRESTIGE nimmt Sie mit auf eine Tour d’Horizon zu den Neuheiten in der Topliga der Juweliere.
Paris hat einen poetischen Übernamen: «City of Lights» oder «La Ville-Lumière». Diesen verdankt die französische Kapitale einerseits der Aufklärung, deren eine Wiege die Stadt im 17. und 18. Jahrhundert war, und andererseits heutzutage den weit über 300 nachts beleuchteten Sehenswürdigkeiten und Brücken. Ob sanfte Schimmer, die sich ans Musée d’Orsay schmiegen, oder abertausende Funken, die um den Eiffelturm tanzen – bei Dunkelheit spielt Paris virtuos mit dem Licht. Und einmal im Jahr wird diese Magie noch überstrahlt – vom Edelstein-Glanz der neusten Haute-Joaillerie-Kreationen.
Hohe Handwerkskunst im Aufwind
Anfang Juli, wenn Paris in der Sommerhitze flimmert, werden ungeachtet der Temperaturen jene Modeträume gezeigt, die geradezu verschwenderisch mit Stoffen umgehen. Es ist Haute Couture, und der Tross der Modemenschen hat sich einmal mehr an der Seine niedergelassen, um neuste Kreationen der extrem aufwendigen Art zu begutachten. Wegen der elitären Exklusivität hält sich die Menge der Berichterstatter und Blogger im Vergleich zur Fashionweek des massentauglichen Prêt-à-porter in Grenzen. Dafür sitzen im Publikum Zuschauer und vor allem Zuschauerinnen, die nicht als schreibende Modekritikerinnen gekommen sind oder um ihre Social-Media-Konten mit Been-there-done-that-Selfies zu füllen. Es sind Frauen, die diese aufwendige, komplett handgearbeitete Luxusmode auch kaufen.
Kostbar, rar und sehr gefragt
Die Haute Couture soll nach inoffiziellen Angaben zwischen 2000 und 4000 Kundinnen zählen, darunter rund 200 Stammkundinnen, die sich fast ausschliesslich in die Masskreationen kleiden und ein Vermögen dafür ausgeben. Der Kreis ist klein, sehr fein, und er ist in den letzten Jahren wieder grösser geworden. Dank der wachsenden Vermögen der Superreichen ist er so lukrativ, dass sich die immer wieder mal totgesagte Haute Couture bester Gesundheit erfreut und Häuser wie Dior in diesem Bereich umsatzmässig zulegen.
Dieses zahlungskräftige Publikum ist auch für einen weiteren Luxussektor äusserst interessant: für die Topliga der Juweliere. Deshalb hat sich die Pariser Haute-Couture-Woche immer mehr auch zur Haute-Joaillerie-Woche entwickelt. Mittlerweile gibt es Anfang Juli fast mehr Schmuckpräsentationen als Fashionshows. Das Epizentrum der Pracht ist die Place Vendôme, einer der fünf königlichen Plätze in Paris, wo sich die Geschäfte für exklusive Geschmeide aneinanderreihen wie Perlen auf einem Collier.
Modemacher im Juwelenbusiness
Louis Vuitton ist ein relativ junges Mitglied im Kreis der Luxusjuweliere. Der berühmte Koffermacher ist erst seit wenigen Jahren im Schmuckgeschäft aktiv und hat sich mit seiner Haute Joaillerie an der Place Vendôme installiert. Das Prunkstück von Louis Vuittons neuer Kollektion mit Namen «Conquêtes», die sich an selbstsichere und selbstständige Frauen richtet, ist ein wahrhaft königliches Collier mit Opalen und einem riesigen rosa- und orangefarbenen «Imperial Topaz». Mit der Materialwahl macht Louis Vuitton, der auch im Modegeschäft erfolgreich ist, seinem Ruf als Trendsetter Ehre: Opale und farbige Edelsteine – darunter auch wenig bekannte – sind neben den wiederentdeckten Perlen die angesagten Preziosen der Stunde. Und nicht nur darin hat das Unternehmen die Nase im Wind. Die ganze Schmuckbranche will immer häufiger Frauen direkt ansprechen. Das weibliche Geschlecht soll nicht mehr länger nur als glücklich Beschenkte, sondern als aktive und selbstbestimmte Kundin erobert werden, die sich ihren Schmuck selbst kauft.
