
Ich baue eine Stadt für dich
von Wilma Fasola
- 28. Juli 2017
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Dem niederländischen Architekten Rem Koolhaas sind Reichtum und Anerkennung nicht wichtig. Für ihn steht der Mensch im Fokus seiner Arbeit. Daher haben alle seine Entwürfe einen gesellschaftlichen Hintergrund.
Seine Referenzen lassen einen mit dem Scrollen gar nicht mehr aufhören. Ellenlang ist die Liste, die sich dem User eröffnet, sucht er nach den fertiggestellten Bauten des Architekten Rem Koolhaas. Bibliotheken, Galerien, Hotels, Theater, Museen – es gibt kaum eine Immobiliengattung, die es nicht auf die Liste des heute 72-Jährigen geschafft hat. Besonders auffällig ist dabei jedoch die zahlreiche Nennung des Labels «Prada». Schnell lässt sich daher vermuten, dass die Italiener einen Narren an dem holländischen Star gefressen haben. Jüngst hat er für sie sogar eine alte Alkoholfabrik in ein Museum verwandelt. Und schon davor hat er für aufsehenerregende Präsentationsflächen für die Luxusmarke gesorgt. Er ist weltweit be- wie auch anerkannt, und das vor allem auch, weil er kein Haus baut, ohne dabei an die Menschen zu denken.
Architektur kann den Menschen beeinflussen
Rem Koolhaas wurde 1944 geboren, mitten hinein in eine unsichere, von Krieg geprägte Zeit. Seine Heimatstadt Rotterdam war zu diesem Zeitpunkt nahezu komplett zerstört. Seine Kindheit und Jugend war somit vom Aufbau der Stadt geprägt. Ob dies dazu beigetragen hat, zwischen 1968 und 1972 an der «Architectural Association School of Architecture» (AA) in London zu studieren, ist jedoch reine Vermutung. Fakt ist, dass er mit seiner ganz eigenen Art, Architektur zu interpretieren, heute zu den weltweit bekanntesten und auch einflussreichsten Baukünstlern der Welt gehört. Gemeinsam mit Madelon Vriesendorp und den beiden Architekten Elia und Zoe Zenghelis gründete er 1975 das «Office for Metropolitan Architecture» (OMA) und spielt damit national wie international eine wichtige Rolle.
Bekannt wurde der Niederländer zudem durch seine 1978 erschienene Schrift «Delirious New York». Unter theoretisch-philosophischer Sicht nimmt er die urbane Dichte Manhattans unter die Lupe. Die von ihm geprägten Begriffen «Generic City» und «XL-Architektur» haben nachweisbar den Städtebau beeinflusst. 1994 wurde Koolhaasʼ Buch unter dem Titel «Rem Koolhaas and the Place of Modern Architecture» neu aufgelegt, und das nicht zuletzt, weil die Verdichtung der Städte aktuell zu einem der wichtigsten Themen der Branche gehört. Im Zuge seiner Professur an der Harvard University forscht der Architekt ausserdem gemeinsam mit seinen Studenten im Hinblick auf zeitgenössische Städte und ihre kulturellen Aspekte. Er ist der festen Überzeugung, dass Architektur das Leben der Menschen massgeblich beeinflusst. Und auch das von ihm und seinen OMA-Partnern gegründete Forschungsstudio AMO setzt sich mit der Beziehung von Architektur und sozialem Leben auseinander.
Unfertig kann auch schön sein
Der Fokus von Koolhaasʼ Schaffen lag lange Zeit auf Neubauten. Heute setzt er mehr auf Bestehendes und baut lieber um. Und das auch, weil er in seinen Augen die urbane Perspektive lange genug beschrieben und in seinen Bauten umgesetzt hat. Heute setzt er sich lieber mit Landschaften auseinander und versucht, Altes neu zu interpretieren. Und so sind auch die Grundmauern der im letzten Jahr fertiggestellten «Fondazione Prada» historischer Natur. Die Immobilie im Süden der italienischen Stadt Mailand war einst eine Destillerie. Seit der Neueröffnung im Mai 2015 beherbergt sie nun ein Kulturzentrum mit verschiedenen Museen, Bildungseinrichtungen, einem Kino, Café sowie eine Bibliothek und einen Konzertsaal. Bereits 1993 hatten Modeschöpferin Miuccia Prada und ihr Ehemann Patrizio Bertelli die Stiftung als Austauschplatz für Ideen zwischen Künstlern, Architekten, Designern, Autoren, Filmemachern, Philosophen und Kuratoren geschaffen. Der neue Bau soll all das unter einem Dach vereinen. Und das in direkter Nähe zur kreativen Metropole Mailand.
Koolhaasʼ Idee für die Fondazione: Räume schaffen, die sich zu einem Ganzen verbinden, aber jeder für sich individuell gestaltet ist. Und die Besucher erleben genau das, nichts ist gleich und doch passt es zusammen. Metaphysische Welt wird sein Werk daher auch bezeichnet. Und dass diese während der feierlichen Eröffnungszeremonie noch gar nicht fertiggestellt war, fand Rem Koolhaas nicht schlimm. So war unter anderem das Glanzstück, der mit Blattgold verkleidete alte Industrieturm, noch nicht zur Gänze in sein glänzendes Kleid gehüllt worden. Und auch die sich anschliessende Halle hatte nur eine provisorische Aussenwand. Schuld war die Natur. Erdbeben hatten den Baubeginn verzögert, und die danach neuen Auflagen für Erdbebensicherung bedeuten, dass unzählige Stahlträger eingezogen werden mussten. Der Architekt konnte sich dennoch für sein Werk begeistern. Gegenüber den Medien schwärmte er über den halb angemalten Turm: «Sieht doch schön aus, oder? Damit zeigen wir der Stadt, dass hier etwas Neues entsteht. Und dann ist das Vergolden auch noch verdammt billig.» Danach drehte er sich um und liess die Zuhörer allein mit ihren Gedanken dazu. Rem Koolhaas schafft, kreiert, aber die Interpretation überlässt er den Menschen. Denn sie müssen mit oder in seinen Bauten leben.
