Süsse Leckereien – Ein Streifzug von Indien bis Brüssel
- 10. Juli 2012
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Kleine Sünden, so sagen Philosophen, sind gut für die Seele. Trotz aller Risiken für Zähne und Taille macht kaum etwas so glücklich wie ein verführerisches Dessert. Was, wie und wann Menschen essen, wo und wie sie ihre Nahrung zubereiten, welchen kulinarischen Ritualen sie folgen – all das sagt viel über einen Ort und seine Bewohner aus. Auch die Lust auf Süsses steckt tief in den Menschen – egal ob in Indien oder Belgien. Weltweit legen sich geniale Konditoren ins Zeug, um sie zu stillen. Der Genuss ist ungleich grösser, wenn die süssen Kreationen die besonderen Aromen der Region in sich tragen.
Süsse Zeiten in New York
Von Cookies über Cupcakes bis zu Cannoli – im Big Apple besteht keine Gefahr der Unterzuckerung. Nirgendwo können Schleckermäuler ihrem Laster so ungehemmt zu jeder Tages- und Nachtzeit frönen wie in New York City. Ob hamburgergrosse Chocolate Chip Walnut Cookies oder noch ofenwarmer Cheesecake – es lohnt sich, ab und an mal eine Pause einzulegen und sich am Dessertparadies zu laben. Besonders bemerkenswert: der Hauch von Sizilien mitten in New York. Zwar schrumpft die Enklave Little Italy in Manhattan seit Jahren, aber trotzdem gibt es in New York immer noch die sahnigsten, knusprigsten Cannoli ausserhalb Siziliens. Die grossen goldbraun frittierten Teigrollen haben eine leckere, süsse Ricottafüllung, die manche Konditoreien noch mit gehackten Pistazien, Schokosplittern oder kandierten Zitrusfrüchten veredeln. Am wichtigsten ist, dass die Rollen erst in letzter Minute gefüllt und dann sofort gegessen werden. In Greenwich Village ist Rocco’s Pastry Shop & Espresso Café die ideale Anlaufstelle für köstliche Cannoli. Noch italienischer als in Little Italy geht es in der Bronx zu, wo die Madonia Brother Bakery in der Arthur Avenue die krossen Röllchen in Sekundenschnelle füllt, bevor sie ebenso schnell verputzt werden.
Indische Eiscreme
Tagsüber ist es relativ ruhig am Chowpatty Beach, einem Sandstreifen zwischen dem Arabischen Meer und dem belebten Marine Drive, der in Mumbais überfülltes Zentrum führt. Nur ein paar Grüppchen aalen sich im Sand oder suchen unter Palmen Schutz vor der Sonne. Aber wenn es dunkel wird, erwacht der Strand zum Leben. Abends an Mumbais populärstem Strand macht die beschwingte Atmosphäre Lust auf süsses, eiskaltes «klufi»Sobald an den mobilen Strassenständen die Lichter angehen, drängen schon Kunden nach heissen Snacks wie «bhelpuri» (Reis mit Kartoffeln in Tamarindensauce) oder süssem «klufi». Die unglaublich cremige indische Version von Eis am Stiel besteht aus eingekochter Milch und gesüsster Kondensmilch, die mit Kardamom, Safran, Pistazien; Zimtapfel, Vanille; Rosen; Schokolade, Bananen oder Mangos aromatisiert werden. Traditionell wird «klufi» in einem mit Salz und Eis gefüllten Tontopf namens «matka» gerührt. Der poröse Ton unterstützt das Gefrieren der Milch. Heute übernimmt das meiste jedoch eine Eismaschine. Auf der Landseite des Marine Drive bilden sich Schlangen vor dem New Kulfi Centre, das trotz des Namens schon seit fast 50 Jahren das beste «klufi» von Mumbai produziert. Wer die Qual der Wahl unter den vielen Sorten hinter sich hat, geniesst es am Strand.
Auf der anderen Seite der Strasse reihen sich vor einem unauffälligen Stand Sportwagen und Luxuslimousinen mit Chauffeur aneinander. Dort kauft man «paan», die essbaren Blätter des Betelpfeffers. Sie werden ähnlich wie Samosas zu dreieckigen Päckchen gefaltet und gefüllt. Der Stand hat keinen Namen und braucht auch keinen, denn seine Fangemeinde von reichen Managern, Produzenten und glamourösen Bollywood-Sternchen ist schon gross genug. Traditionell wurde «paan» gekauft, um den Gaumen zu reinigen oder den Mund zu erfrischen. Es hat verschiedene Füllungen aus Betelnuss, Kardamom, Limettenpaste, Datteln, aber auch Kautabak oder sogar kleinen Silber- oder Goldpartikeln. Ein guter «paan»-Macher gilt als echter Künstler.
