Obi – Kunst, Tradition und Markenzeichen
- 11. Oktober 2013
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Leuchtend und kunstvoll drapiert, so kennt man im Westen den breiten Bindegürtel, der von Japanern über ihrem Kimono getragen wird. Auf Japans Strassen nur noch selten zu sehen, denken viele Europäer oft er wäre ein klassisches Geisha-Accessoire. Dabei erlebt der Obi zusammen mit dem Kimono gerade ein Revival. Ganz gleich, wie leuchtend die Farben eines Kimonos sein mögen, der Obi ist fast immer noch leuchtender. Wenn eine Lerngeisha vor Ihnen auf der Strasse geht, bemerken Sie nicht etwa ihren Kimono zuerst, sondern ihren leuchtend gefärbten, hängenden Obi, der nur einen Streifen des Kimonos an den Schultern und an den Seiten frei lässt. Um diese Wirkung zu erreichen, muss der Obi so lang sein, dass er von einem Ende des Zimmers bis zum anderen reicht. Aber es ist nicht die Länge des Obi, die einem zu schaffen macht, sondern sein Gewicht, denn er ist fast immer aus schwerem Seidenbrokat. «Ihn nur die Treppe hinauf zu bringen ist unendlich anstrengend, also können Sie sich vorstellen, wie es ist, wenn man ihn trägt. Das dicke Gewirk umschliesst die Taille wie eine von diesen gefährlichen Schlangen und der schwere Stoff, der hinten herab hängt, gibt einem das Gefühl, als hätte man einen Schrankkoffer auf dem Rücken», so beschreibt es Chiyo, die Protagonistin in dem Bestseller «Die Geisha» von Arthur Golden.
Vom Zweck zur Kunst
Tatsächlich ist der kunstvoll drapierte Bindegürtel, über dem Kimono getragen, bis zu fünf Meter lang. Seine Tradition hält er seit der Heian-Zeit (794 bis 1192) bis heute aufrecht. Einzig seine Breite hat sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verändert. War er zu Beginn eine lange Kordel, wurde er im Laufe der Jahrhunderte immer breiter und kunstvoller gewebt. Das Material ist meist Seide und das Farbspektrum reicht von uni schlicht bis bunt gemustert. Einer der berühmtesten Obi-Künstler der Neuzeit ist der Japaner Genbei Yamaguchi. Seine Kreationen sind traditionellen Mustern nachempfunden und ausschliesslich aus der wertvollen Koishimaru-Seide gefertigt. Oft üppig bestickt mit Fäden aus purem Gold, haben seine Kunstwerke nach oben beinahe kein Preislimit. Yamaguchi ist der Inhaber der Obi-Manufaktur «Kondaya Genbei» inmitten der Altstadt Kyotos.
Erfolg mit Luxus-Obis aus Kyoto
Vor 270 Jahren gegründet, begann das Unternehmen ursprünglich als Grosshandel. Als Yamaguchi im Jahr 1980 übernahm, verlagerte er das Kerngeschäft in die Fertigung handgearbeiteter Luxus-Obis. Nach seinen eigenen Entwürfen und Ideen und unter Berücksichtigung Jahrhunderte alter Traditionen gehört er heute zu den berühmtesten Obi-Designern der Welt. In Zusammenarbeit mit den besten Rohstoffherstellern und Webern ist es ihm gelungen, Tradition und Moderne innovativ zu verbinden. Dadurch hat er in Japan und Übersee einen grossen Kundenstamm gewinnen können.
