
Kochen mit Seele
- 17. September 2021
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Rolf Fliegauf (40) gehört zu den besten Köchen der Schweiz, er hat zwei Michelin-Sterne und begeistert mit seiner avantgardistischen und produktfokussierten Küche im Sommer die Gäste im «ECCO» in Ascona. Während der Wintermonate lassen sich seine Gerichte im «ECCO» in St. Moritz geniessen.
PRESTIGE: Koch des Jahres 2021. Mit 29 Jahren zum jüngsten 2-Sterne-Koch Europas geworden und seitdem die beiden Sterne «verteidigt» – was bedeuten Ihnen diese Auszeichnungen persönlich?
ROLF FLIEGAUF: Ich nehme mich ja selbst nicht so wichtig. Doch es sind natürlich tolle Auszeichnungen. Es ist ein wunderbarer Lohn für die geleistete Arbeit. Für all die Mühe und Zeit. Vor allem sind sie aber für das Team eine wunderbare Sache. Für mich als Mensch verändert sich der Alltag durch diese Auszeichnung jedoch nicht.
Wie wichtig sind sie für Ihre berufliche Reputation?
Für die Wirtschaftlichkeit der Restaurants sind sie auf jeden Fall wichtig. Sie helfen dabei, Aufmerksamkeit zu erreichen. Und auch für mich in meiner Position als Koch sind sie relevant. Mit solchen Auszeichnungen wirst du anders wahrgenommen, bist bekannter. Daher: Für die Wirkung nach aussen sind sie ganz klar ein Vorteil.
Wie erleben Sie den Moment vor der Bekanntgabe, wie viele Michelin-Sterne vergeben werden?
Die Verleihung erfolgt während eines Live-Events, bei dem ich in der Regel vor Ort bin. Und ich glaube, dass ich unsere Küche insofern gut einschätzen kann, als dass ich auf der Hinfahrt nicht Angst habe, mit weniger Sternen als den vorhandenen zwei nach Hause zu fahren. Daher bin ich eher entspannt und muss auch sagen, dass dieses Event für mich schon etwas «normal» ist, auch wenn das vielleicht vermessen ist.
Merken Sie eigentlich, wenn die Testesser im Haus sind?
Grundsätzlich wird anonym getestet. So fragt man sich manchmal schon, ob dieser oder jener Gast eventuell vom Michelin kommt. Andere geben sich auch zu erkennen, oder es ist jemand, dessen Gesicht man einfach kennt und von dem man weiss, dass er ein Testesser ist. Doch im Grunde bringt es einem auch nichts, wenn man weiss, dass die Testesser im Hause sind. Die Waren sind da, du hast dein Angebot für den Tag geplant und kannst spontan ja nicht alles über den Haufen werfen. Und so reicht es eben an diesem Abend oder eben nicht. Zudem hat kein Gast etwas davon, wenn wir für die Testesser auf Sterneniveau kochen und an anderen Tagen dann nicht.
Ihre Frau ist als Restaurantleiterin stets an Ihrer Seite – wie wichtig ist diese persönliche Teamarbeit für Sie?
Das ist Fluch und Segen zugleich (lacht). Wir haben diesen Schritt wirklich lange hinausgezögert, weil wir uns ganz sicher waren, nicht so eng zusammenarbeiten zu wollen. Und wir haben uns anfangs auch schwergetan. Mittlerweile aber läuft es sehr, sehr gut. Und für mich ist es unheimlich wichtig, dass ich weiss, dass wir für das Gleiche brennen und dass wir die gleiche Philosophie vom Gastgebertum haben. Wir tun alles, um die Gäste zu begeistern. Dafür gehen wir jede Extrameile, wobei Jenifer sicher hier noch extremer ist als ich. Und der wichtigste Punkt ist sicher, dass ich mir um den Service keine Sorge machen muss. Ich kann mich ganz auf meinen Bereich – die Küche – konzentrieren, weil ich zu hundert Prozent darauf vertrauen kann, dass es im Restaurant läuft.
Wer kocht eigentlich bei Ihnen zuhause?
Leider ich, zumindest am Abend. Meine Frau ist für das Frühstück verantwortlich. Doch ich muss auch sagen, dass wir selten zuhause kochen. Wir gehen gerne ins Restaurant und sind froh, dass das nun wieder möglich ist. Und wenn wir daheim essen, gibt es in der Regel ein Pfannengericht – also ein Gericht, das sich in einem einzigen Topf zubereiten lässt.
Und was machen Sie, wenn Sie mal nicht arbeiten?
