Schutzfunktion und Mode-Accessoire: Der Handschuh
- 30. November 2012
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Er ist mehr als nur ein Schutz vor Wind und Kälte. Vielmehr ist er ein echtes Damen-Accessoire, das die Frau mit Stil schon lange vor den 50er Jahren für sich entdeckte. Damen tragen ihn mit kurzem oder langem Schaft, Herren tragen ihn beim Cabriofahren oder Golfen, die Hausfrau trägt ihn bei der Gartenarbeit und jeder Goalie benutzt ihn zum Schutz seiner Hände, wenn er gegnerische Bälle abwehrt. Ein jeder hat mindestens ein Paar im Schrank und wenn es nur zum Schutz vor Eis und Schnee ist. Die Rede ist vom Handschuh. Einem Kleidungsstück mit einer sehr alten Geschichte.
Von den Ägyptern bis zu hohen Würdenträgern
Der Handschuh ist einer der betagteren Zeitgenossen der Modegeschichte. Schon im Alten Ägypten wurde er getragen. Am Hofe Cleopatras trug man ihn zur Gartenarbeit, von den Römern wurde er zum Essen und von den Germanen als Kälteschutz getragen. Spätestens im Mittelalter entwickelte sich die Handbemantelung mehr und mehr zu einem Herrschafts- und Rechtssymbol. Handschuhe galten als Zeichen von Macht und Würde. Sie wurden aus teuren Materialien gearbeitet und mehrmals am Tag gewechselt. Somit signalisierte der Träger nicht nur eine gewisse Distanz zu seiner Umwelt, sondern auch seinen Reichtum. Doch auch die hohen Würdenträger der Kirche wie Äbte, Bischöfe oder Kardinäle trugen Handschuhe. Zum einen sicherlich als Amtszeichen und Rechtssymbol, zum anderen folgt die Benutzung des Handschuhs bei liturgischen Handlungen einer alten Tradition. Nur mit verhüllten Händen wurden religiöse Opfer dargebracht oder göttliche Geschenke entgegengenommen. Somit wollte sich der Klerus vor unbekannten magischen Einwirkungen schützen, zudem sollte das Heilige nicht verunreinigt werden. Erst einige Zeit später wurden die Handschuhe auch von weltlichen Würdenträgern übernommen.
Die ersten Überlieferungen berichten von einem einfachen sackartigen Beutelchen, welches die Hände bei Kälte wärmen sollte. Erst später kam eine getrennte Ausbuchtung für den Daumen hinzu, welche es zuliess, dass man die Hände, wenn auch eingeschränkt, zum Greifen und Arbeiten benutzen konnte. Doch bereits die Römer entwickelten eine Art «Fingerlinge»: Ein Handschuh, der für jeden Finger eine einzelne «Abzweigung» des «Beutels» vorgesehen hat. So wurden die Hände nicht nur geschützt, sondern waren zudem fast so beweglich wie ohne den Handschuh. Wie alt der Handschuh wirklich ist, weiss keiner, doch als man das Grab des Tutanchamun entdeckte, fand man dort unter anderem 27 Paar Lederhandschuhe und diese stammten aus dem14. Jahrhundert vor Christus. Dies belegt, dass schon im Alten Ägypten die Pharaonen Handschuhe trugen, wahrscheinlich jedoch eher als Zeichen ihres besonderen Standes als aus Schutz.
Den Fehdehandschuh hinwerfen
Dem Handschuh kommt eine grosse Symbolik zu. Dies belegen unter anderem verschiedene Redewendungen, die teils auch heutzutage noch benutzt werden: den «Fehdehandschuh werfen und aufnehmen», «mit Samt- oder Glacéhandschuhen anfassen» oder «wie Hand und Handschuh sein». So besass zum Beispiel die Übergabe eines Handschuhs mehrere Bedeutungen, je nach Übergabeart entweder eine feindschaftliche oder eine freundschaftliche. Das Handschuhwerfen war ein deutliches Zeichen für eine Fehde und Aufforderung zum Duell. Besonders im 18. Jahrhundert war es üblich, seinem Gegner einen Handschuh aus Stoff ins Gesicht zu schlagen, um ihn zu einem Ehrenduell herauszufordern. Das «normale» Handschuhübergeben hingegen konnte als Zeichen der Unterwerfung gedeutet werden, aber auch als Bestechung, da Bestechungsgelder gerne in gefüllten Handschuhen den Mann wechselten.
