
Poseidons Speisekammer – Algarve kulinarisch
- 6. Januar 2021
- 0 comments
- typo2wp
- Posted in Culinarium
Sturmumtost und mythenumwittert zieht der südwestlichste Zipfel Kontinentaleuropas, an dessen Gestaden endlose weisse Traumstrände und von Wind und Wellen bizarr geformte Steilklippen nahtlos ineinander übergehen, fernwehgeplagte Romantiker wie abenteuerlustige Aktivurlauber gleichermassen in seinen Bann. Doch der rund 150 Kilometer lange Küstenstreifen, der sich vom Cabode São Vicente bis an die spanische Grenze erstreckt, gilt auch unter Feinschmeckern als Geheimtipp, erklimmt die ansonsten eher rustikale portugiesische Küche entlang der Algarve unter den Händen ambitionierter junger Küchenchefs doch ungeahnte Höhen.
So finden sich dort auf engstem Raum gleich sieben der aktuell 26 portugiesischen Sternerestaurants. Kein Wunder, bieten die fisch- und meeresfrüchtereichen Gewässer des Atlantiks und eine wachsende Zahl biologisch bewirtschafteter Landgüter im dünn besiedelten Hinterland des Alentejo doch erstklassige Zutaten im Überfluss. Dank ihres milden Klimas hat sich die Algarve in den letzten Jahren ausserdem immer stärker zur Ganzjahresdestination entwickelt, denn selbst im Winter fällt das Thermometer dort tagsüber nur selten unter die 15-Grad-Marke, und Ende Januar hüllen zehntausende Mandelbäume die Küste schon wieder in ein weisses und rosafarbenes Blütenmeer. Warum sich dieses Paradies also ausgerechnet in der Hochsaison zwischen Juli und August mit ganzen Scharen anderer Portugalfans teilen?
Als eines der besten Restaurants der Region, ja des Landes, gilt das seit 2011 mit zwei Michelin-Sternen geadelte «Ocean» im zu den Leading Hotels of the World zählenden Luxusresort Vila Vita Parc bei Armação de Pera, das rund 40 Autominuten vom internationalen Flughafen Faro entfernt auf Steilklippen hoch über dem Atlantik thront. Mit Hans Neuner steht dort seit 2007 ein waschechter Tiroler am Herd, der sein Herz an die portugiesische Küche verloren hat und dessen zeitgemässe Küche einen authentischen Einblick in das reiche kulinarische Erbe eines Landstrichs bietet, in dem über die Jahrhunderte zahllose Völker und Kulturen ihre Spuren hinterlassen haben. Auch in der Küche. So hatten zum Beispiel die maurischen Eroberer, die im frühen 8. Jahrhundert im Süden der Iberischen Halbinsel anlandeten und denen die Algarve, von arabisch Al Gharb – der Westen, auch ihren Namen verdankt, nicht nur Mathematik, Philosophie und Verskunst, sondern auch zahlreiche Feldfrüchte im Gepäck, darunter Mandeln und Feigen. Und tatsächlich kommt bis heute kaum ein portugiesisches Dessertrezept ohne die aromatischen braunen Kerne aus, sind grüne Feigen allgegenwärtig. Und auch in Neuners Küche finden sich solche versteckte kulturelle «Zitate» in vielen Gerichten. So serviert er zum Beispiel in seinem aktuellen Menü, das unter der Überschrift «Discovering Portugal» steht, als amuse bouche unter anderem eine jährlich wechselnde Snack-Variante des Algarve-Klassikers Frango piri-piri, Hühnchen mit scharfen Chilis. Eine Würzzutat, die portugiesische Kaufleute einst aus Asien in die afrikanischen Kolonien der stolzen Seefahrernation verpflanzt hatten und von dort ihren Weg ins europäische Mutterland fand. Normalerweise spielen auf der Karte des sympathischen Exil-Tirolers allerdings meist Kostbarkeiten aus Poseidons Reich die Hauptrolle. Nicht umsonst trägt Neuner den Spitznamen «König der Meere».
Gleich zwei Mal wurde der Österreicher, der zuvor unter anderem im St. Moritzer «Carlton» aufgekocht hat und jahrelang mit Karlheinz Hauser im Berliner «Adlon» und dem «Seven Seas» in Hamburg am Herd stand, bereits zu Portugals Küchenchef des Jahres gekürt. Schliesslich sind Neuners Interpretationen der Algarve-Küche, die er gemeinsam mit Head Chef Florian Rühlmann und seinem internationalen Team auf den Tisch bringt, nicht nur bis ins Detail perfekt in Szene gesetzt, sondern haben auch eine Seele. Dass beides zusammenkommt, ist in der Hightech-verliebten, bisweilen aber etwas unterkühlten Spitzengastronomie dieser Tage keineswegs selbstverständlich. Im Ergebnis entstehen so aufwendige, teils Stillleben gleiche Teller, die alle Sinne begeistern; ebenso innovativ wie aromengewaltig, ohne dabei aber jemals die Bodenhaftung zu verlieren. Zumindest in dieser Hinsicht ist Neuner durch und durch Tiroler geblieben. Neue Inspirationen holt sich der Küchenchef gerne auf Reisen, die ihn mittlerweile in mehr als 100 Länder geführt haben.
