
Italienische Zeit-Boliden für die Uhrenwelt
von Gisbert L. Brunner
- 20. April 2019
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Gutes Investment
Hätte man, ja hätte man nach dem Genfer Uhrensalon im April 1998 eines von 60 Exemplaren der neuen «Panerai Referenz PAM21» für rund 38’000 Schweizer Franken (46’000 Deutsche Mark) erworben, könnte man sich heute äusserst glücklich schätzen. Je nach Erhaltungszustand zahlen Liebhaber dieser Armbanduhr mit Platingehäuse und altem Handaufzugswerk vom Kaliber Rolex 618 das Drei- oder sogar Fünffache.
«Allein mit dieser limitierten Edition», bekannte der mittlerweile in den Ruhestand verabschiedete CEO Angelo Bonati, «hat die Richemont-Gruppe den Kauf der Marke Panerai im Jahre 1997 finanziert.» Als Mitgift gab es nämlich 65 grosse Rolex-Werke, welche 1936 die erste «Radiomir Panerai» beseelten.
Ein gutes Geschäft machten auch die Käufer der «Luminor Marina PAM001», sofern es sich um die sogenannte Pre-A-Serie mit Tritium-Indexen am Zifferblatt handelt. 1998 schlug jedes Exemplar mit 3700 Franken zu Buche. Gegenwärtig erlöst dieser Zeitmesser mehr als das Doppelte. Die Auflistung liesse sich beliebig fortsetzen. Wer beispielsweise eine Panerai «Bronzo» ergattern konnte, dürfte das Investment keinen Tag lang bereut haben.
Aus militärischen Ansprüchen geboren
Von solchen Erwägungen waren Giuseppe und Maria Panerai Anfang der 1930er Jahre weit entfernt. Sie traten in die Fussstapfen ihres Vaters Guido, der 1860 in Florenz die «Guido Panerai & Figlio» gegründet hatte. Seine kleine Firma spezialisierte sich auf präzise Instrumente und komplizierte mechanische Geräte für die Nautik. Die Kinder gingen einen Schritt weiter und eröffneten gegenüber dem Dom das Uhren-Fachgeschäft «Orologeria Svizzera». Im Auftrag der italienischen Marine-Administration entwickelten die «Officine Panerai» den ersten Prototyp einer speziellen Taucher-Armbanduhr. Tatkräftige Unterstützung leistete dabei Rolex. Die Schweizer steuerten das überdimensionierte kissenförmige «Oyster»-Gehäuse mit Schraubkrone und besagtes Handaufzugswerk bei. Letzteres basierte auf einem Rohwerk des Spezialisten Cortébert. Dass sich Panerai im Wettbewerb mit anderen Uhrenherstellern durchsetzen konnte, lag freilich auch am bestens ablesbaren Zifferblatt. Eine Mischung aus Zinksulfat, Radiumbromid und Mesothonum sorgte für besonders hohe Leuchtkraft. Somit liess sich die unter Wasser besonders kostbare Zeit selbst bei völliger Dunkelheit unmissverständlich ablesen. Und dieser Sachverhalt reduzierte die Gefahr einer Entdeckung durch den Feind ganz erheblich. Ab 1938 nutzten Kampftaucher der «Gamma»-Gruppe die «Radiomir Panerai» bei gewagten Unterwasser-Angriffen auf feindliche Schiffe. Die Achillesferse bestand in der Notwendigkeit, das Uhrwerk täglich aufzuziehen. Im Eifer des Gefechts konnte das sorgfältige Verschrauben der Krone durchaus in Vergessenheit geraten. Ein Ausweg bestand zunächst einmal in der Verwendung von «Angelus»-Kalibern mit acht Tagen Gangautonomie.
Logischerweise blieb die Zeit bei Panerai nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs keineswegs stehen. Für die «Marina Militare» verwendete das Familienunternehmen ein neues, primär auf dem Wasserstoff-Isotop Tritium basierendes Leuchtmaterial mit dem 1949 geschützten Namen «Luminor». Als nachhaltiger Stein der Weisen in Sachen Wasserdichte erwies sich eine 1956 patentierte Gehäusekonstruktion. Bei dem gleichfalls «Luminor» getauften Modell presst ein Andruckhebel die Krone fest ans Gehäuse. In geöffnetem Zustand zum Aufziehen oder Zeigerstellen steht er als Gedächtnisstütze für die Taucher unübersehbar weit vom Gehäuse ab.