Weibliche Kaufkraft
Eine, die das vorgelebt hat, war die famose Coco Chanel. Bekannt als Modepionierin, die die Frauen vom Korsett befreit und üppigen Modeschmuck salonfähig gemacht hat, war Chanel auch das erste Modehaus, das echten Diamantschmuck lancierte. 1932 lud Mademoiselle Chanel zur «Exposition de Bijoux et de Diamants» in ihr Haus am Faubourg Saint-Honoré. Argwöhnisch beäugt von den alteingesessenen Place-Vendôme-Juwelieren. Sollte ihnen da eine Frau und Modemacherin tatsächlich Konkurrenz machen? Diamanthändler, die wegen der Wirtschaftskrise weniger verkaufen konnten, hatten der Couturière die Steine zur Verfügung gestellt. Es folgt der Lauf der Geschichte. Im Krieg schlossen die meisten Couture-Häuser, so auch Chanel, und nach der Wiedereröffnung konzentrierte sich Mademoiselle zuerst auf Mode und Modeschmuck. Ins Geschäft mit echtem Schmuck stieg das Haus erst Anfang der 90er-Jahre wieder ein. Haute Joaillerie gibt es seit 2012, also genau 80 Jahre nach der sensationellen Premiere wieder. Chanel inspiriert sich in seinem Tun immer an der facettenreichen Geschichte seiner Gründerin. Die neue Kollektion, die in maritimem Dekor an der Place Vendôme gezeigt wurde, heisst «Flying Cloud» und ist benannt nach der Luxusjacht des zweiten Duke of Westminster. Die Familie gehört heute noch zu den reichsten der Welt, und der damalige Duke war in den 20er-Jahren Coco Chanels Liebhaber. Am liebsten kreuzten die beiden vor der Côte d’Azur. Die kostbaren Schmuckstücke nehmen Schiffstaue, das glitzernde tiefblaue Wasser, aber auch Details von Uniformen oder Seemannstätowierungen als Designelemente auf. Auf dieser Jacht möchte man sofort anheuern.
Geheime Botschaften
Schmuck ist meistens mehr als eitles Dekor. Seit sich Menschen schmücken, gelten die Kostbarkeiten auch als Glücksbringer und Talismane. Schmuck wohnt immer etwas Magisches bei. Und so passte es, dass Chaumet, das 1780 gegründete Pariser Juwelenhaus, das unter Europas Prinzessinnen bekannt war für die zauberhaftesten Tiaren, seine Gäste, darunter die französischen Schauspielerinnen Clémence Poésy und Bérénice Bejo, zu einem Champagner-Apéro vor sein Geschäft an die Place Vendôme bat, um sie von da an einen «geheimen« Ort zu fahren. Die Mystery Tour führte ins Viertel Bercy und da ins «Musée des Arts Forains», das Jahrmarkt-Museum, wo in märchenhafter Atmosphäre zwischen antiken Karussells und Wahrsagerbuden nach dem Kollektionsmotto «Chaumet est une fête» gefeiert wurde. Und zwar Schmuck, der den Opernhäusern La Scala, Wiener Staatsoper, Metropolitan Opera und dem Glyndebourne-Opernfestival gewidmet ist, «weil Musik eine wichtige Quelle der Lebensfreude ist», wie der Juwelier verlauten lässt.