Neben tagesfrischem Fisch und Meeresfrüchten sowie Produkten kleiner, handwerklich arbeitender Zulieferer aus der Region – darunter zum Beispiel das exzellente Flor de Sal aus den Salzgärten von Castro Marim – kommen manche Zutaten auch vom rund 1100 Hektar grossen Biolandgut Herdade dos Grous. Das liegt circa 100 Kilometer nördlich des Hotels im Baixo Alentejo, dessen Landschaftsbild von grünen Olivenhainen, uralten Korkeichenwäldern und endlosen, sonnenversengten Weizenfeldern geprägt wird, zwischen denen malerische weiss-blaue Dörfer im maurischen Stil verstreut liegen. Auf der Herdade werden aber auch ausgezeichnete Weine produziert. So gehört ihre Tinto Reserva, ein Blend aus Portugals Paraderebe Touriga Nacional, Syrah und Tinta Miúda, für die Önologe Luis Duarte verantwortlich zeichnet, mittlerweile zu den besten Rotweinen des Alentejo, das sich dank einer neuen Winzer-Generation anschickt, mit dem Douro qualitätsmässig gleichzuziehen. Auch wenn sich die Grundstilistik der Weine natürlich deutlich unterscheidet, sind die Alentejo-Weine im Vergleich doch meist deutlich alkoholstärker und «rustikaler». So ein Kraftprotz – allerdings in Samt gekleidet – ist auch der Moon Harvested Tinto, gekeltert aus 100 Prozent Alicante Bouschet, dessen Trauben nur zu bestimmten Mondphasen gelesen werden und der anschliessend zwölf Monate in neuen französischen Eichenfässern reift. Er präsentiert sich mit komplexen Aromen roter Beerenfrüchte, Veilchen, Vanille und intensiven Kräuternoten. Bei den weissen Tropfen sticht ebenfalls die Reserva heraus, eine fruchtige Cuvée aus Antão Vaz, Alvarinho und Viognier, der ein paar Monate in neuen Barriques einen herrlichen Schmelz verleihen. Im gutseigenen Restaurant werden dazu behutsam modernisierte Alentejo-Klassiker aufgetischt, deren Grundprodukte natürlich ebenfalls grösstenteils aus der eigenen Bio-Produktion stammen. Darunter das Fleisch der regionalen Rinder- und Schafsrassen Alentejana bzw. Merino Regional und natürlich das hauseigene Olivenöl. Wir probieren unter anderem saftige Stücke vom portugiesischen schwarzen Schwein, Porco preto, mit gegrilltem Gemüse, eine köstliche Escabeche vom Rebhuhn und in Olivenöl eingelegten Ziegenkäse. Die Dessertvariation begleitet ein köstlicher 2012er LBV-Portwein der Quinta de Valbom, die ebenfalls zur Unternehmensgruppe gehört, der mit einem intensiven Eukalyptusbukett überrascht.
Doch zurück an die Küste. Vom Gastraum des «Ocean» geniessen Gäste mit der langsam aufziehenden Dämmerung einen atemberaubenden Blick auf den Atlantik, dessen mit der Sonneneinstrahlung changierende Blau- und Goldtöne das Innendekor des Restaurants spielerisch aufnimmt. Übergrosse Muranoglas-Tropfen erinnern an farbenprächtige, im Wasser schwebende Medusen, während eine in unzählige Nischen eingeteilte Seitenwand, gefüllt mit skulptural wirkenden, blütenweissen Korallenbruchstücken, den Zauber einer mittelalterlichen Schatz- und Wunderkammer verbreitet – freilich im Stil des 21. Jahrhunderts. Überhaupt wird Stil im «Ocean» grossgeschrieben. Trotzdem ist die Atmosphäre im Restaurant angenehm entspannt – schliesslich sind wir in einem Ferienresort.
Während Hans Neuner und Florian Rühlmann in der Küche den Takt vorgeben, choreografiert Restaurant Manager Nelson Marreiros derweil ganz unprätentiös seine in schicke dunkle Anzüge und stylishe Sneaker gewandete schwarze Brigade, die das mehr als ein Dutzend Gänge umfassende Menü mit grösster Nonchalance serviert. Aktuelle Highlights der Karte sind u.a. die hocharomatischen «Tagliatelle» vom Atlantik-Carabineiro und Tintenfisch, eine feine Seezunge mit Meerrettich und Küstenkräutern, in der Salzkruste gegarter Topinambur mit Feigenblattöl und Kokos oder der sensationelle rohe Thunfisch aus Vila Real mit fermentierten Eicheln und Imperialkaviar.
Neben einem Abend bei Hans Neuner lohnt aber auch ein Abstecher ins zweite Toprestaurant des Vila Vita Parc – das «Atlântico» unter Ägide von Küchenchef Pedro Pinto, der ebenfalls bereits in zahlreichen Sternebetrieben reüssiert hat. Das Konzept: eine kulinarische Reise zu den Wurzeln der portugiesischen Küche in fünf Gängen. Dabei setzt auch Pinto, wo immer möglich, auf regionale Bioprodukte. Vorgeschmack gefällig? Wie wäre es zum Beispiel mit geschmortem Oktopus begleitet von «verflüssigter» Chorizo und Zitrone oder hauchzarter Tintenfisch mit schwarzem Knoblauch, geräuchertem Schweinebauch und karamellisierter Zwiebelbrühe. Durch den geschickten Einsatz von Süsse, Säure und frischen Kräutern zaubert Pinto diese Gerichte so leicht und unbeschwert auf die apart arrangierten Teller, dass man am liebsten nach jedem Gang da capo rufen möchte. Guten Appetit!
Comments are closed.