Panerei für Zivilisten
In den späten 1960er Jahren begann bei Panerai eine ausgeprägte Schwächephase. Infolge schwerer Krankheit wollte Giuseppe Panerai den gewerblichen Bereich seiner Firma an die italienische Marine veräussern und nur seine «Orologeria Svizzera» fortführen. Doch die Behörden spielten nicht mit. Nach Giuseppes Tod im Februar 1972 liessen sie unter Verweis auf das Militärgeheimnis ihre Muskeln spielen. Nun übernahm Dino Zei, seines Zeichens Marineoffizier und Ingenieur, das Ruder bei der «Officine Panerai S.r.l.» Als das Ende des Kalten Kriegs den Bedarf an militärisch ausgerichteten Erzeugnissen quasi auf den Meeresgrund sinken liess, konnten endlich auch zivile Uhren-Aficionados die Marine-Klassiker erwerben. Am 10. September 1993 fiel der Startschuss ins neue Zeitalter. Der weitere Weg in die Zukunft ist nicht zuletzt auch Sylvester Stallone zu verdanken. 1994 erwarb «Sly» in Florenz eine «Luminor», legte sie während der Dreharbeiten zum Streifen «Daylight» nicht mehr ab und orderte später für Freunde eine Kleinserie dieser Armbanduhr. Eine der raren «Slytech Submersible» trug Arnold Schwarzenegger im Film «Eraser». So viel Prominenz begeisterte Johann Rupert, den Hauptaktionär der Richemont-Gruppe. Im März 1997 ging die Übertragung des Markennamens «Officine Panerai» sowie der technischen Dokumentationen, Patente und aller vorhandenen Lagerware, darunter auch besagte Rolex-Uhrwerke, über die Bühne. Mit dem Genfer Uhrensalon 1998 begann für das italienische Traditionsunternehmen nicht nur eine neue Ära, sondern ein Flug in ungeahnte Höhen. Als Pilot und CEO zeichnete 20 Jahre lang Dottore Angelo Bonati verantwortlich.
Uhrwerke aus eigener Manufaktur
Das Ein und Alles jedes Zeitmessers ist zweifellos sein Uhrwerk. Panerai kaufte es bis 2005 ausnahmslos bei etablierten Rohwerkelieferanten. Ab Oktober 2002 beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe bei der spezialisierten Mechanik-Schwester ValFleurier mit der Entwicklung exklusiver Kaliber. Bereits im Zuge der Konstruktion dachten die Konstrukteure an Zusatzfunktionen, welche das Spektrum Zug um Zug erweitern sollten. Im September 2005 standen die ersten 250 Exemplare des Handaufzugskalibers P.2002 mit acht Tagen Gangautonomie zur Verfügung. Von da an ging es Schlag auf Schlag. Inzwischen beweisen mehr als 20 verschiedene Mechanik-Mikrokosmen ohne und mit Komplikation, was Innovationsgeist und Investitionsbereitschaft hervorzubringen vermögen. Im «Laboratorio di Idee» von Panerai sind verwegene Gedanken und scheinbar waghalsige Experimente nicht nur erlaubt, sondern auch definitiv erwünscht. Vom expressis verbis zugestandenen Recht machen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ideenwerkstatt auch reichlich Gebrauch. Ihre Kreativität ist das grösste Kapital der im neuen Manufakturgebäude Tätigen.
Besuch in Pierre-à-Bot
Wer auf der Landstrasse von Neuchâtel nach La Chaux-de Fonds fährt, muss zwangsläufig am 2013 eröffneten Komplex in Pierre-à-Bot vorbei. Zum Rundgang durch das 10’000 Quadratmeter grosse Bauwerk Eingeladene merken sofort, dass Planer und Ausführende ganze Arbeit geleistet haben. Alles, was es zur Kreation, Herstellung, Vermarktung und Wartung hochrangiger Armbanduhren braucht, ist hier versammelt. Teamgeist, Ergonomie, Prozess-Optimierung, Ökologie und vor allem Zukunftsperspektiven werden gross geschrieben. Unter dem Dach gehen Menschen unterschiedlicher Profession und Qualifikation ihrer Arbeit nach. Besondere Bedeutung kommt der immens wichtigen Abteilung Forschung und Entwicklung zu. Die Qualität des schöpferischen Wirkens ergibt sich aus der Tatsache, dass etwa 80 Prozent des Vorgeschlagenen über kurz oder lang Realität werden. In der «Folterkammer», einem bestens ausgestatteten Test- und Prüflabor, muss sich alles hundertprozentig bewähren. Um die Werke- und Uhrenproduktion kümmern sich im eigenen Haus und bei ValFleurier ausgefuchste Spezialisten verschiedenster Metiers. Ihre Kompetenz reicht von der Platinenfertigung bis hin zum finalen Check. Exklusivität besitzen mittlerweile mehr als 85 Prozent der von Panerai genutzten Uhrwerke. Tendenz weiterhin steigend. «Die Markenpolitik», so der neue CEO Jean-Marc Pontroué, «besteht darin, weitere Manufakturkaliber zu präsentieren. 2020 werden wir während des Genfer Uhrensalons SIHH ein neues Uhrwerk vorstellen, das hundertprozentig bei uns in Neuchâtel entwickelt wurde.»
