
Fotografische Trouvaillen
von Anka Refghi | Titelbild: Esther Haase
- 8. Dezember 2017
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Die Bilder von Esther Haase sind magisch. Sie leben von Glamour, Sexyness, wilder Opulenz, die zuweilen gepaart mit Dekadenz und entrückter Märchenhaftigkeit verzaubern, um dann wieder sehr reduziert und mit einer Prise Humor zu begeistern. Mit ihrem neuen Buch «Esther’s World» öffnet die grosse deutsche Modefotografin nun ihre ganz persönliche Schatztruhe.
Esther Haase arbeitet wie eine Regisseurin. Gestellte Bilder? Sucht man bei ihr vergebens. Ihre Bilder, in denen sie ihre Models wie Tänzer agieren lässt, leben von fliessenden Bewegungen und von den Geschichten, die sie erzählen. Eine Arbeitsweise, die ihrer Vergangenheit geschuldet ist. Im frühen Kindesalter bereits Eiskunstläuferin im Leistungssport, folgte die klassische Tanzausbildung und nach zwei Jahren am Theater – inspiriert durch ihren Vater, einst Professor für Fotografie – ein Studium an der «Hochschule für Künste Bremen» mit Schwerpunkt Fotografie. Heute lebt Esther Haase in London und Hamburg und wird rund um den Globus von renommiertesten Marken und Titeln wie «Vogue», «Glamour», «Vanity Fair», «Grazia» oder «Madame Figaro» gebucht.
PRESTIGE: Esther, du verfügst über einen unglaublichen Facettenreichtum, und trotzdem erkennt man ein Bild von dir als «echten Haase» …Welche Rolle spielt der perfekte Moment?
ESTHER HAASE: Das Entscheidende ist, dass ich glauben muss, was ich fotografiere. Wenn ich fotografiere, dann muss ich das so spüren, als ob die Inszenierung tatsächlich wahr wäre. Diese wahren Momente erreicht man, indem man, wie im Theater, ein Bühnenbild entwirft, das Licht setzt und dann mit den Schauspielern ihre Rolle gemeinsam erarbeitet. Ich liebe die Improvisation, aber die Vorbereitung muss stimmen. Die Kunst sind die richtige Besetzung und das Erkennen der Stärke des jeweiligen Charakters. Wenn man eine vertraute Atmosphäre schafft, ist alles möglich. Wenn ich dann durch die Kamera schaue und nicht mehr die Technik rundherum sehe, sondern das Bild durch meinen Sucher erlebe, dann macht es klick.
Du arbeitest für die renommiertesten Designer und Titel weltweit. Welches war dein letztes Shooting mit einem unvergesslichen «Wow-Effekt»?
Das für das Magazin «Icon» in diesem Sommer. Wir wollten ein Märchen fotografieren, das von der Stimmung her «moody» und nebelig sein sollte. Die Location war ein uralter und magischer Wald in England und wirklich ein Abenteuer. Mit dem Auto war kein Hinkommen, und so mussten wir das gesamte Equipment gefühlte zwei Stunden quer über Zäune, Mauern und Steine hinwegschleppen. Ich kam mir vor wie in dem Film «Fitzcarraldo», in dem Klaus Kinski das Boot über die Berge brachte. Auch wenn ich am Anfang dachte, «Esther, du musst verrückt sein», hat sich der Einsatz absolut gelohnt.
Dein neues Buch «Esther’s World» mit Fotografien aus rund 25 Jahren ist gerade erschienen. Deine persönliche Trouvaillen-Sammlung?
Ja, das ist richtig. Natürlich habe ich im Vorfeld lange darüber nachgedacht, was ich in meinem neuen Buch zeigen möchte. Ich habe beispielsweise unzählige Bilder von rauchenden Frauen, weil ich einfach diese Eleganz und Allüre liebe, die damit einhergehen, aber ich fotografiere auch unheimlich viele Tiere oder Tänzer. Ich hätte also das Buch kategorisieren können, aber am Ende habe ich mich entschieden, meine schönsten Bilder zu zeigen.
Das Coverbild mit dem Model und dem Löwen ist unfassbar stark. Was ist die Geschichte hinter diesem Bild?
Das war ein irres Shooting 2000 in Miami für den «Stern», wobei der Löwe überhaupt nicht geplant war. Das Thema war eigentlich Glam-Rock, und die Story in meinem Kopf war eine sinnbildliche Tochter von Mick Jagger, die pubertierend und gelangweilt mit einem Löwen über den Ocean Drive läuft. Nur das Geld und die Sicherheit waren ein Problem. Am Ende habe ich mich entschieden, selber noch etwas draufzulegen, weil ich den Löwen unbedingt wollte. Als der Löwe abends in einem riesigen Laster kam, habe ich in der Nacht kein Auge zugetan. Es ist schon etwas anderes, ob so ein Tier in deiner Vorstellung oder tatsächlich real vor Ort ist. Die Bilder mit dem jungen Mädchen, das ich eigentlich für diese Story gecastet hatte, waren schön, aber irgendetwas fehlte. Bei der zweiten Location hatte ich ein anderes Model, Lola, das die Arbeit mit dem Löwen auf Anhieb so liebte, sie war wilder als der Löwe, sodass der faszinierte Dompteur sich sofort in sie verliebte. Ich auch. Daraus entstand dann dieses starke Bild.
Wie muss ich mir den Prozess der Auswahl für dein Buch bei einer schier unendlichen Anzahl von fantastischen Fotografien vorstellen?
Ich habe der Grafikerin wohl über 600 Bilder geschickt, und dann haben wir die Auswahl in vielen Meetings, Mails und Diskussionen immer weiter reduziert.
Deine Bilder mit ihren Szenerien sprudeln nur so vor Kreativität. Woher kommen all diese Ideen?
Das liegt wohl an meiner Familie. Meine beiden Eltern haben sich an der Kunsthochschule kennengelernt und später gemeinsam ein Atelier gegründet, in dem wir quasi aufgewachsen sind. Unsere Mutter ist schon mit uns Kindern auf die Schauen in Paris gefahren, und mein Vater hat mit Helmut Newton und Bruce Webber gearbeitet. Wir sind sozusagen mit Malerei, Fotografie und Mode gross geworden. Diese als Kind erlebten Bilder kann ich heute im kreativen Prozess immer wieder hervorrufen. Ob Tanz oder Fotografie – bei beidem drückt man sich in Bildern und ohne Worte aus.
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