Teatime in Hongkong
In vielen fernen Gebieten, die sich längst von der britischen Kolonialherrschaft befreit haben, hat ein Relikt aus dieser Zeit überlebt: der Nachmittagstee. Vor allem die Exilbriten hängen an diesem Ritual, das mit Zuckerzange, Tortenplatte, Spitzendeckchen, Teesieb, Sandwiches, Scones und feinem Gebäck zelebriert wird. Das führte in Hongkong, trotz dessen Übergabe 1997 an China, zu einem überraschenden Geschäft: Die Briten verkauften Tee nach China! Das aus Kolonialzeiten stammende Peninsula Hotel Kowloon hält seit 1928 an der Teezeremonie fest: In der prächtigen klassizistischen, in Beige und Gold eingerichteten Lobby mischen sich Gesprächsfetzen mit den Klängen des Streichquartetts auf der Empore und dem Klirren der Teelöffel aus den feinen Tassen aus chinesischem Porzellan. Der Nachmittagstee im Peninsula Hotel ist so beliebt, dass er täglich von 14 bis 19 Uhr serviert wird.
Queen Victorias Freundin Anna, Duchess of Bedford, soll den Afternoon Tea erfunden haben. Tee als Getränk war den Engländern schon seit Mitte des 18. Jahrhunderts heilig, aber sie machten daraus eine Mahlzeit, die die Lücke zwischen dem Mittagessen und dem damals beliebten späten Dinner füllte. Bei der Teezubereitung setzte sie sehr hohe Standards, die bis heute gelten. Teebeutel sind verpönt, der Tee wird aus losen Blättern aufgegossen. Dafür die Teekanne mit kochendem Wasser vorwärmen, Wasser ausgiessen und die Teeblätter – einen Teelöffel pro Tasse plus einen für die Kanne – hineingeben. Mit frischem, kochendem Wasser auffüllen und je nach Teesorte drei bis vier Minuten ziehen lassen. In Porzellantassen servieren, denn daraus schmeckt Tee besonders gut. Nach Geschmack Zucker und Milch zugeben.
Süsse türkische Verführer
Auf der asiatischen Seite des Bosporus, gegenüber so berühmten Sehenswürdigkeiten wie dem Topkapi-Palast und dem Goldenen Horn, liegt Kadiköy. Hier ist die Atmosphäre spürbar anders als in den europäischen Teilen Istanbuls. Seit Jahrhunderten passieren Waren und Reisende aus Nord, Süd und West im Hafen von Kadiköy die Grenze nach Anatolien. Das Ufer ist gesäumt von modernen Bauten und Coffee Shops verschiedener Ketten, aber nur einen Block landeinwärts beginnt der bunte Trubel des Basars. Hier warten die berühmten Konditoreien und Süsswarenläden mit ihrem betörenden Angebot an Bonbons, Konfekt und Gebäck, das in seiner Vielfalt dem Basar alle Ehre macht. Zwischen Morgengrauen und acht Uhr stärken sich Verkäufer wie Kunden erst einmal mit Kaffee, çay, Kuchen, Keksen und den türkischen Geleewürfeln lokum von Baylan, Beyaz F?r?n, Hac? bekir und Sekerci Cafer Erol. Schon seit Generationen stillen diese alteingesessenen Geschäfte die Lust auf Süsses. Nach diesem Auftakt stürzen sich dann alle voller Elan ins Getümmel und preisen ihre Waren an. Tee und Gebäck verkauft das 1934 von Griechen gegründete Baylan, wohin Schauspieler, Dichter und Schriftsteller Istanbuls in den 1960er und 70er Jahren pilgerten. Stammgäste erzählen gerne bei einem çay von diesen goldenen Zeiten und vernaschen dabei einen Cup Griye aus Eiscreme, Sahne, Karamellsauce, Pistazien und Mandeln.
