
Schaufenster des modernen Nomaden
- 16. März 2016
- 0 comments
- Posted in Drive Style
Die Hymer-Stiftung im süddeutschen Bad Waldsee präsentiert die Sammelleidenschaft des Wohnwagen-Pioniers Erwin Hymer. Das moderne Ausstellungskonzept ist auch für Camping-Muffel höchst interessant gestaltet – der Besuch wird ausdrücklich empfohlen. Das nördlich von Ravensburg gelegene Bad Waldsee ist nicht nur Stammsitz des Wohnwagen- und Wohnmobilbauers Hymer, sondern beherbergt auch ein Verkehrsmuseum der besonderen Art: Die Sammlung des 2013 verstorbenen Firmengründers Erwin Hymer, die nicht als Werkmuseum verstanden werden will, sondern eine unabhängige, private Stiftung ist. Angefangen hat es 1947; der erste Hymer war weder Wohnmobil noch Wohnwagen, sondern ein selbst gebautes «Motorrädle», das der damals 17-jährige Erwin aus überall zusammengeklaubten Teilen zusammenbastelte. Die Holzreifen mit Gummibelag wurden von einem 98?cm3 grossen und 2¼?PS starken Zweitakter angetrieben. Seine Tanzpartnerin durfte auf dem Sozius mitfahren, aber nur wenn es «den Buckel runter» ging, wie Hymer später erklärte.
Der «Ur-Troll»
Als 23-jähriger Ingenieur stiess er zur Mannschaft von Professor Claudius Dornier, wo er unter anderem den Dornier Delta entwarf – ein Kleinstauto, welches später als Zündapp Janus in Serie gehen sollte. Für Hymer war Dornier zeitlebens der einzige Chef, denn 1962 machte er sich mit der Herstellung von Aluminiumleitern selbständig. Später übernahm er die Firma seines Vaters Alfons, welche allerlei Fahrzeug-Sonderaufbauten vom Planverdeck bis zum Omnibus herstellte. Da wurde er von der Technik-Koryphäe Erich Bachem (abgekürzt: Eriba) gefragt, ob er ihm nicht einen Wohnwagen konstruieren könne. Das war natürlich keine Frage, und so entstand der Eriba «Ur-Troll», das Serienmodell hiess dann «Puck». Der Rest ist Geschichte: 1961 folgte ein erstes grosses Wohnmobil auf Borgward-Basis, das aber aufgrund der Liquidation des Bremer Herstellers zum Fiasko geriet. Bis zum zweiten Versuch sollte es noch über zehn Jahre dauern, doch das heute legendäre Hymermobil entwickelte sich ab 1971 zum durchschlagenden Erfolg. Heute gehören zum Hymer-Konzern die Marken Hymer, Eriba, Bürstner, Carado, Laika, Niesmann?+?Bischoff, Dethleffs, Sunlight, LMC sowie einige Zubehörmarken.
Die Sammlung der Erwin-Hymer-Stiftung
Bei näherem Hinsehen offenbart sich, dass Hymer nicht nur die eigenen Produkte gesammelt hat. Sondern alles, was mit dem Themenkreis zusammenhängt, inklusive Zusatzausstattungen, Literatur und Kuriositäten. Das alles musste irgendwann einen festen Platz bekommen. Im Oktober 2011 wurde das auch architektonisch reizvolle Museum eröffnet, das sich nicht als Werkschau versteht, sondern Geschichte, Gegenwart und Zukunft des mobilen Reisens zeigen möchte. Und das auch tut: Die Sammlung der Erwin-Hymer-Stiftung umfasst aktuell rund 250?Fahrzeuge verschiedenster Baujahre und Hersteller; das älteste Exponat ist ein historischer Schäferkarren aus dem Jahre 1850. Einen von vielen Schwerpunkten bilden Eigenbau–Skurrilitäten aus der DDR. Zwar hatte die SED–Führung die Wohnmobil-Kultur noch 1960 als «schändlichen Individualismus» gegeisselt und be-kämpft. Doch die werktätige Bevölkerung im -Arbeiter-und-Bauern-Staat war anderer Meinung und baute mit teilweise primitiven Mitteln geniale, trabitaugliche Faltcaravans oder Kleinstbehausungen auf Rädern. Solcherlei Aktivitäten lösten bei den Regierenden schliesslich ein Umdenken aus: Camping wurde fortan als idealer Freizeitausgleich gesehen, die VEBs durften jetzt «Qek Junior», «Weferlinger Heimstolz» und dergleichen fertigen. Diese Modelle finden in Bad Waldsee genauso ihre Bewunderer wie die anderen alten und neueren Exponate, die die Entwicklung dieses heute so wichtigen Industriezweigs ebenso anschaulich wie unterhaltsam dokumentieren.
Dazu gehört beispielsweise der erste deutsche Wohnwagen von Dethleffs aus dem Jahr 1931, welcher als Nachbau von 1974 gezeigt wird. Für Technikliebhaber stellt das Mikafa-Wohnmobil de Luxe aus dem Jahr 1959 ein besonderes Schman-kerl dar, das damals mit einem Verkaufspreis von 42’500?Mark schon exorbitant teuer war und dank trinkfestem BMW-Barockengel-V8 im Heck ein gut gepolstertes Reisebudget voraussetzte. Oder der Schäfer Suleica (Abkürzung für Super-leicht–Caravan) mit aerodynamisch optimierter Form, die auch beim Wohnmobil Orion auf Mercedes–Basis adaptiert wurde und weit in die Zukunft gerichtet war. Leider dauerte diese nur bis 1987, dann war Schäfer wegen zu hoher Produktionskosten am Ende. Und genau an dieser Stelle setzten sehr viele innovative Konzepte an: bei den Kosten. Denn viele Camper hatten weder Platz noch Geld für ein Wohnmobil, aber das Zelt war ihnen dann doch zu unbequem. So entstand eine Vielzahl von Klapp- und Faltcaravans, die sich hinter einem schwachbrüstigen Fiat 500 oder Renault Dauphine so wenig wie möglich in den Fahrtwind stellten. Ob nun in zwei Hälften, die sich vertikal oder in der Höhe auseinanderfalten liessen, oder anderen ausgeklügelten Klappmechanismen, immer lautete die Devise: klein beim Fahren, gross beim Campen.
Comments are closed.