Rigorose Kontrolle geniesst in allen Herstellungsstadien extrem hohen Stellenwert. Selbst Gefertigtes und Zugeliefertes erfahren dabei gleiche Behandlung. Als Heiligen Gral unterhält die Manufaktur ein Haute-Horlogerie-Atelier, in dem Kompliziertes wie beispielsweise die aussergewöhnlichen Drehgang-Kaliber entstehen. Auch hier bleibt dem Zufall definitiv nichts überlassen. Ganz abgesehen davon achtet Panerai schliesslich auch auf nachhaltigen Umgang mit Energie und Umweltschutz. LED-Beleuchtung ist ebenso selbstverständlich wie die Nutzung von Erdwärme und gesammeltem Regenwasser.
Mit Jean-Marc Pontroué in die Zukunft
Zweifellos verknüpfen sich mit dem Namen Panerai die Welten des Wassers und abenteuerlicher Unternehmungen. Dessen ist sich auch Jean-Marc Pontroué bewusst. Seit Mitte 2018 bestimmt der agile Franzose den Kurs. Als CEO teilt er die Auffassung seines Vorgängers: «Wo kam Panerai her, und wo wollten wir mit der Marke hin, um am Markt erfolgreich bestehen zu können?» Seine Vision und Strategie zielt jedoch auf insgesamt vier Uhrenlinien: «Radiomir, verknüpft mit der Geschichte unserer Marke, und Luminor, basierend auf dem italienischen Vermächtnis. Luminor Due spricht eine neue, als Millennials bekannte Klientel an. Für Extremsport steht schliesslich die Submersible.»
Nach Stationen im LVMH-Konzern, bei Montblanc und ab Februar 2012 als CEO von Roger Dubuis ist die künftige Tätigkeit in Pierre-à-Bot für Jean-Marc Pontroué eine echte Beförderung. Zahlen darf keine der Richemont-Marken nennen. Aber schätzungsweise setzt Panerai jährlich etwa 450 Millionen Schweizer Franken um, während es Roger Dubuis nur auf etwa 80 Millionen brachte. Am neuen Job fasziniert den neuen Chef einmal, dass Panerai zwei echte Ikonen namens «Radiomir» und «Luminor» vorweisen kann. Sein Credo: «Wir gehören zu den ganz wenigen Playern mit einer speziellen Gehäuseform, welche sich ganz eng mit unserer Marke verknüpft.» Zum anderen existiert mit den «Paneristi» eine leidenschaftliche Fangemeine. Für sie ist die italienische Traditionsmarke so etwas wie eine Religion. Darüber hinaus möchte er auch das Ideenlabor weit umfänglicher nutzen, als das bisher geschehen ist. Pontroué zufolge soll es sich keineswegs nur auf Uhren beschränken. Das Wirken der Kreativen bezieht sich auf die gesamte Philosophie und Strategie, beginnend beim Design, über die Technik und die Materialien bis hin zur Art, wie Panerai arbeitet und sich nach aussen darstellt. Panerai repräsentiert nämlich weitaus mehr als nur Uhren. Panerai ist nach Auffassung des ersten Mannes an Bord eine Marke, «die, mehr als andere, ihre einzigartigen Werte durch spektakuläre Erlebnisse unterstreichen kann. Unsere Kunden müssen Einzigartiges erleben, wenn sie unser Ideenlabor in Neuchâtel besuchen und unsere eigenen Boutiquen besuchen. Als Pioniermarke muss Panerai wie schon immer auch besondere Erfahrungen ermöglichen.» Wenn gewünscht kann dies auch fernab der Heimat geschehen. Davon zeugt unter anderem die neue «Submersible Mike Horn Edition – 47 mm». Entstanden ist diese Armbanduhr für einen grossartigen Abenteurer, mit dem das Unternehmen schon seit langem kooperiert. Ihr Gehäuse besteht aus recyceltem Titan. Wasser kann dem hauseigenen Automatikkaliber P.9010 mit drei Tagen Gangautonomie bis zu 300 bar Druck nicht das Geringste anhaben. Aus Recyclingmaterial lässt die Manufaktur auch das Armband fertigen. Somit leistet diese Armbanduhr einen zwar kleinen, aber dennoch nicht zu vernachlässigenden Beitrag zum Umweltschutz. Neben dem Zeitmesser bekommen die insgesamt nur 19 Käufer auch ein Abenteuer mit dem charismatischen Markenbotschafter. Nach einem gründlichen Gesundheits- und Fitnesscheck können sie mit Mike Horn einige Tage auf und zwischen arktischen Eisschollen verbringen. Mit dieser und zwei ähnlichen Offerten erweist sich auch Jean-Marc Pontroué 2019 als echter Pionier in der Vermarktung von Uhren. Erlebnisse wie diese lassen sich normalerweise mit Geld nicht erwerben. Und das macht sie einzigartig. Vermutlich werden andere Marken dem Beispiel in nicht allzu langer Zeit folgen.
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