Patricia Urquiola – Eine Schöpferin poetischer Designwerke
- 3. Dezember 2012
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Patricia Urquiola beschreibt ihr Design selbst als schlicht, obwohl es voll romantischer Details, anmutiger Formen und dazu sinnlich und sexy ist. Mehrfach wurde die gebürtige Spanierin von internationalen Medien zur besten Designerin gewählt. Sie ist ein Shootingstar auf den Möbelmessen und ebenso erfolgreich mit Leuchten und Stoffen. Ausgebildet bei einer Designlegende Italiens, Achille Castiglioni, ist sie heute eine beherrschende Stimme des modernen Designs.
Der Hurricane
Im Jahr 1961 wurde die Spanierin in Oviedo geboren, in Madrid begann sie Architektur zu studieren und beendete die Ausbildung bei Achille Castiglioni in Mailand. Es folgten einige Jahre in den Büros von Vico Magistretti und Piero Lissoni, bis sie sich entschloss, ein eigenes Studio in Mailand zu gründen. Innerhalb weniger Jahre avancierte das «Studio Urquiola» zu einem international beachteten Design- und Architekturbüro. Ihre Kundenliste liest sich wie das «Who is who» des italienischen Designs: B&B Italia, Driade, Molteni, Moroso, Foscarini. Der Spanierin Patricia Urquiola liegt Mailand zu Füssen. «Hurricane» haben die Italiener sie liebevoll getauft, denn wie ein Wirbelwind fegt sie durch die Designszene und hat zig Projekte parallel in Arbeit. Typisch für die Designerin ist die unkonventionelle Originalität und Kreativität, mit der sie ihre häufig in kräftigen Farben gehaltenen Entwürfe gestaltet.
Erfrischend unkonventionell kombiniert sie femininen Stil und florale Zitate mit Minimalismus. Ihre Produkte wirken dank ihrer ungewöhnlichen Formen und ausgefallenen Materialien temperamentvoll, jung und frech. Oberflächen und Stoffe sind für Urquiola keineswegs nur eine Hülle, sondern werden selbst zum Ausdrucksmittel, das Form und Funktion des Objekts mitbestimmen kann. Dennoch, auf einen bestimmten Stil legt Patricia Urquiola sich nicht fest. Vielmehr will sie emotional berühren und Assoziationen vermitteln, indem sie Stile, Formen und Zitate mischt, neu interpretiert und mit «Leben» füllt. Kein Wunder, ist es ihr wichtig, dass Menschen ihr Design spontan anfassen mögen. Ihre Inspiration findet Patricia Urquiola in ihrem Umfeld: «Manchmal ist es etwas Emotionales, manchmal etwas sehr Einfaches, Alltägliches, das mich auf eine Idee bringt. Für mich ist Design ein überraschender Prozess. Man hat eine Idee und mischt sie mit anderen Zutaten, aber weiss nie, was am Ende dabei herauskommt.»
Siza und Castiglioni
Auf dem «Salone del Mobile», der grossen Mailänder Möbelmesse, kann man seit einigen Jahren den Eindruck erlangen, es handle sich um die Patricia-Urquiola-Festspiele und alles andere sei hier nur ein schmückendes Rahmenprogramm. Sie gestaltet Stände für Hersteller wie Moroso, hat die wichtigste Neuheit für B&B Italia gerade fertiggestellt, Teppiche bei Paola Lenti, zeigt bei Kartell Plastikstühle, Leuchten am Stand von Flos – Patricia Urquiola, wohin man schaut. Dass sie eine der erfolgreichsten Designerinnen der Gegenwart werden sollte, war zu Beginn ihrer Karriere nicht abzusehen. Sie verbrachte mehr Zeit im Kino als in der Universität, die Fakultät in Madrid war damals ganz und gar der Postmoderne verschrieben. Bis zu ihrem architektonischen Erweckungserlebnis mit dem portugiesischen Architekten Alvaro Siza, den sie als Gastdozent in Madrid kennenlernte. «Sein Ansatz, auf regionale Gegebenheiten einzugehen, nicht eitle Skulpturen zu entwerfen, der öffnete meinen Geist, mein Herz, meinen Horizont.» Die zweite entscheidende Begegnung erlebte sie in Mailand am Politecnico, wo sie gegen ihren eigentlich erklärten Willen Industriedesign studierte. «Ich wollte nie Designer werden. Ich dachte: Designer machen nur Stühle.» Den Einfluss ihrer Lehrer Siza und Castiglioni erkennt man noch immer in ihren Entwürfen. Nicht stilistisch, sie hat längst ihre eigene Handschrift gefunden, jedes Möbel, egal welcher Art, ist als «typisch Urquiola» auszumachen. Stets nimmt sie die Wünsche, die Interessen, die «Umgebung» ihrer Auftraggeber ernst, versucht, sich in deren Lage zu versetzen und auf das Unternehmen und seine Zielgruppe zugeschnittene Produkte zu kreieren (wie Alvaro Siza in seiner Architektur). Und sie geht persönlich und intuitiv an die Aufgabenstellung heran – frei nach Castiglioni.
