
Haute nature sur la table
von Dr. Thomas Hauer | Fotos: tbd
- 27. März 2018
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Paris, Avenue Montaigne 25. Alain Ducasses Signature-Restaurant im «Plaza Athénée» unweit der Champs-Élysées gehört zu den bekanntesten wie umstrittensten Gourmettempeln der Seine-Metropole. Unter dem Motto Naturalité verzaubert Küchenchef Romain Meder seine Gäste dort im Namen des Meisters mit Kreationen, die neue Massstäbe gesetzt haben.
Jedes Mal, wenn ich ein Restaurant von Alain Ducasse besuche, erinnert mich das an den Animationsklassiker «Ratatouille». Darin gibt es eine Schlüsselszene, in der der selbstverliebte Gastrokritiker Ego, der sich sonst eher an Trüffeln und Kaviar delektiert, das provenzalische Bauerngericht aufgetischt bekommt – in Egos Luxusuniversum offenbar eine Zumutung. Aber als er den ersten Bissen kostet, passiert genau das, was mir selbst vor vielen Jahren bei meinem ersten Besuch in Ducasses ebenfalls mit 3 Sternen ausgezeichneten Restaurant «Le Louis XV» im «Hôtel de Paris» in Monaco widerfahren ist: Ein winziger Happen eines über einem Kohlenfeuer geschmorten Pyrenäen-Lamms, frische grüne Erbsen und ein einfacher Jus versetzten mich in Sekundenbruchteilen zurück in meine Kindheit; in eine Zeit, in der ein solcher Leckerbissen aus der Küche meiner Mutter mich jedes noch so grosse Unglück, jede vermeintliche Ungerechtigkeit, von der es im Leben eines Kindes so unendlich viele gibt, und jedes Missgeschick vergessen liess; mich mit einem Gefühl der Wärme, des Vertrauens und der Liebe erfüllte.
Seitdem habe ich mich immer wieder gefragt, wie Ducasse, der mittlerweile über ein weltumspannendes Gastroimperium mit knapp 2000 Mitarbeitern gebietet und nur noch selten selbst am Herd steht, diesen beinahe kathartischen Effekt erzielt; wie es ihm immer wieder gelingt, unter den Scharen von Nachwuchsköchen, die seine Schule durchlaufen, mit traumwandlerischer Sicherheit jene Eleven zu erkennen, die das Potential besitzen, seine Küchenphilosophie nicht nur mit dem Intellekt, sondern auch mit dem Herzen zu begreifen, sodass man in (fast) jedem seiner mehr als zwei Dutzend Restaurants das Gefühl hat, als stünde der Hausherr selbst am Herd.
Eine Küche ohne Kompromisse
Ist Letzteres vielleicht schlicht seinem untrüglichen Instinkt für Talent zu verdanken, liegt der Schlüssel für die emotionale Tiefe von Ducasses Küche einerseits in einem fast schon manischen Perfektionsstreben, das keine Kompromisse kennt – so lässt der Meister z.B. Kichererbsen vor der Zubereitung einzeln von Hand selektieren. Andererseits nutzt Ducasse den Kontrast zwischen dem pompösen Setting seiner Sternerestaurants und dem Minimalismus seiner Teller bewusst als Stilmittel, was die teilweise fast beängstigende Aromengewalt seiner Kompositionen noch potenziert. Eine Technik, die der Küchenchef ebenso gekonnt einsetzt, wie einst ein Maler vom Schlage eines Caravaggio jenes revolutionäre Chiaroscuro verwendete, jenes Spiel mit Licht und Schatten, um seinen von allem unnötigen Zierrat befreiten Meisterwerken eine fast magische Aura zu verleihen.