Wir leben ja im Tessin, und das bietet sehr viel Möglichkeiten. Da unsere Arbeit sehr anstrengend ist, auch körperlich, liegen wir gerne einmal einen ganzen Tag am See. Wir lieben das Wasser. Oder wir erledigen die liegengelassenen Büro-Tätigkeiten, während wir entspannt mit einem Aperol Spritz in der Sonne sitzen.
Entstehen neue Gerichte eigentlich zuerst in Ihrem Kopf oder beim Kochen?
Im Kopf. Wir überlegen, was wir machen wollen. Dabei spielt die Saison eine wichtige Rolle. Denn hochwertige Produkte kann es nur in der jeweiligen Saison geben. Perfekte Erdbeeren werden Sie im Oktober nirgendwo in der Schweiz finden. Steht das Gericht im Kopf, probieren wir es aus. Mehrfach, denn oft funktioniert es nicht beim ersten Versuch. Wenn es dann für unseren Geschmack stimmt, kommt es auf die Karte. Sind wir nicht zufrieden, verwerfen wir es.
Haben Sie eine Lieblingszutat?
Ich habe sogar zwei. Zuerst einmal Schnittlauch, das Banalste der Welt. Zwiebeln und Schnittlauch. Und dann noch Zitrusfrüchte.
Was ist für einen Rolf Fliegauf der grösste Frevel, den man in einer Küche tun kann?
Die Art und Weise, wie wir kochen, hat sehr viel mit Leidenschaft zu tun. Und dieses Gefühl wie auch den Spass am Kochen muss man schmecken können. Einfach etwas zusammenzuwürfeln, in dem keine Seele steckt, geht gar nicht für mich.
Womit kann man Sie in der Küche so richtig auf die Palme bringen?
Ich bin wirklich nicht leicht aus der Ruhe zu bringen. Fehler sind bei mir absolut erlaubt, jeder Mensch macht Fehler. Was mich jedoch stört, ist, wenn Menschen ihre Sache nicht sauber zu Ende machen. Also einfach sagen: Ich bin mit dem 90-prozentigen Resultat zufrieden.
Im Winter ziehen Sie mit Ihrem Team ins «ECCO» nach St. Moritz um. Gibt es Unterschiede zur Küche, die Sie in Ascona anbieten?
Im Grunde bleibt unsere Küche die gleiche, denn die Menschen kommen ja genau deswegen zu uns. Was sie in Ascona schätzen, wollen sie auch in den Bergen geniessen können. Es ist jedoch schon so, dass wir in St. Moritz etwas «rustikaler» kochen. Die Aromen sind deftiger, was sicher auch an der Saison liegt. Niemand will im Hochsommer ein Schmorgericht; wenn es draussen kalt ist, sieht das schon anders aus. Dazu kommen Dinge wie erdiges Gemüse oder Trüffel, auch die finden sich eher in der Wintersaison.
Hypothetisch: Sie dürfen sich in ein Restaurant einladen – irgendwo auf dieser Welt –, und die Kosten spielen keine Rolle. Wo würden Sie hingehen?
Ich würde mich gerne einmal zwei Wochen komplett durch Tokio essen. Und ich würde gerne einmal ins «Chef’s Table at Brooklyn Fare» in New York. Hier ist César Ramirez Chef, eine absolute kulinarische Ausnahmeerscheinung.
Im Zusammenhang mit Events kochen Sie auch gemeinsam mit anderen Sterneköchen und angesehenen Kollegen. Was nehmen Sie persönlich aus solchen Begegnungen mit?
Auf diese Events freue ich mich sehr. Mit einigen Kollegen ist man ja auch gut befreundet. Und ich nehme immer etwas mit. Vor dem eigentlichen Event sitzt man gemeinsam am Tisch, philosophiert über Zutaten und Gerichte. Und beim Event selbst macht es einfach unheimlich viel Spass, gemeinsam zu kochen. Und danach lässt man alles gemeinsam mit einem guten Glas Wein oder anderem ausklingen.
Es gibt demnach keinen grossen Wettbewerb untereinander?
Niemand muss mehr zeigen, wie toll er ist. Jeder von uns hat sich seine Sporen verdient und hat sich seine Auszeichnungen erarbeitet. Niemand hat sie geschenkt bekommen. Wettbewerb ist da wirklich nicht vorhanden. Jeder von uns will sein Bestes geben, und das nicht, weil er vor den anderen gut dastehen will, sondern die Gäste sollen begeistert sein. Das ist es, was uns alle antreibt.
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