
Meister der morbiden Unterhaltung – Alfred Hitchcock
- 30. November 2012
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Mehr als 30 Jahre sind seit dem Tod Alfred Hitchcocks vergangen, doch noch immer fesseln und faszinieren seine Filme die Menschen in aller Welt. Erst kürzlich wurde Orson Welles’ Meisterwerk «Citizen Kane» vom Thron gestürzt. Das britische Filmmagazin «Sight & Sound» vergab den Titel des besten Films aller Zeiten neu, den «Citizen Kane» ganze 50 Jahre lang innehatte. In der alle zehn Jahre durchgeführten Umfrage belegt nun Hitchcocks «Vertigo» den ersten Platz.
Dabei wurde Alfred Hitchcock, der schon zu Lebzeiten als Legende des Kinos galt, sein Erfolg keineswegs in die Wiege gelegt. Als Sohn eines Gemüsehändlers 1899 in der Nähe von London geboren, liess zunächst wenig auf eine Karriere im künstlerischen Bereich schliessen.
Die Anfänge
Hitchcock, schon als Kind klein und korpulent, war ein Einzelgänger, der nur schwer Anschluss fand und bereits mit vierzehn Jahren die Schule schmiss. In seiner Freizeit besuchte er Theater- und Kinovorstellungen, ging ins Scotland-Yard-Museum und verfolgte im Gerichtssaal Mordprozesse. Ein gewisses Talent zeigte sich bei ihm schon früh im Bereich des Technischen Zeichnens. Als 1920 ein britischer Ableger der amerikanischen Filmgesellschaft Paramount gegründet wurde, bewarb er sich dort mit seinen Illustrationen und wurde als Zeichner für Zwischentitel angestellt. In den folgenden Jahren gestaltete er nicht nur die eingeblendeten Textkarten für ein Dutzend Stummfilme, sondern entwarf auch Kostüme und Szenenbilder und half dabei, Drehbücher zu überarbeiten. Der Feuereifer des engagierten jungen Mannes überzeugte seine Arbeitgeber, die ihn bald selbst Regie führen liessen.
Erstes Aufsehen erregte Hitchcock 1926 mit «Der Mieter», in dem ein Einzelgänger zu Unrecht von seiner Umgebung verdächtigt wird, ein Frauenmörder zu sein. Dieses Motiv sollte Hitchcock in seiner Karriere noch häufiger aufgreifen und variieren. Zum letzten Mal begegnet es uns in «Frenzy» von 1972. Schon früh lag Alfred Hitchcocks Hauptaugenmerk auf der Bildgestaltung und der Filmmontage. Als ein Glücksfall erwies sich seine Aufgeschlossenheit gegenüber dem Aufkommen des Tonfilms. Während viele Stummfilmregisseure mit der neuen Technik nicht zurechtkamen und ihr kritisch gegenüberstanden, erkannte Hitchcock sofort das darin enthaltene Potential. «Erpressung», 1929 ursprünglich als Stummfilm produziert, wurde durch einen Nachdreh in einigen Schlüsselszenen mit Toneffekten und Dialogen angereichert. Dies machte «Erpressung» nicht nur zum ersten britischen Tonfilm überhaupt, sondern gleichzeitig auch zu einem enormen Publikumserfolg.
Der Bildkomponist
Ende der 30er-Jahre wechselte Hitchcock in die USA über, wo er für einige der namhaftesten Studios und Produzenten arbeitete. Er versuchte sich in den verschiedensten Genres, drehte Komödien und Kostümfilme, doch wirklichen Anklang fanden immer nur seine Thriller, die Spannung und schwarzen Humor auf geniale Weise miteinander verbanden. Auch in späteren Jahren war er immer darum bemüht, das Publikum zu überraschen und mit zuvor noch nie Gesehenem zu schockieren. Die Bilder, die der stets um ein Höchstmass an künstlerischer Kontrolle bemühte Hitchcock schuf, brannten sich in das Bewusstsein der Zuschauer ein. Noch heute denkt bei «Psycho» jeder Kinoliebhaber sofort an den für damalige Verhältnisse unerhört drastisch dargestellten Mord in der Dusche oder bei «Der unsichtbare Dritte» an Cary Grant, der von einem Kleinflugzeug gnadenlos durch die Einöde des Mittleren Westens gehetzt wird.