Jemanden mit Glacéhandschuhen anzufassen, bedeutet hingegen, jemanden besonders vorsichtig zu behandeln. Glacéhandschuhe sind sehr feine, weisse Handschuhe, die meist von Herren zum Frack oder Smoking getragen werden. Heute sind sie sehr selten geworden, ab und an sieht man sie noch an Veranstaltungen wie dem Wiener Opernball. Von Mitte des 19. bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Handschuhe auch für Damen ausser Haus ein unabdingbares Accessoire.
So war es bis zum Zweiten Weltkrieg ein festgeschriebenes Gesetz der Etikette, dass eine Frauenhand im Freien stets von einem Handschuh bedeckt sein musste. Gerade bei den Damen der Gesellschaft stand schon früh nicht nur die Funktionalität des Handschuhs im Vordergrund, sondern natürlich auch der modische Aspekt. Adelsdamen trugen edle Fingerlinge zu ihren Abendkleidern: oft parfümiert, mit Perlen verziert und mit Juwelen bestickt. Liess die Dame ihren Handschuh fallen, war das für die Herren der Runde ein eindeutiges Zeichen. Auch das Fräulein in Friedrich Schillers bekannter Ballade «Der Handschuh» setzte dieses Zeichen: «Herr Ritter, ist Eure Lieb’ so heiss, wie Ihr mir’s schwört zu jeder Stund, Ei, so hebt mir den Handschuh auf.» Der Handschuh war aber in den Löwenzwinger hinabgefallen. Der Ritter stieg hinunter, hob den Handschuh aus der Mitte der schrecklichen Tiere auf, stieg wieder zurück und warf ihn der Dame ins Gesicht – eine der schlimmsten denkbaren Beleidigungen dieser Zeit.
Zu jedem Anlass die passenden Handschuhe
Nachdem der Handschuh also lange Zeit der Liebling der Upperclass war, sie trug meist Handschuhe von hoher Qualität, während sich das niedrige Volk einfacher Fäustlinge bediente und diese auch nur zum Schutz vor der Kälte, wurde der Handschuh im Laufe der Jahrhunderte mehr und mehr fester Bestandteil der Kleidung. Material, Farbe und vor allem die Armlänge passten sich der Kleidung an. So reichten die Handschuhe bei Chemisen und Ballkleidern zum Teil bis zum Oberarm. Auf einem Ball durften die Damen ihre Handschuhe auf keinen Fall ausziehen, und für den Fall, dass die Handschuhe zu Schaden kamen, hatten sie immer ein Extra-Paar dabei. Auch von den Männern erwartete man das Tragen von Handschuhen, wenngleich diese ihre meist nur in der Hand hielten. Dennoch ist aus dem 19. Jahrhundert die Sitte überliefert, dass ein wahrer Gentleman sechs Mal am Tag seine Handschuhe zu wechseln habe.
Seine letzte Hochzeit erlebte der Handschuh in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Die Dame von Welt besass zu jedem Kleid und zu jedem Anlass die passende Fingerbekleidung. Zu einem morgendlichen Einkauf gehörte beispielsweise graues Ziegenleder, beim Lunch im Anschluss trug sie Glacéhandschuhe. Am Nachmittag schmückten dann braune Peccary und abends lange schwarze Seidenhandschuhe die Finger der Lady. Damit die Handschuhe auch perfekt sassen und sich wie eine zweite Haut anpassten, wurden sie häufig von Mass angefertigt. So liessen sich Stars wie Marlene Dietrich sogar extra Gipsabdrücke von ihren Händen erstellen, um perfekt sitzende Handschuhe herstellen zu lassen. Das Ergebnis war überwältigend, ohne eine einzige Falte zu werfen, bildeten die Handschuhe eine zweite Haut, allerdings benötigte sie angeblich auch bis zu 20 Minuten, um die Handschuhe überzustreifen.
