
Ode an den Stilmix
von Anka Refghi, Titelfoto: Ana Carvalho Photo
- 25. Juli 2017
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Vorbei die Zeiten standardisierter Wohnungseinrichtungen, es lebe die Individualität! Ein Plädoyer für die lieb gewonnenen Sammlerstücke des eigenen Lebens und die Wunderkammern der Moderne.
«Ein Zuhause ist ein Ort voller Erinnerungen: eine Mischung aus Objekten, Bildern und Möbeln, die etwas bedeuten, die Teil der eigenen Persönlichkeit sind; ein Ort, der kleine Geschichten erzählt und Bilder unseres Lebens ausstellt», sagt Jean-Christophe Aumas, Kreativdirektor der Pariser Agentur «Voici/Voilà», der damit auch schon den Kern der Sache getroffen hat. Das Buch «Wunderkammern – die neue Eleganz» führt durch private Refugien, die der Einheitlichkeit die kalte Schulter zeigen und auf einen Stilmix setzen, den das Leben selbst geschaffen hat. Eine wohltuende Entwicklung, bei der sich auch die angesagtesten Interior-Designer unserer Tage auf die charakteristischen Wesenszüge ihrer Auftraggeber zurückbesinnen, statt ihnen vorgefertigte Stile überzustülpen.
Faszinierendes Sammelsurium
Dabei kommt der Titel des Buches nicht von ungefähr, weisen doch die vorgestellten Domizile in der Tat erstaunliche Parallelen zu den einstigen Kunst- und Wunderkammern auf, die zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert weit verbreitet waren und als die Vorläufer unserer heutigen Museen gelten. So waren die Kammern der Spätrenaissance und des Barocks Orte, an denen allerlei Kuriositäten gesammelt wurden. Unbekanntes und Bekanntes, seltene Naturalien, wissenschaftliche Instrumente, Objekte fremder Welten, Kunstwerke und unerklärliche Dinge. Wahres gleichberechtigt neben Märchenhaftem, Schrumpfköpfe neben «Phönixfedern» und Seepferdchen – jeder Quadratzentimeter besetzt, jede Schublade, jedes Regal dicht gedrängt mit allerlei, was die damalige Welt so hergab. Verstanden als vermeintlicher Abdruck der Realität, spiegelten sie gleichermassen den damaligen Wissensstand der Gesellschaft wider. So zusammenhangslos die angesammelten Exponate auf einen Blick auch wirkten, so beabsichtigt war dies. Denn das Geheimnis und Faszinosum der Wunderkammern lag darin, durch die aus ihrem Kontext herausgelösten Gegenstände den Betrachter zu neuen Gedankengängen, Verknüpfungen und Perspektiven zu inspirieren.
Die Trouvaillen des Lebens
Begreift man nun seine privaten Wohnräume als seine ganz persönliche Wunderkammer, so liegen die Parallelen auf der Hand. Denn auch lieb gewonnene Einzelstücke sind stets aus ihrem Kontext gelöst und entwickeln in Kombination mit anderen stil- oder kulturfremden Objekten eine neue Wirkung, eine ganz andere Sprache und Bedeutung. Und waren die Objekte im Kuriositätenkabinett in Wirklichkeit vielmehr Ausdruck des Intellekts, des Geschmacks und der Erinnerungen ihres Eigners und Schöpfers und nicht so sehr der tatsächlichen Realität, so trifft dies auch auf die neue Eleganz zu, die sich vorgefertigten Trends entzieht und durch den eigenen Geschmack gestaltet wird.
Dabei geht es nicht um die Mengen an investiertem Geld, Trendfarben oder das blosse Aneinanderreihen teurer und rarer Stücke. Die wahre Lebendigkeit, der Lebenshauch in Räumen, wächst über Jahre organisch – es geht um Kontraste, Stilbrüche und Charakter. Es geht darum, durch einen Stilmix verschiedener Dekaden, Kulturen und Stile eine atmosphärische Umgebung zu schaffen. Eine individuelle Collage, bei der Flohmarkt-Trouvaillen gleichberechtigt neben Designermöbeln, Erbstücke neben Erinnerungen aus fernen Ländern, der antike Tisch aus dem Auktionshaus neben Charles-Eames-Stühlen und auf dem Beistelltisch die winkende Katze aus dem Land des Lächelns stehen. Gleich den Wunderkammern von damals wachsen die persönlichen Wunderkammern über die Jahre, verändern sich, gehen in neue Richtungen oder werden um neue bedeutungsvolle Exponate erweitert. Einige Lieblingsstücke überdauern jeden Wechsel, andere bleiben zurück. Wie sich auch der Bewohner oder die Bewohnerin verändern, werden auch ihre Refugien zu Abbildern ihrer Persönlichkeit.
Work in Progress
So, wie auch das im Buch porträtierte Vereinshaus am Ufer des Alabama River des Industriedesigners David Hurlbut aus dem Jahre 1909, das vor dem Kauf 40 Jahre lang leer gestanden hatte. Als «Work in Progress» beschreibt er sein Herzensobjekt, seinen «Harmony Club», dessen Renovierung er zum grössten Teil selbst in die Hand genommen hat und die immer noch andauert. Eine faszinierende Gesamtkomposition, bei der die Patina erhalten und so der Glanz vergangener Tage wiederbelebt wurde. Eine ausgesprochen spannende Mischung bietet auch das New Yorker Loft im Stadtteil Noho des Künstlers und Nachtclubbesitzers Eric Goodes, dem einst der berühmte Club «Area» gehörte, in dem er auch gerne Kunstwerke von Freunden wie Haring, Warhol oder Basquiat ausstellte. Seine eigenen vier Wände sind dabei ebenso unkonventionell wie faszinierend mit Eyecatchern der besonderen Art in Form eines ausgestopften, springenden Löwen neben dem Sofa von Corbusier. «Farbe meets Naturholz meets klare Formen» lautet der «Wunderkammern-Code» des dänischen Möbelherstellers Fritz Hansen, der trotz klarer Linien eine unvergleichliche Gemütlichkeit geschaffen hat. Individuell und inspirierend heisst die neue Devise auf dem Tummelfeld des Interior-Designs. Und mal ehrlich – waren es nicht immer schon die Wohnungen der interessanten Menschen, in denen es viel zu entdecken gab?
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