
Schwarzes Gold aus den Blauen Bergen
- 18. September 2017
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Jah B ist kein Mann grosser Worte – im Gegenteil. Der 57-jährige Bobo Rastafari, der aus Überzeugung barfuss läuft, dafür aber stets sein iPhone parat hält, wirkt im Interview auffallend schüchtern. Dabei hat der Mann eine Revolution gestartet, ist er doch einer der ersten unabhängigen Kaffeeproduzenten Jamaikas.
Obwohl das Gros der Kaffeeernte auf der Antilleninsel von Kleinbauern wie Jah B eingebracht wird, dürfen die ihre Bohnen nämlich nicht selbst vermarkten, sondern müssen die rohen Kaffeekirschen nach der Ernte gemäss den Regeln des Coffee Industry Board of Jamaica (CIB) an die verarbeitende Industrie verkaufen, die von wenigen reichen Familienclans und ausländischen Investoren kontrolliert wird. Kein Wunder, ist Jamaica Blue Mountain aus dem gleichnamigen Gebirgszug im Osten der schillernden Karibikinsel dank seines besonders ausgewogenen und leicht süsslichen, nussigen Aromas doch einer der besten – und teuersten – Kaffees der Welt. So belastet ein Pfund des schwarzen Goldes das Budget mit bis zu 100 Euro, während die Farmer mit Cent-Beträgen abgespeist werden. Das grosse Geschäft machen andere.
Kaffeerevolutionär mit Dreadlocks
Mit dieser Ungerechtigkeit wollte sich Jah B nicht länger abfinden. Im Jahre 2009 erwarb er das seit mehr als 20 Jahren brachliegende Radnor Estate in St. Thomas und erweckte die kleine Plantage unterhalb des 2256 Meter hohen Blue Mountain Peak zu neuem Leben. «Statt Monokulturen anzulegen, die anfällig für Schädlinge und Krankheiten sind, haben wir zwischen den Kaffeesträuchern Obstbäume und Bananenstauden als Schattenspender gepflanzt», erklärt Jah B. Auf seine nackten Füsse angesprochen erwidert er schmunzelnd: «Als ich noch ein Kind war, hatten meine Eltern kein Geld, um mir Schuhe zu kaufen. Mittlerweile finde ich es einfach unnatürlich, meine Füsse in enge Schuhe zu sperren – schliesslich werden wir ja auch barfuss geboren.» Neben der Höhenlage und nährstoffreichen Vulkanverwitterungsböden trägt zum unverwechselbaren Charakter des Blue-Mountain-Kaffees auch das besondere Mikroklima der oft nebelverhangenen und dann wie in Zuckerwatte gepackt wirkenden Bergregion bei.
«Die Kaffeekirschen brauchen hier oben wegen der kühleren Luft und der reduzierten Sonneneinstrahlung im Schnitt neun bis elf Monate, bis sie reif sind – fast doppelt so lange wie in tiefer gelegenen Anbaugebieten. Aber genau das verleiht ihnen ihr besonders intensives Aroma», weiss Jah B. Bis er im November 2013 schliesslich die begehrte Exportlizenz erteilt bekam, die es ihm heute erlaubt, Kaffee unter eigenem Namen zu verkaufen, war es allerdings ein langer Weg. Heute beschäftigt er in der Saison bis zu 40 Arbeitskräfte, die an den steilen Berghängen pro Jahr rund 4000 kg Rohkaffee ernten. «Der wird vor Ort getrocknet, konfektioniert und geht dann nach Japan, China, die USA und Europa. Zu fairen Preisen für mich und meine Kunden», so Jah B.
