
Gerichte mit Geschichte
Dr. Thomas Hauer
- 13. Juli 2017
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- Posted in Culinarium
Zahlreiche Speisen tragen grosse Namen, doch was haben die Namensgeber eigentlich mit diesen Gerichten zu tun? Und woher stammt der Brauch, Rezepte und Garnituren nach berühmten Persönlichkeiten zu benennen? Wir gehen den Geheimnissen von Bismarckhering, Carpaccio & Co. auf den Grund.
Paris 1955. Gerade hatte man Jean Cocteau in den illustren Zirkel der Académie française berufen. Deren Mitglieder pflegten sich, nicht eben bescheiden, «die Unsterblichen» zu nennen. Am Rande der Feierlichkeiten soll einer seiner Co-Académiciens Cocteau deshalb gefragt haben, ob ihn diese Ehre nicht mächtig mit Stolz erfülle. Darauf Cocteau: «Ach, wissen Sie, wirklich unsterblich ist im Grunde doch nur, wer einem köstlichen Gericht seinen Namen geschenkt hat. Auch wer nie eine Note Rossinis gehört hat, kennt seine Tournedos, die grosse Sängerin Melba lebt heute nur noch in ihren Pfirsichen fort; und wer weiss über Fürst Pückler mehr, als dass ein köstliches Eis nach ihm benannt wurde?» Aber auch Cocteaus Zeitgenosse Igor Strawinsky war überzeugt, «wirklich verewigt» sei man erst dann, wenn eine kulinarische Köstlichkeit nach einem benannt wird.
Napfkuchen und Weichkäse
Da mutet es wohl fast als Ironie der Geschichte an, dass ausgerechnet diesen beiden Herren bisher keine einzige Delikatesse gewidmet wurde. Weitaus mehr Glück hatte da der legendäre Feinschmecker und Bonvivant Jean-Anthelme Brillat-Savarin, dessen Namen unter anderem in einem himmlischen Weichkäse, einem saftigen Napfkuchen und dem Rezept für eine getrüffelte Bresse-Poularde weiterlebt und der sich zu der Behauptung hinreissen liess, die Entdeckung eines neuen Gerichts sei für das Glück der Menschheit bedeutend wichtiger als die Entdeckung eines neuen Gestirns. Wie wahr.
Perlhuhn à la Nofretete
Tatsächlich aber reicht die Sitte, Gerichte nach mehr oder weniger berühmten Zeitgenossen zu benennen, bis in die Antike zurück. So stammt das erste überlieferte Rezept dieser Art bereits aus dem Ägypten der Pharaonen, wo ein unbekannter Herdkünstler mit Zwiebeln gefülltes und auf roten Lotosblättern serviertes Federvieh der Gemahlin von Amenophis IV. widmete, das deshalb als Perlhuhn à la Nofretete in die Geschichte der Kochkunst einging. Auch im alten Rom war es üblich, Gerichte entweder nach ihrem Schöpfer zu betiteln oder Celebrities zuzuschreiben. So finden sich in Apiciusʼ 10-bändigem Standardwerk «De re coquinaria» u.a. ein Spanferkel à la Vitellius oder ein Hasenbraten nach Passenus. Ein Gesetz der griechischen Stadt Sybaris am Golf von Tarent sicherte den Köchen der Stadt gar das Recht zu, ihre Kreationen für eine gewisse Zeit exklusiv anbieten zu dürfen. Kulinarisches Copyright sozusagen. Da machte es natürlich Sinn, dem entsprechenden Rezept auch gleich den eigenen Namen zu geben.
