Nachhaltiger Kaviargenuss
- 5. September 2014
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Kaviar gehört zu den teuersten Lebensmitteln der Welt. Um an die wertvollen Fischeier heranzukommen, war es bislang üblich, die Störe vor der Entnahme zu töten. Dass hierbei auch viele Fische umsonst ihr Leben lassen mussten, da die Eier entweder zu un- oder überreif waren, war Angela Köhler, Professorin für Meeresbiologie an der Jacobs University Bremen und Leiterin der Forschungsgruppe «Zellbiologie und Toxikologie» am Alfred Wegener Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven, ein Dorn im Auge. Deshalb hat sie zusammen mit ihrem Forschungsteam das ausgeklügelte Vivace-Verfahren entwickelt, bei dem die Störe unversehrt bleiben und genug Zeit für die volle Reifung des «schwarzen Goldes» bekommen. So entsteht ein nachhaltiges Spitzenprodukt, das frei von jeglichen Konservierungsstoffen ist und sich mit gutem Gewissen geniessen lässt.
Prestige: Frau Prof. Dr. Köhler, die Idee, verantwortungsbewusst und nachhaltig Kaviar zu produzieren, resultiert aus einem Schockerlebnis, das Sie im Jahr 2005 im Iran hatten. Würden Sie uns davon berichten?
Frau Prof. Dr. Köhler: Im Jahr 2005 bin ich zu einem Kongress der Gesellschaft zur Rettung der Störe nach Ramsar/Iran am Kaspischen Meer gereist, da mich die Umweltprobleme dieser Region und die damit verbundene Ausrottung der vom Aussterben bedrohten Störe interessierten. Bei einem Besuch einer iranischen Kaviarproduktion erlebte ich, wie ein wild gefangenes Störweibchen mit einem Keulenschlag betäubt und zur Kaviarentnahme aufgeschnitten wurde. Zur Enttäuschung der iranischen Kaviarmeister mussten sie feststellen, dass die 8 kg Rogen zu reif für die Kaviarproduktion waren. Fisch und Kaviar wurden entsorgt, das nächste Störweibchen kam an die Reihe. Ich war entsetzt über diese Vergeudung wertvoller Ressourcen (Ein Weibchen hat bis zu 9 Mio. Eier!). Da habe ich die Entscheidung getroffen, mein Wissen dazu einzusetzen, dass Störe für die Kaviarproduktion nicht mehr getötet werden müssen.
Dieser nun in Deutschland produzierte «Correct Caviar» ist das Ergebnis eines ausgeklügelten Verfahrens, bei dem die Störeier mehrmals frisch – und ohne den Fisch schlachten zu müssen – entnommen werden können. Können Sie dem Laien kurz erklären, wie dies technisch überhaupt möglich ist?
In der Natur befindet sich jedes reife Ei, um neues Leben zu geben, mit allen Nährstoffen in einem wartenden Dämmerzustand, bis ein externer Bote, das Spermium, es aufweckt. Innerhalb von Sekunden aktivieren dann Botenstoffe eine Enzymkette im Ei, die die äussere Haut verfestigt, damit kein weiteres Spermium eindringen kann. Im Vivace-Verfahren wird dieser natürliche Prozess ohne Befruchtung des Eies nachgeahmt. Der Botenstoff Kalzium wird auf den Rogen gegeben, die dem unbefruchteten Ei suggerieren, sich zu verschliessen. Die grösste Herausforderung war es, zu verstehen, welche Stoffwechselprozesse wir mit dem Signal im Ei auslösen, und herauszufinden, welche Konzentrationen des Kalziums und welche Behandlungsdauer die optimale Kaviartextur hervorbringen.
Was unterscheidet Ihre Kaviar-Produkte von jenen der konventionellen Züchter?
«Vivace Correct Caviar» bewegt sich preislich im gleichen Segment wie herkömmlicher Spitzenkaviar, jedoch überzeugen inzwischen Qualität und Einsatzmöglichkeiten viele Privatabnehmer und Gastronomen, vor allem in Deutschland und Nordamerika. Die Vorteile liegen eindeutig in der perligen Textur und im sauberen Geschmack (ganz anders als jener vom toten Stör, der oft matschig, tranig und fischig ist). Durch Schlachtung gewonnener Kaviar muss aus dem Eierstock herausgerieben werden und ist sehr anfällig für Bakterien und Pilze. Bei unserem Kaviar drückt das Weibchen die einzelnen reifen Eier durch Muskelkontraktion aus dem Eierstock, diese fallen dann völlig sauber in die Bauchhöhle, von wo aus sie abgestreift werden können. Dadurch ist der Geschmack perlig und frisch und die Eier werden mit jeder «Ernte» grösser und besser.
Sie züchten Ihre Störe in der Vivace-Aquakultur. Wie gross muss man sich diese vorstellen? Und können Sie mit solchen Aquakulturen eine artgerechte Tierhaltung garantieren?
Unsere Anlage ist 7 500 Quadratmeter gross (etwa die Grösse eines Fussballfeldes) und wir haben zusätzliche Teichanlagen im Erzgebirge und in Sachsen zur Verfügung. Die Anlage ist so ausgelegt, dass wir dort 100 bis 140 Tonnen Störweibchen halten könnten und trotzdem noch sehr geringe Besatzdichten zwischen 40 und 60 Kilogramm je Kubikmeter Wasser haben. Derzeit haben wir 70 Becken, aber noch Platz für Erweiterungen. Die Gesundheit unserer Störe und ihre artgerechte Haltung werden in Zusammenarbeit mit Tierärzten, einem Tierschutzbeauftragten und CITES, der Artenschutzbehörde, ständig überwacht.
Störe können sehr alt werden. Wie oft können sie zur Kaviargewinnung eingesetzt werden? Was passiert nach ihrer produktiven Zeit? Wird etwa auch das schmackhafte Fleisch weiterverwendet?
Bis jetzt liegen praktische Erfahrungen über eine 10-malige «Ernte» der Störe vor. Die Produktion vom lebenden Stör wird nur durch ihr Gewicht begrenzt. Wir haben also noch viele Jahre Zeit, gemeinsam mit den Artenschutzbehörden zu überlegen, ob und wo wir Störe aussetzen können oder ob wir sie nur noch zu Zuchtzwecken einsetzen. Da Störfleisch ausgezeichnet schmeckt, könnte das Fleisch auch weiterverwendet werden.
Kaviar ist ein Luxus-Lebensmittel. Wie wollen Sie den zumeist wohlhabenden und oft nicht unbedingt für ihr Umweltengagement bekannten Kunden von Ihrem Konzept überzeugen?
Das stimmt so nicht. Viele Kaviargeniesser haben es aufgegeben, Kaviar zu kaufen. Andere geniessen Kaviar nur noch heimlich, da ihnen die Problematik natürlich bewusst ist. Die sogenannten «Wohlhabenden» schmücken sich heute aber auch gern damit, nachhaltig und verantwortungsvoll zu handeln, und auch sonst sehen wir in vielen Bereichen ein wachsendes Umweltbewusstsein. Aber wir wollen mit dem frischen und feinen Geschmack auch junge Kunden und Kaviareinsteiger gewinnen, die nun alle mit gutem Gewissen Kaviar essen können. Allein mit der Nachhaltigkeit meiner Idee konnte ich allerdings noch niemanden wirklich überzeugen, so viel Geld für dieses Luxus-Lebensmittel auszugeben. Vivace-Kaviar überzeugt als erstes durch seine Reinheit und Select-Qualität. Dazu kommt dann der erfreuliche Aspekt, etwas gegen das Artensterben zu tun.