Renaissance einer Legende
Insgesamt werden in den Blue Mountains heute jährlich rund 1000 bis 2000 Tonnen Kaffee produziert – nur ein Bruchteil dessen, was noch Anfang des 19. Jahrhunderts geerntet wurde, als der Ertrag im Rekordjahr 1814 fast 15ʼ200 Tonnen erreichte und Jamaika damit für einige Jahre zum weltgrössten Kaffeeproduzenten aufstieg. Dabei waren erst 1728 bei St. Andrews die ersten sechs Arabica-Setzlinge gepflanzt worden, die der damalige Insel-Gouverneur Sir Richard Lawes von einer Reise nach Hispaniola mitgebracht hatte. Aber die Pflanzen gediehen prächtig, und mithilfe billiger Sklavenarbeit konnte Jamaika bereits ab 1737 Rohkaffee nach Europa exportieren. Mit dem Ende der Sklaverei in den englischen Territorien im Jahre 1838 geriet die Kaffeeindustrie jedoch in eine existenzielle Krise. Gleichzeitig wurde damit aber der Grundstein für den heutigen Blue-Mountain-Kaffee gelegt, denn es waren freigelassene Sklaven, die sich in die Berge zurückgezogen hatten, die als Erste in den exponierten Höhenlagen Kaffee anzubauen begannen. Seine Renaissance als veritables Luxusgebräu verdankt er jedoch Connaisseurs aus dem Reich der aufgehenden Sonne, die die feinen Bohnen Ende der 1970er Jahre für sich entdeckten. Bald darauf erwarb der japanische Kaffeegigant UCC mit dem Craighton Estate bei Irish Town die erste Kaffeeplantage auf der Insel – der Rest ist Geschichte. Bis Anfang der 2010er Jahre gingen rund 85% aller Exporte nach Japan. Heute ist dieser Anteil aufgrund des mittlerweile global grassierenden Hypes für Luxuskaffee auf circa 35% zusammengeschmolzen.
Craighton Estate
Besucher können das Craighton Estate nach Voranmeldung besichtigen – Verkostung auf der gemütlichen Veranda inklusive. Wie bei Jah B wachsen auch hier zwischen den Kaffeepflanzen Bananen, Mangos, Avocados und afrikanische Tulpenbäume. Gedüngt wird ausschliesslich mit dem kompostierten Fruchtfleisch der Kaffeekirschen, bei Schädlings- und Krankheitsbekämpfung setzt man auf Pheromonfallen.
Tour-Guide Lincoln (60), der eigentlich für den ausgedehnten Garten zuständig ist, dem eine Abwechslung aber sichtlich gelegen kommt, arbeitet seit 14 Jahren für die Japaner. Dass man ihm sein Alter kaum ansieht, führt er selbstverständlich auf den täglichen Genuss von Blue-Mountain-Kaffee zurück. «Was sonst?», fragt er mit verschmitztem Lächeln. Auf dem steil aufwärts führenden Pfad hinauf in die Kaffeepflanzungen erzählt Lincoln von den harten Lebensbedingungen in den einsamen Hochtälern. Um alle Mäuler seiner vielköpfigen Familie stopfen zu können, verdient er sich deshalb mit der Anzucht von Kaffeesetzlingen ein Zubrot. «Meine jüngste Tochter ist grade zwei geworden, die älteste ist 28. Was meine anderen Kinder angeht, habe ich ein wenig den Überblick verloren», scherzt Lincoln weiter, während seinen Gästen im tropisch schwülen Klima der Schweiss von der Stirn zu perlen beginnt. Auf einem Plateau endet die Tour an einer hölzernen Aussichtsplattform, von der man einen atemberaubenden Rundblick über die steil abfallenden, mit dichtem Regenwald bedeckten Bergflanken der seit 2015 zum UNESCO-Weltkultur- und -Weltnaturerbe zählenden Blue Mountains bis auf die weit unten an der Küste im Dunst liegende Inselhauptstadt Kingston werfen kann. «Unsere Kaffeesträucher profitieren bis zum späten Vormittag von der milden Morgensonne», erklärt Lincoln, «dann ziehen von der Küste her Wolken und Nebel auf, die den Kaffee vor der aggressiven Mittagshitze schützen, bevor der Himmel am späten Nachmittag wieder aufklart und die Hänge in der Abendsonne liegen. Das sind einfach perfekte Bedingungen.»
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