Die Geburtsstunde der Haute Cuisine
Richtig in Mode kamen solche hochtrabenden Ausschmückungen aber erst im 19. Jahrhundert, also jener Epoche, als in Frankreich unter den Händen von Ausnahmeköchen wie Marie-Antoine Carême und Auguste Escoffier die Haute Cuisine geboren wurde. So widmete alleine Escoffier rund 300 seiner Rezepte – teils aus echter Bewunderung, teils auf Bestellung – bekannten Operndiven, Komponisten oder Schauspielern, aber auch ein berühmtes Rennpferd oder die Mannschaft des im ewigen Eis der Arktis verschollenen Forschungsschiffs «USS Jeannette» wurden von ihm bedacht. Die Zeiten tatsächlich überdauert haben aber nur wenige dieser Kreationen.
Carpaccio
Manchmal machen Gerichte tatsächlich unsterblich. Den Namen des italienischen Renaissancemalers Vittorio Carpaccio (1465–1525) hätten wohl die wenigsten von uns jemals gehört, wäre Guiseppe Cipriani, Inhaber von Harryʼs Bar in Venedig, nicht auf die Idee verfallen, dessen Namen für eine Kreation aus hauchzarten Scheiben von rohem Contrefilet mit einer leichten Mayonnaise zu entlehnen. Und damit zeigte der Promiwirt durchaus kunsthistorisches Gespür, schliesslich war der Künstler einst berühmt für seine leuchtenden Rot- und Weisstöne. Die heute oft servierte Variante mit Rucola, Parmesan oder Trüffeln und Olivenöl ist dagegen streng genommen kein Carpaccio, sondern geht auf das Carne Cruda allʼAlbese zurück.
Bismarckhering
In der ehemaligen DDR war er als Delikatesshering bekannt. Schliesslich wäre es politisch wenig opportun gewesen, den in einer süss-sauren Marinade aus Essig, Zwiebeln, Senfkörnern und Lorbeerblättern eingelegten Heringslappen wie im kapitalistischen Westen nach Otto von Bismarck und damit einem waschechten Imperialisten zu benennen. Wer als Erster auf die Idee kam, die Fischspezialität mit dem Namen des eisernen Kanzlers zu adeln, ist bis heute umstritten. Allerdings soll der volksnahe Politprofi einst gesagt haben: «Wären Heringe genauso teuer wie Kaviar, würden sie den Leuten weitaus besser schmecken.» Und zumindest damit hatte er wohl nicht ganz unrecht.
Tournedos Rossini
Gioacchino Rossini war nicht nur ein grosser Komponist, sondern auch ein Lebemann. Bereits mit 38 Jahren setzte der Maestro sich zur Ruhe und widmete sein Leben fürderhin in erster Linie leiblichen Genüssen. Eines seiner Lieblingsrestaurants war das Pariser «Maison Dorée» unter Ägide von Casimir Moisson. Und der war es auch, der das Gericht aus dicken Rinderfilettranchen gekrönt von Gänseleber und schwarzem Trüffel in sämiger Madeirasauce seinem Stammgast gewidmet haben soll. Andere Quellen behaupten, das Rezept stamme in Wahrheit von Marie–Antoine Carême. Sicher ist nur, dass erst Auguste Escoffier es als Chef-Koch des Londoner «Savoy» weltbekannt gemacht hat.
Kir
Félix Kir galt als lebensfrohes Multitalent. Egal ob als engagierter Kanoniker, tapferer Résistance-Kämpfer oder im politischen Amt des Bürgermeisters von Dijon, das er mehr als 20 Jahre bekleidete. Offenbar war der Mann aber auch ein pfiffiger Marketingstratege. Kein offizieller Anlass der Stadt, an dem Kir seinen Gästen nicht als Erstes ein gut gekühltes Gläschen Aligoté mit einem Schuss Crème de Cassis servieren liess – die beiden damals bedeutendsten Erzeugnisse der Region. Zwar wurde dieser erfrischende Aperitif in Dijon schon seit Jahrhunderten geschätzt, aber erst Kir machte den Drink zum Exportschlager und lieh ihm schliesslich auch seinen Namen. Der Edel-Variante mit Crémant de Bourgogne oder Champagner verlieh man zusätzlich das Attribut «Royal».
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