Eis in Rom – Marzipan auf Sizilien
Die Römer sind stolz auf ihr «gelato», ihr Eis, das nur dann ein perfekter Genuss ist, wenn ausser der Qualität auch folgende drei Faktoren stimmen: Das Waffelhörnchen muss knusprig sein, das Sahnehäubchen nur leicht süss und nicht zu steif und der gelataio muss sein Geschäft verstehen und die Eiscreme mit einem Spachtel aufrühren, bevor er sie als weichen Berg auf die Waffel türmt. Die Eisdielen haben ganzjährig geöffnet, aber am grössten ist das Eisvergnügen in Rom von April bis Mitte Oktober. Von Mai bis September haben die halbgefrorenen granita und grattachecca Hochsaison.
Ob an der Küste oder im kargen Hinterland, in den pasticcerie der Insel Sizilien spielen Marzipankreationen stets die Hauptrolle. In den Schaufenstern der Konditoreien locken Berge von Aprikosen und Kaktusfeigen neben Körben mit prallen Erdbeeren und Pfirsichen. Alle Früchte sehen absolut frisch aus. Aber sie sind aus süssem Marzipan, das hier pasta reale heisst. Die Mandelmasse soll arabische Ursprünge haben; jedenfalls gehört sie zu dem reichen kulinarischen Erbe, das der zweihundertjährige arabische Einfluss auf der Insel hinterlassen hat. Alle sizilianischen Festtage werden mit einer Marzipanspezialität gefeiert: An Ostern gibt es das agnello pasquale, das Osterlamm, an Geburtstagen und anderen Feiertagen frutta martorana, die besagten Marzipanfrüchte. Die Marzipanfrüchte wurden erstmals im Kloster Martorana in Palermo hergestellt. Anlässlich eines Besuchs des Erzbischofs formten Nonnen Früchte aus Marzipan, wahrscheinlich Zitronen und Orangen, und dekorierten damit die bereits abgeernteten Bäume. Heute fabrizieren die Konditoreien Alba und Caflish in Palermo die schönen Früchte. Eingeschworene Marzipanfans besuchen die Barockstadt Noto in den Hügeln südlich von Siracusa, um sich bei Carlo und Corrado Assenza im Caffè Sicilia einzudecken.
Schokolade aus Brüssel und Nougat aus Montélimar
Die belgische Hauptstadt ist mit Hunderten von Top-Chocolatiers gesegnet. Sie verkaufen die reinste, edelste Schokolade der Welt. Ultimativen, puren Genuss verspricht Pierre Marcolinis elegantes Geschäft auf der hübschen Place du Grand Sablon. Die appetitlichen Pralinen wirken in den Vitrinen wie kostbare Juwelen. Pierre Marcolini gehört zu den renommiertesten Chocolatiers Belgiens, seine luxuriösen Kreationen vermarktet er mittlerweile weltweit. Aber auch die Konkurrenz ist nicht zu verachten. Das kleine Lädchen von Mary in der Rue Royale beliefert gar das belgische Königshaus. Des Weiteren gibt es noch Godiva, Corné Port-Royal und natürlich Neuhaus, dessen Gründer Jean Neuhaus 1912 die Praline erfand. Überall füllt weiss behandschuhtes Personal die «ballotins» genannten Schachteln mit Hausspezialitäten, von denen Trüffel, weisse Pralinen mit Sahne-Canache, Mandelmarzipan und in dunkle Schokolade getauchte kandierte Orangenstäbchen nur eine kleine Auswahl sind.
Ein Stück frisch hergestelltes Nougat, das einst als Speise der Götter galt, ist auch heute noch ein himmlisches Vergnügen. Das Zirpen der Zikaden und der intensive Duft von Lavendel, der in dieser Ecke der Provence wild wuchert, empfangen den Besucher in Montélimar, der Welthauptstadt des Nougats südlich von Valence. An der Hauptstrasse drängen sich die Läden und Werkstätten von Nougatiers, die eine jahrhundertealte Tradition aufrechterhalten und Eiweiss, Zucker, Honig, Mandeln und Pistazien in Nougat de Montélimar verwandeln. Um die Bezeichnung tragen zu dürfen, muss das Produkt 28 Prozent heimischen Lavendelhonig, 30 Prozent Mandeln und zwei Prozent sizilianische Pistazien enthalten. Die Römer der Antike opferten ihren Göttern einst eine Art Nusskuchen namens «nux gatum», und bis heute ist Nougat ein Geschenk für besondere Anlässe. Welches dank Honig und Nüssen so richtig nach Provence schmeckt.