Und so zelebriert auch Romain Meder im ADPA, wie Eingeweihte das Restaurant meist nur kurz nennen, vor allem unverfälschte Spitzenprodukte in ihrer natürlichsten Form. Das empfindet mancher Gast angesichts der aufgerufenen Menüpreise von rund 450 Schweizer Franken – ohne Getränke versteht sich – als Zumutung. Andere hingegen – und dazu gehört auch der Autor dieser Zeilen – begreifen diese fast schon provokante, in Wahrheit nur scheinbare Schlichtheit für eine kulinarische Offenbarung ersten Ranges. Eine Küche, die mit ihrem fast schon moralischen Anspruch im Hinblick auf eine verantwortungsvolle Erzeugung bzw. den respektvollen Umgang mit ihren Zutaten ausserhalb der Zeit, über allen Trends und Moden steht.
Was in Skandinavien heute als Errungenschaft der New Nordic Cuisine gefeiert wird – Ducasse, Sohn eines Bauern aus den Landes, hat schon vor 25 Jahren nicht anders gekocht; egal, wo er ein Restaurant eröffnet hat, stets mit den bestmöglichen, regionalen Produkten gearbeitet, das geschmackliche Potential seiner Zutaten bis zum Äussersten getrieben, ohne sie dabei zu verfälschen.
Barocke Pracht und Minimalismus
Aber nicht nur die schnörkellosen Teller brechen das beinahe prunksüchtige Interieur seines Pariser Luxusrestaurants, dessen kristallene Kronleuchter und vergoldete Stuckdecken auch in einem Spiegelsaal im Schloss Versailles eine gute Figur abgeben würden. Auch das hypermoderne Mobiliar, dominiert von verchromten Sitzinseln, die – je nach Fantasie und Appetit – mal an ein Ufo, mal an hochglanzpolierte Clochen erinnern, fliessenden weissen Ledersesseln sowie «einfachen» Eichenholztischen ohne Tischdecken, steht in scharfem Kontrast zum eher barocken Ambiente. Dennoch wirkt alles wie aus einem Guss, ist jedes Detail aufeinander abgestimmt, fühlt man sich schon im ersten Moment gut aufgehoben.
Vor allem am Abend verwandeln die mit warmem Licht illuminierten Preziosen in den raumhohen Kabinetten im hinteren Bereich das Restaurant dann endgültig in das postmoderne Pendant einer mittelalterlichen Schatz- und Wunderkammer – nur kann man dessen Schätze, anders als der arme König Midas, auch essen. Der ideale Ort also für ein kulinarisches Hochamt à la Monsieur Ducasse. Orchestriert wird die Messe von Restaurant Manager Denis Courtiade und Head Sommelier Laurent Roucayrol, die das vielköpfige Serviceteam mit schwereloser Souveränität choreographieren.
Moderne Klassiker
Längst hat die Küche zahlreiche bemerkenswerte Klassiker hervorgebracht, die saisonal immer wieder auf der Karte auftauchen und auf ewig mit dem Namen ihres Schöpfers verbunden bleiben werden: grüne Linsen von den Vulkanhängen der Auvergne mit goldenem Kaviar; Blumenkohl in der Teigkruste aus dem Jardin de la Reine in Versailles, dessen Gemüse und Früchte Chefgärtner Alain Baraton exklusiv für Ducasse bereithält, kombiniert mit Jakobsmuscheln, handgetaucht vor den Îles Chausey, und schwarzem Trüffel; geräucherter bretonischer Hummer mit einer bitteren Emulsion aus Krustentierrogen und Chicorée oder der Dessertklassiker Lemon Michel Bachès, kombiniert mit Kombualgen, Estragon, Himbeeren und Meringue, bei dessen Genuss einem jedesmal von Neuem ein wohliger Schauer überkommt. Dabei versteckt sich keines der Gerichte unter irgendwelchen Schäumchen, wird mit Gel-Klecksen oder sonstigem Zierrat optisch oder geschmacklich aufgehübscht – jedes Produkt spricht für sich selbst. Nicht von ungefähr nennt der «Guide Michelin» Ducasse deshalb den Gralshüter der Natürlichkeit.
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