Hitchcock spielt mit Urängsten, wenn er uns die Ohnmacht des Unschuldigen im Angesicht einer tödlichen, nicht greifbaren Bedrohung spüren lässt, die unvermittelt aus dem Nichts zuschlägt. Hitchcocks Helden fürchten sowohl um ihre bürgerliche Reputation als auch um ihr Leben. Sie werden von Mördern und Spionen ebenso gejagt und getrieben wie von Vertretern des Gesetzes. In die Abenteuer, die sie überstehen müssen, geraten sie gegen ihren Willen. Oft reicht eine simple Verwechslung, um die gesellschaftliche Fassade einstürzen zu lassen.
Alfred Hitchcock liebte es, mit den Sehgewohnheiten und Erwartungen des Publikums zu spielen: In «Die rote Lola» beispielsweise entpuppt sich der vermeintlich unschuldig Verfolgte ganz am Ende doch als der wahre Mörder. Figuren, denen die Zuschauer über neunzig Minuten die Daumen drückten, stellen sich unverhofft, wie der harmlos wirkende Norman Bates in «Psycho», als die wahren Monster heraus. Wenn Bates die Beweise des scheinbar von seiner Mutter begangenen Mordes im nahe gelegenen See verschwinden lassen will, halten wir unweigerlich die Luft an und fiebern mit ihm mit.
Nur selten brach Hitchcock mit seinem Grundprinzip, Leben und Fiktion strikt voneinander zu trennen. Er liebte die Arbeit im Atelier, auf der Studiobühne, wo er volle Kontrolle ausüben konnte und nicht, wie in der freien Natur, von plötzlich wechselndem Wetter oder anderen Unwägbarkeiten überrascht werden konnte. Nicht das Authentische reizte ihn, sondern das Künstliche. Nichts langweilte ihn mehr als Geschichten, die auf Tatsachen beruhen. So liess er «Eine Dame verschwindet» bewusst in einem fiktiven Balkan-Staat spielen. Für «Familiengrab» kombinierte er San Francisco und Los Angeles zu einer einzigen grossen Stadt.
Das Kino war für ihn ein Ort der reinen Unterhaltung. Seine Kunst sollte eine rein ästhetische, keine politisch engagierte sein. Hitchcocks Filme waren nie Vehikel für Botschaften oder Überzeugungen. Die Form bestimmte den Inhalt, nicht umgekehrt. Bei Hitchcock, so Truffaut, wurde «das Kino wirklich zu einer abstrakten Kunst». Möglicherweise liegt darin einer der Hauptgründe dafür, wieso sich seine Werke so gut gehalten haben und noch immer frisch wirken, niemals altmodisch oder verstaubt.
Kein Regisseur der Filmgeschichte verstand es, die Zuschauer so effektiv zu manipulieren wie Hitchcock. Und von kaum einem anderen lassen wir uns noch heute lieber manipulieren als von ihm.
Shortcu
Anthony Perkins
Für Anthony Perkins war die Rolle des Norman Bates Fluch und Segen zugleich. In den 50er-Jahren spielte er Theater am Broadway und erste kleinere Filmrollen in Hollywood. Für «Psycho» sagte er zu, weil er mit Hitchcock arbeiten wollte. Da ahnte er noch nicht, wie stark die Rolle des psychopathischen Motelbetreibers seine weitere Karriere beeinflussen sollte. Perkins, der zuvor meist den netten Jungen von nebenan gespielt hatte und an der Seite der jungen Jane Fonda auch schon mal den romantischen Helden geben durfte, wurde nach dem Erfolg von «Psycho» bloss noch auf diese eine Rolle festgeschrieben. Auf der Strasse sprachen ihn die Leute sogar mit «Norman» an. Lange kämpfte er dagegen an, in diese Schublade gesteckt zu werden; letzten Endes akzeptierte er es jedoch. Mit Norman Bates, dem «Hamlet des Horrors», war er ein Teil der Filmgeschichte geworden. 1982 kehrte Perkins für «Psycho II» erstmals wieder zu seiner Paraderolle zurück. Zwei weitere Fortsetzungen folgten; bei Teil 3 übernahm Perkins sogar selbst die Regie.