Versailles zum Anziehen
Bei Van Cleef & Arpels war die Location zwar nicht geheim, fast jedes Schmuckstück der neuen «Le Secret»-Kollektion birgt aber tatsächlich ein Geheimnis. Raffinierte Mechanismen in jedem Teil geben durch Drücken, Drehen oder Schieben eine Überraschung preis. Sei es eine Botschaft, ein verstecktes Detail, oder sie schaffen es, einem Schmuckstück gar ein zweites Gesicht bzw. einen anderen Look zu geben. Das legendäre Haus zelebriert seit über 100 Jahren die hohe Schule der Juwelierkunst in seinen Design-Universen um Liebe, Tanz, Tiere und Natur. Letztere bleibt einer der beliebtesten Ideengeber in den Schmuckateliers überhaupt. Das hat sich in diesem Jahr nicht geändert. Victoire de Castellane, die Schmuckdesignerin bei Dior, hält sich an die von Gründer Christian Dior geprägten Codes. Der Modeschöpfer war ein grosser Blumen- und Gartenliebhaber. De Castellane begab sich zwecks Inspiration für die neue Schmuckkollektion in die Gärten von Versailles, nachdem sie im letzten Jahr schon das prunkvolle Interieur des Schlosses in Schmuckstücke übertragen hatte. «Dior à Versailles Coté Jardin» überstrahlt in ihrer farbigen Virtuosität manchen Malkasten und sucht in ihrer Detailverliebtheit ihresgleichen. Bei Piaget ist es eine eher abstrakte Natur bzw. eine Idee von Natur, die für die Haute Joaillerie im Thema «Sunlight Journey» wichtig ist. Das Haus folgt dem Lauf der Sonne und nimmt vom pastellenen Morgenhimmel bis zum lodernden Sonnenuntergang ein mal zartes, mal kräftiges Kaleidoskop aus Rubin, Smaragd, Saphir, Spinell und anderen Edelsteinen in der Kollektion auf.
Diamanten: Natur vs Labor
Die allerorts leuchtenden Farbedelsteine haben Diamanten aber nicht vom Podest gestossen. Der Diamant-Händler De Beers, hat sich aus dem schmucken Joint Venture mit LVMH gelöst und verfolgt sein Abenteuer als Schmuckdesigner allein weiter. Die Kollektion «Lotus» mit einer atemberaubenden Parure aus geschliffenen und rohen farbigen Diamanten aus seinen Ateliers sowie ein roher gelber Diamant von fast 300 Karat gehörten zu den Talking-Pieces der Schmuck-Woche. Eine «Do it yourself»-Philosophie auf höchster Ebene verfolgt auch Nirav Modi. Der indischstämmige Diamanthändler, in dritter Generation in Antwerpen ansässig, ist mit eigenen Kreationen auf Expansionskurs in der Schmuckwelt. Sein Fokus liegt neben Diamanten auf seltenen und wenig bekannten Farbedelsteinen wie dem leuchtend grünen Kornerupin. Bei De Grisogono, sonst bekannt für farbenprächtige Edelsteinkreationen, stehen dieses Mal Diamanten besonders hoch im Kurs. Das Genfer Haus lanciert die «Ultimate Bridal» Collection mit feinsten, lupenreinen Diamanten und zum Teil einem Touch Farbe in Form feiner Smaragde oder Saphire dazu. Am prachtvollsten lodert das eisige Feuer bei Boucheron. Der alteingesessene Place-Vendôme-Juwelier erinnert mit dem Thema «Hiver Impérial» an die Eröffnung seiner Boutique in Moskau vor 120 Jahren. Das zaristische Russland und die schneebedeckten Weiten der Taiga finden Ausdruck in kaiserlichem Geschmeide mit weissen Diamanten, schimmernden Perlen und Steinen in kühlen Blau- und Grautönen.
Last, not least bietet die expandierende Haute-Joaillerie-Woche auch immer mehr neuen und weniger bekannten Juwelieren einen Platz im Scheinwerferlicht. Individualisten wie die Pariserin Lydia Courteille, der Mailänder Giampiero Bodino, die Taiwanerin Cindy Chao mit Ateliers in Paris und Genf und die Schweizerin Suzanne Syz erobern mit traditionsbefreiten originellen Kreationen ihren Platz zwischen den grossen noblen Marken. Und am Horizont blinkt vielleicht schon die Zukunft des Schmuckdesigns. Angesichts knapper werdender natürlicher Ressourcen im Edelsteinbereich hat Kristallproduzent Swarovski eine neue Linie mit künstlich erzeugten echten Diamanten und Smaragden lanciert. Auf dass Schönheit ewig währe.
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