
Hopfen und Malz – 500 Jahre Reinheitsgebot
- 9. August 2016
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Es ist das älteste gültige Lebensmittelgesetz in Deutschland und steht noch immer für Genuss und beste Qualität: 500?Jahre nach Entstehung des Deutschen Reinheitsgebots im Jahr 1516 ist das Thema Bier lebendiger und aktueller denn je. Nie waren die Vielfalt an Sorten und die Experimentierfreude der Braumeister grösser als heute. Mit viel Können und Leidenschaft haben sie aus den festgeschriebenen vier natürlichen Zutaten Wasser, Malz, Hopfen und Hefe eine stetig wachsende Zahl an Sorten und Marken geschaffen.
Die Renaissance des Brauens und des Bieres
Immer mehr Brauereien setzen sich mit hoher Qualität, pfiffigen Ideen und viel Leidenschaft gegen die grossen Konzerne durch. Und so steigt nicht nur der Absatz, sondern es entstehen immer mehr kleine Brauereien, die Schwung in den Biermarkt bringen. Viele neue Bierkreationen machen den Markt wieder interessanter. Die Rolle des Bieres ist eine andere, da sich die Konsumgewohnheiten verändert haben. Galt Bier früher als klassische Grundnahrung, wird es heute als Genussmittel angesehen und auch so getrunken. Kleine Brauereien haben diesen Trend hervorgerufen, die grossen springen auf diesen Zug auf. Professor Thomas Becker vom Lehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie der Technischen Universität München (TUM) gibt Auskunft über den Sinn und Unsinn des Reinheitsgebots sowie die Renaissance des Brauens.
PRESTIGE: Professor Becker, lediglich vier Zutaten sind laut Reinheitsgebot zugelassen, dennoch gibt es allein in Deutschland über 3500 verschiedene Biersorten – wie ist das möglich?
PROFESSOR THOMAS BECKER: Das ist nicht unüblich bei Lebensmitteln. Vergleichbar wenige Zutaten braucht es bei Milch-, Nudel- oder Brotprodukten. Nur existiert dafür nichts Vergleichbares wie das Reinheitsgebot. Was Bier betrifft, so können Sie relativ schnell ausrechnen, wie viele Varianten aus hundert Malzsorten, 200 Hopfentypen und 200 Hefearten entstehen können. Daneben haben Sie an vielen Stellen im Brauprozess die Möglichkeit, die Parameter zu verändern – ob das die Temperatur oder der Zeitverlauf ist – und kommen so rechnerisch zu Millionen von Möglichkeiten. Ob das Sinn macht und die vielen Varianten schmecken würden, ist wiederum eine ganz andere Frage.
Weltweit wird vermutlich zu 90?Prozent das sogenannte Lagerbier getrunken und Bierkritiker behaupten, es schmecke überall gleich. Derzeit werden beispielsweise von rund 200?Hefesorten nur circa zehn bis elf verwendet. Forschen Sie an Ihrer Fakultät denn an der Verwendung seltener Hefen?
Seit einigen Jahren gibt es einen Megatrend bei Verbrauchern, und das unabhängig vom Produktgenre: Es geht um Individualisierung und Personalisierung. Heute wollen alle etwas Spezielles haben! In der Brauwissenschaft wird auch deshalb mehr und mehr geforscht, wie neue Aromen und Geschmacksnuancen erzielt werden können. Ich kann das Bieraroma über Rohstoffe wie Malz oder Hopfen beeinflussen, ich kann das ebenfalls über den Prozess oder auch die Hefe. Wenn ich Hefen habe, die ein neues Aromaspektrum generieren, besteht die Chance, mein Bier in signifikantem Ausmass zu verändern. Nur wurde das in den vergangenen hundert Jahren aus Angst vor Überraschungen ungern getan. Nun aber ist ein Zeitalter angebrochen, in dem wir die analytischen und prozesstechnischen Möglichkeiten haben, Hefe besser steuern und kontrollieren zu können. Darum arbeiten wir sehr intensiv daran, verschiedene Hefesorten daraufhin zu screenen, welche Endeigenschaften sie im Produkt erzielen.
Stimmt es, dass Mitarbeiter oder Doktoranden Ihres Lehrstuhles in stillgelegte Bierkeller gehen und Abstriche nehmen, um alte Hefestämme zu finden?
Auch das, ja! Wir arbeiten an zwei Projekten, wo Hefestämme aus Zentralafrika gescreent werden. Wir untersuchen dort die heimischen Produkte, die mit wilden Hefen und gänzlich anderen Stämmen fermentiert sind. Neuerdings nehmen wir uns ebenso Hefen aus Asien vor und schauen, welche Aromen diese erzeugen. Was im weiteren Prozess eine Rolle spielt, ist die Interaktion der Hefen mit dem Hopfen oder Malz. Ganz am Ende jedoch müssen wir mittels der Prozesstechnik die Hefe so steuern können, dass wir nicht überrascht werden vom Endergebnis. Das Ziel sind reproduzierbare Prozesse, die immer dasselbe gute Produkt liefern.
Wie viele Stoffe sind heutzutage denn tatsächlich in einem handelsüblichen Bier?
Die Naturprodukte Malz, Hopfen und Hefe bringen eine Vielzahl von Stoffen ins Bier, deren Vielfalt sowohl in der Definition als auch Konzentration über den Prozessverlauf noch gesteigert wird. Die meisten davon gelangen dabei ins Endprodukt Bier.
Brauchen wir das Gebot denn heute überhaupt noch?
Aus der aktuellen Verbrauchersicht ist das Gesetz wohl aktueller denn je. Verbraucher wünschen – mit grossem Nachdruck – bei Lebensmitteln Purismus und weitreichende Naturbelassenheit sowie keine Zusatzstoffe. Das Reinheitsgebot ist ein Garant dafür. Nicht zuletzt deswegen ist seine Akzeptanz so hoch. Sicherlich können Sie die eine oder andere Biereigenschaft über Zusatzstoffe herbeiführen. Oder aber der Braumeister beherrscht die Klaviatur des Brauprozesses so, dass er diese Eigenschaften ohne Hilfsmittel erreicht. Ich persönlich sehe darin weit mehr den kulturhistorischen Wert des Reinheitsgebots und weniger darin, ob es exakt drei oder vier Rohstoffe sind…
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