Der Mensch mit all seinen Ansprüchen ist für Rem Koolhaas immer das Wichtigste – bei allem, was er tut. Daher freut es ihn auch für den Bauträger, wenn die Kosten im Rahmen bleiben. Selbst wenn das für ihn bedeutet, am Ende des Tages weniger in der Kasse zu haben. Denn seine internationale Bekanntheit bedeutet bei einem Architekten nicht, dass er mehr als den gesetzten Tarif verbuchen kann. Auch für einen Mann wie Rem Koolhaas gibt es am Ende den festgesetzten Prozentsatz an den Gesamtbaukosten und keinen Rappen mehr. Er selber bezeichnet sich daher auch nicht als reich in finanzieller Sicht. Doch das will er auch gar nicht sein. So wenig, wie er eine Celebrity sein möchte. Die Wahl, den OMA-Hauptsitz nach Rotterdam zu verlegen, basiert daher nicht nur darauf, dass er hier zur Welt gekommen ist. Vielmehr kann er hier unerkannt leben und schaffen. Seinen Rückzugsort hat er zudem im 60 Kilometer vom OMA-Büro entfernten Flughafen Schipol gefunden. Hier hat er einen Konferenzraum gemietet, wo er fern von Telefon, Mitarbeitern und Ablenkung denken kann.
Eine gute Ausbildung liefert die Basis
Rem Koolhaas ist zahlreich ausgezeichnet, unter anderem mit dem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk und dem Pritzker-Preis der Hyatt Foundation. Wichtig ist ihm das aber nicht. Für ihn war entscheidend, dass er 1972 das «Harkness Fellowship» erhielt. Das Stipendium ermöglichte ihm eine weitere akademische Ausbildung am «Institute for Architecture and Urban Studies» (IAUS) in New York, nachdem er bereits in London Architektur studiert hatte. Offen bleibt jedoch, wie er es ohne Matura gleich an Hochschulen schaffte. Denn kurz vor dem Abschluss des Gymnasiums hat er es verlassen, um als Journalist zu arbeiten.
Das Schreiben hat er lange nicht drangegeben, auch wenn ihn schnell die Architektur in ihren Bann zog. Er fand es spannend, dass der Berufsstand Architekt seit so vielen Jahrhunderten kaum Veränderungen erlebt hatte. Er war sicher, dass eine Modernisierung möglich war und der soziale Aspekt in den Fokus rücken sollte. Und das wird von allen Familienmitgliedern so gelebt. Rem Koolhaas ist nämlich mit der holländischen Künstlerin Madelon Vriesendorp verheiratet, die wie er zu den Gründern des OMA gehört. Sie haben zwei Kinder. Tochter Charlie arbeitet als Fotografin. Tomas produziert Filme. Unter anderem auch eine Dokumentation über seinen Vater. Kunst ist das zentrale Element der Familie. Und zwar konkreter die menschlich-individuelle Kunst. In seinem Essay «Die Stadt ohne Eigenschaften» beschreibt Rem Koolhaas, dass Städte immer gleicher werden – und das mit Absicht. Er sagte dazu einmal: «Eine Stadt wie Dubai hat 80 Prozent Einwanderer, Amsterdam 40 Prozent. Ich glaube, für diese Bevölkerungsgruppen ist es einfacher, durch Dubai, Singapur oder die Hamburger Hafen-City zu laufen als durch schöne mittelalterliche Stadtkerne.» Historisch geschaffene Bauten und Terrains sind unerwünscht in einer Zeit, in der man ständig umziehen muss. Heute hier, morgen dort, in seinen Augen gleichen Wohnorte daher Flughäfen. «Städte funktionieren wie Flughäfen. Die immer gleichen Geschäfte sind an den immer gleichen Stellen. Alles ist über die Funktion definiert, nichts über die Geschichte. Das kann auch befreiend sein.»
Koolhaas selbst sieht das als Herausforderung, Städte in Städten zu schaffen, die beleben und leben. Die den Menschen positiv in seinem Sein beeinflussen. Er will keine Anonymität, er will Zuhause, Inspiration und Treffpunkt schaffen. Darum bleibt er auch nicht stehen, sondern bewegt sich weiter. Dinge bestehen, bestehen lange und haben irgendwann ihr Verfallsdatum erreicht. Wie bei ihm. Neubauten sind heute Vergangenheit, Umbauten die Realität. Er will darauf aufmerksam machen, dass das Alte nicht schlecht ist, es muss neu interpretiert werden. Und das macht ihm Spass, egal, ob er das offizielle Rentenalter schon überschritten hat. Er will schaffen, solange es geht. Die Welt ist unruhig, und das Leben braucht Menschen, die ihm Raum geben. Rem Koolhaas wird das tun. Solange es geht. Die Liste auf der OMA-Webseite wird daher noch ein wenig länger werden.
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