Bohemian Rhapsody
Dass Patricia Urquiola auch als Architektin erfolgreich zu agieren weiss, zeigt die Villa, die sie – zusammen mit Martino Berghinz – in Udine für Designunternehmerin Patrizia Moroso und deren Familie entworfen hat. Bloss keine bürgerliche Villa, eher eine Mischung aus Bauernhaus und Loft wollte die Familie haben! Das war sich die Kreativdirektorin der elterlichen Polstermöbelfirma schon von Berufs wegen schuldig. Sie ist «die» Design-Instanz, und das nicht nur in der 1952 gegründeten Manufaktur in Udine im Zentrum der Region Friaul-Julisch Venetien, sondern weltweit. Wer als Designer für Patrizia Moroso ein neues Möbel entwerfen und mit ihr entwickeln darf, gehört zur internationalen Avantgarde. Nicht nur hier lässt sich beobachten, wie geschickt Urquiola darin ist, Privatsphäre und repräsentatives Wohnen auf zeitgemässe Weise zu verbinden, es gelingt ihr auch, klare Raumfolgen zu schaffen, die ganz und gar zeitgenössisch wirken.
Patricia Urquiola ist die Designerin, die den Stil Moroso stets auf ideale Weise interpretiert hat, und sie ist es auch, die für die Hauptlinie der neuen Kollektion Bohemian verantwortlich ist. In dieser interpretiert Urquiola nicht nur das klassische «capitonné» neu. Sie schafft vielmehr eine Produktfamilie aus Sofa, Lehnsessel, Chaiselongue und Sessel, deren Auflagen und Formen sich in unregelmässige, wie zufällig anmutende Linien aufzulösen scheinen. Trotz einer klassischen Grundform wirkt ein Sofa nun plötzlich so, als habe es einen Schal um die Schulter gelegt. In immer anderen Varianten entsteht durch eine solche Überlagerung aus einem Grundelement eine hybride Mixtur, die sich aus verschiedenen Kulturen und Traditionen speist, ohne einer einzigen wirklich nachzueifern oder sich ihr ganz auszuliefern. Es ist vor allem dieses luxuriöse Patchwork, das Urquiolas Möbeln ein ums andere Mal ein nomadenhaftes Flair verleiht, mit dessen Hilfe sie das bürgerliche Wohnen auffrischt, aber auch ironisch kommentiert. Vor allem die Italiener lieben sie für diese Möbel, die auf eine neue, multikulturell und weltbürgerlich geprägte Bourgeoisie zielen und trotz mancher Verspieltheit stets eine gewisse Grandezza verströmen.
Shortcut
Mailänder Möbelmesse
Die Möbelmesse «Salone del Mobile» in Mailand zeigt Originelles, Schräges, Braves und diskutiert Wohn- und Designtrends. Mailand bietet in den Tagen des Salone del Mobile ein einziges Spektakel. Kein Showroom, der nicht mit einem «Event» aufwartet, schnell aufgebaute Vitrinen versperren die Fusswege, schreiend bunte Autos verwandeln die Stadt in eine Freilichtausstellung Was das alles mit Möbeln zu tun hat? Der Salone del Mobile war bis in die neunziger Jahre nicht mehr als eine wichtige Messe für ein Fachpublikum. Doch der Siegeszug des «Designed in Italy» und die Anziehungskraft Mailands und seines industriellen Hinterlands auf die Kreativen aller Welt machten die Messe zum Mekka.