Sein besonderes Markenzeichen ist neben dem hohen Qualitätsstandart die Verwendung ungewöhnlicher Materialien. Zu seinem Grundstoff, der Koishimaru-Seide, arbeitet er zusätzlich mit Fäden aus Altgold, Silberblättchen, Edelsteinen, seltenen Federn und auch alten Fischernetzen. Spezielle Kräuter-Farbstoffe aus der traditionellen japanischen «Kampo-Medizin», der japanischen Pflanzenheilkunde, verleihen nicht nur Farbe, sondern sollen ihre heilenden Kräfte und den Geist der Natur auf das Kleidungsstück übertragen. (Kampo stammt ursprünglich von der traditionellen chinesischen Medizin ab. So soll zum Beispiel der Farbstoff der Färberdistel – sie färbt die Seide je nach Verfahren Rosa, Kirschrot, Braunrot oder Braungelb – den Körper warm halten. Indigo, gewonnen aus der Indigopflanze, die Blau färbt, soll Mücken fernhalten. Yamaguchi will damit das in Vergessenheit geratene Bewusstsein für die geistige Bedeutung von Farben wiederbeleben.
Ursprung aus dem Morgenland
Auch die Muster seiner Obis entsprechen alten, traditionellen Webverfahren. Meist haben sie ihre Wurzeln im alten Persien, von wo aus sie sich nach Ost und West verbreitet haben. Das begründet gleichzeitig die Tatsache, warum viele verschiedene Kulturen ähnliche Muster mit der gleichen spirituellen Bedeutung verwenden. Nach Japan gelangten diese traditionellen Muster über die Seidenstrasse. Yamaguchi nutzt noch heute ihre tiefe Bedeutung. «Meine Obis sind nicht nur wertvolle Designer-Stücke, sie sollen dem Träger auch Glück bringen und Energie verleihen», erklärt der Japaner.
Nicht nur traditionelle Färbemethoden und Muster liegen dem Designer am Herzen, auch das verwendete Grundmaterial hat unter seinen Händen eine Renaissance erfahren. Die Koishimaru-Seide ist die reinste und kostbarste japanische Seide. Ursprünglich war ihre Verwendung dem japanischen Kaiserhaus vorbehalten. Das «Momijiyama Seidenraupenzucht-Center» innerhalb des kaiserlichen Palastes, war Jahrhunderte lang der einzige Ort der Welt, wo die sensiblen Seidenraupen gezüchtet werden durften. Bis 1998 gab es dafür sogar ein offizielles Gesetz.
Erfolg mit Massenproduktion
Ausserhalb der Palastmauern erfreute sich trotzdem ein erfolgreicher Handel mit der in Massenproduktion gefertigten Hybrid-Seide. Langes und dickes Garn, produziert von einer robusten und pflegeleichten Seidenraupenart, war der Verkaufs- und Exportschlager der japanischen Textilindustrie. Doch Yamaguchi wollte passend zu seiner Obi-Philosophie die Produktion der wertvollen Koishimaru-Seide wiederbeleben, sind doch die Seidenfäden viel feiner und um ein vielfaches weicher, als das sonstige Massenprodukt. Gemeinsam mit Experten baute er Maulbeerbäume an, deren Blätter vollkommen unbehandelt waren. Denn die empfindlichen Insekten, deren Grundnahrungsmittel Maulbeerblätter sind, vertragen ausschliesslich biologisch natürliche Pflanzenstoffe. Ein Hauch Pestizid oder sonstiger anorganischer Zusatzstoff und ein Massensterben ist vorprogrammiert.
Sein Wiederbelebungsversuch wurde zum Erfolg und bereits im Jahr 2002 hatte er so viel Koishimaru-Seide produziert, dass er sie in Kimonos und Obis verarbeitete und im Rahmen einer grossen Ausstellung präsentieren konnte. Dafür wurde er mit dem japanischen Kulturpreis ausgezeichnet.
Genbei Yamaguchi ist typisch japanisch: traditionell und bescheiden. Seine Erfolge in Wirtschaft und Kultur haben ihn nicht abheben lassen. Fast macht er den Eindruck, als freue er sich wie ein buddhistischer Zen-Mönch, ein altes Stück Tradition seiner Kultur und seinen Landsleuten zurückgebracht zu haben. Einen «Kondaya-Genbei» zu besitzen ist eine echte Wertanlage und ein wahres Stück japanischer Kultur und das nicht nur in Japan.