Die Handwerkskunst des Handschuhmachers
Seit Ende der 50er Jahre werden Handschuhe vorwiegend nur noch als Kälteschutz verwendet. Heute gibt es nur noch wenige hervorragende Handschuhmachereien. Während es Zeiten gab, in denen der Beruf des Handschuhmachers ein sehr etablierter und angesehener Stand in ganz Europa war, ist der Beruf heute fast gänzlich ausgestorben. Nur noch sehr vereinzelt bilden Betriebe zum Handschuhmacher aus, denn nur wenige Menschen beherrschen diese jahrhundertealte Handwerkskunst, welche seine Ursprünge vor vielen Jahren in Frankreich fand.
Kaum ein Kleidungsstück ist in seiner Herstellung so anspruchsvoll und kompliziert wie ein Handschuh und erfordert einige Kunstfertigkeit. Jedes einzelne Teilchen des Handschuhs muss vom Handschuhmacher mindestens einmal in die Hand genommen werden: Stück für Stück schneidet der Handschuhmacher im so genannten «Tafelschnitt» aus dem Leder. Anschliessend wird die endgültige Hand-Form ausgestanzt und schliesslich auf Dehnbarkeit und Geschmeidigkeit des Stoffes beziehungsweise Leders überprüft, denn noch immer sollte ein guter Handschuh wie eine zweite Haut sitzen und bestenfalls keine Falten werfen. Dabei jedoch sich angenehm allen Bewegungen der Hand anpassen, ohne unangenehm zu spannen. Abschliessend werden die einzelnen Stoffschnitte per Hand und an der Handnähmaschine zusammengenäht. Mitunter besteht ein einziger Handschuh aus bis zu 24 Einzelteilen, die mit rund 2000 Stichen zusammengenäht werden. Ein so angefertigter Handschuh hat natürlich seinen Preis, den nur noch wenige bereit sind zu zahlen. Daher versinkt die Kunst des Handschuhmachens leider immer mehr in Vergessenheit. Dass der Handschuh jedoch immer noch ein wichtiges Mode-Accessoire und gerade im Winter täglicher Begleiter ist, belegen auch die Zahlen der Fundbüros zu abgegebenen Handwärmern. Der Handschuh ist ein praktisches Modebekenntnis – besonders in der kalten Jahreszeit.
Shortcut
Markenbotschafter der Hände
Viele heute weltbekannte Modekonzerne gründen ihre Erfolgsgeschichte auf der Handwerkskunst der Handschuhe. So sind Handschuhe neben den Sätteln eines der Ursprungsprodukte von Hermès, dem Lederhaus am Faubourg Saint-Honoré. Noch heute wird diese alte Handwerkskunst gepflegt und weitergegeben. Hermès beschäftigt stets mindestens einen Métier Gantier, Handschuhmacher, der Auszubildenden einen Einblick in alte Tradition und die echte Handarbeit geben kann. Doch auch der Modekonzern Trussardi begann einst ganz klein mit Handschuhen. 1911 gründete der Mailänder Lederwarenhersteller Dante Trussardi in der Nähe von Bergamo eine Handschuhfabrik. Seine luxuriösen Handschuhe wurden rasch zum Statussymbol, eroberten binnen weniger Jahre den internationalen Markt. Erst viele Jahre später gesellten sich zu Handschuhen auch Taschen, Gepäck und Kleinlederwaren. Der führende Handschuhhersteller in Europa ist jedoch die Firma Roeckel in München. Schon die österreichische Kaiserin Sissi bestellte im 19. Jahrhundert ihre Handschuhe dort. Später schmückten sich Filmdiven wie Greta Garbo oder Audrey Hepburn mit Roeckel-Handschuhen. Die Firma verarbeitet seit mehr als 150 Jahren neben herkömmlichen auch besonders exklusive Materialien wie etwa Straussenleder.