
Kunst am Küchentisch
- 15. April 2023
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Gast und gleichzeitig Teil der Küche sein. Im altehrwürdigen Löwenbräu-Areal inmitten Zürichs erfahren Gourmets und Geniesser ein neuartiges Gastro-Erlebnis à la Chefs Table. Ein Konzept, das aus einem Dinner ein Erlebnis und aus Gerichten Kunstwerke macht.
Autorin_Swenja Willms
Bilder_Mirabelle AG
Acht Tische stehen verteilt im Raum, es herrscht ein industrielles Ambiente im denkmalgeschützten Löwenbräu-Silo in Zürich. Ich betrete eine Welt der Kontraste, das Fine-Dining-Restaurant «elmira» macht vieles anders. Dies wird mir schon vor dem Betreten des Lokals bewusst. Denn gleich einem Konzertbesuch wird die Tischreservierung für das kulinarische Erlebnis im «elmira» im Voraus über ein Onlinetool gebucht. So entsteht für das Küchenteam eine Planungssicherheit und somit kaum bis kein Foodwaste. Für die Gäste steht der Genuss stets im Vordergrund, da das mühsame Prozedere um die Abrechnung entfällt. Selbst die Tischwahl wird bei der Onlinebuchung dem Gast überlassen. Ich entscheide mich für einen Tisch direkt gelegen an der offenen Küche. Schliesslich möchte ich Chefkoch Vilson Krasnic genau im Blick haben, wenn er die essbaren Kunstwerke vorbereitet, die uns hier begegnen sollen. Entgegen der allgemeinen Erwartung, dass es in einer Gastroküche laut und hektisch zu- und hergehen muss, herrscht in der offenen Küche Ruhe und Harmonie. «Mittlerweile können wir den Stress gut verstecken», verrät mir Krasnic am Ende des Abends und schmunzelt dabei. Dass das Team miteinander harmoniert, wird auf den ersten Blick klar: Freude herrscht in der Küche, man lacht, Gastgeber Nicolas Bernet schnippt lässig mit seinen Fingern im Takt der Musik und schreitet schwungvollen Schrittes durch das kleine Lokal. Die Distanziertheit und Kühle, die vielleicht in einem edlen Restaurant vermutet wird, sucht man hier vergebens. Auf Du und Du ist man als Gast mit dem Küchenchef und Sommelier – eine Atmosphäre, die für diese intime Art von Dinner notwendig ist. Schliesslich werden die Speisen teilweise erst direkt am Tisch gemeinsam mit dem Gast vollendet.
Bereits beim Amuse-Bouche wird klar: Das hier wird kein gewöhnliches Sieben-Gänge-Menü. Gebackener Tofu, serviert am Partyspiess, oder ein Berlingot – ursprünglich ein französisches Bonbon in pyramidenähnlicher Form, im «elmira» jedoch in salziger Variation aufgetischt mit Kürbis und Spitzkohl-Kimchi. Der Appetizer macht Lust auf mehr und noch bevor der eigentliche erste Gang angerichtet wird, versetzt mich Krasnic mittels seiner sorgfältig ausgewählten Speisen und deren visueller Darbietung auf dem Teller in ein Setting fern des Löwenbräus. So schweife ich umher, knusprige Chips vom Kräuterseitling und eine würzige Pilzessenz versetzen mich in einen dichten Mischwald an einem lauwarmen Herbsttag. Was dem Gaumen folgt, erblickt das Auge zuerst: Reagenzgläser, drapiert auf einem Bett mit Moos und Eicheln – der zweite Vorgeschmack auf das hochkarätige Dinner.
Erlebnisküche mit kulinarischen Überraschungen
Die Gäste des «elmira» haben die Wahl zwischen einem pflanzenbasierten und einem tierischen Menü – so können auf Sterneniveau erstmals alle Bedürfnisse gestillt werden und Veganer*innen als auch Fleischliebhaber*innen gemeinsam ausgehen. «Unsere regionalen Produkte sind stets auf die Saison angepasst und werden durch die innovative Veredelung zu den Stars des Hauses», sagt Chefkoch Vilson Krasnic. Für den Winter werden die saisonalen Zutaten haltbar gemacht, um auch in der kalten Jahreszeit abwechslungsreiche Gerichte anzubieten. Der erste Gang des Abends wird serviert und erweitert das Verständnis des herausragenden Talents. Das Radieschenkarussell, gebettet auf Ziegenfrischkäse, wahlweise gepaart mit Kalbszunge oder Senfkörnern, kommt einem Kunstwerk gleich. Den letzten Schliff, gleich der Signatur auf einem Gemälde, verleiht Krasnic dem Gericht mit einer Balsamico-Essenz, die direkt am Tisch vor den Augen der Gäste das Werk vollendet. Die Nähe zum dreiköpfigen Küchenteam schafft Zeit und Raum für Gespräche. Anekdoten und Kurzgeschichten zu den Gerichten sind keine Seltenheit. Das Personal wird zum Kompagnon. So lernen wir Benjamin Décôtes-Genon kennen, Chef de Partie, der beim Servieren des Brotgangs erklärt, dass in seiner Heimat, der Bretagne, das Sprichwort gilt: «Butter ist Leben». Deswegen bekommen Brot und Butter im «elmira» seinen eigenen Gang und die Chance, zu glänzen. Die passende Butterbegleitung zum ofenfrischen Sauerteigbrot wird in Form einer cremigen Schnittlauchbutter oder einer Crispy-Chicken-Skin-Butter gereicht. Auch wenn die Produkte saisonal sind, scheut sich Krasnic nicht davor, seine Gäste in kulinarisch fernere Orte zu entführen. So gleicht der dritte Gang, der Feldkaviar, angerichtet auf einer Tofucreme, einer Reise nach Japan. Der passende Oolong-Tee wird dazu gereicht, denn die passende Getränkewahl ist auch hier kein Zufall. Gastgeber und Sommelier Nicolas Bernet hat für jeden Gang die passende Wein-, Saft- oder Teebegleitung ausgearbeitet. «Wir haben den Fokus auf biodynamische Weine aus dem In- und grenznahen Ausland gelegt, die ein perfektes Pairing bieten», sagt er. Eine weitere Spezialität des Hauses ist die von ihm selbst hergestellte nichtalkoholische Saftbegleitung. Neben hausgemachten Shrubs und Kombuchas serviert der Sommelier feine Obstsäfte, die alternativ zum Wein mit den Gängen harmonieren. Dabei können die Gäste bei jedem Gang neu entscheiden, von welchem Wein oder Saft sie noch mehr geniessen möchten. Auch für Mutige hält Bernet etwas bereit: Zum vierten Gang, einer Winter-Schnitte, basierend auf Sellerie, karamellisierten Zwiebeln, Kastanie und Périgord-Trüffel, wird der hausgemachte Zwiebel-Shrub gereicht. Streng im Geruch, doch überraschend im Geschmack – die süsssaure Note sorgt für eine regelrechte Explosion im Gaumen.
Nach rund vier Stunden endet unser kulinarischer Abend auf Sterneniveau. Welche Leckerbissen das restliche Menü des «elmira» vervollständigen, bleibt an dieser Stelle verschwiegen. Natürlich gehen wir nicht, ohne einen kurzen Schwatz mit dem Küchenchef und Sommelier zu halten. Der Abend endet eben, wie er begonnen hat, in familiärer Atmosphäre und mit Liebe für den Gast.
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