
«Everything for a reason» – die Kunst, es einfach zu machen
Wilma Fasola
- 19. Juli 2019
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McLaren Automotive steht für Sportwagen mit einer klaren Linie. Sowohl beim Body der Autos, vor allem jedoch beim Interior. Hier werden Sie kein Detail finden, das es nicht braucht. Verantwortlich für diese schlichte Eleganz ist Design Director Robert Melville.
Ein bisschen mehr geht immer – auf jeden Fall. Doch die Frage ist vielmehr: Braucht es das «Mehr» wirklich? Mehr bedeutet nämlich auch Verwirrung, bedeutet Ablenkung. Mehr bedeutet eine höhere Fehlerquote. Und mit 720 PS nehmen es die Pferde einem übel, wird der falsche Knopf gedrückt. Dreht nur ein Pferdchen durch, haben Sie verloren. Und selbst wenn es «nur» 570 PS sind oder 675 PS – ein McLaren verzeiht keine Fehler. Vor allem, wenn es ein strassenzugelassener Sportwagen ist. Seit rund zehn Jahren baut das den meisten nur aus der Formel 1 bekannte Unternehmen nun schon PS-starke Wagen, die mit Kraft, Eleganz und grandiosem Fahrspass überzeugen – auch abseits der Rennstrecke.
Alles hat einen Grund
Rückblick Autoshow 2019 in Genf – Testdrive im neuen 720S Spider und Probesitzen im bereits ausverkauften und noch gar nicht gebauten Speedtail. Dazu ein Gespräch mit McLaren Automotive Design Chef Robert «Rob» Melville. Ein cooler Typ mit dem Traumjob schlechthin. «Mein Vater war Ingenieur, meine Mutter Künstlerin», sagt er. «Beide haben mich inspiriert und stets bei meinen Plänen unterstützt. Dabei haben sie mich nicht geformt, sondern Dinge aus dem Weg geschafft.» Das Ergebnis ist ein kreativer Kopf, der bei allen seinen Designs eine gehörig grosse Portion Funktionalität mit einfliessen lässt. Und damit ist er bei McLaren Automotive genau richtig. Oberstes Credo des Sportwagen-Herstellers: «Everything for a reason». Statt «alles kann, nichts muss» gilt in den Werkhallen das Motto «nur was muss, kann». Reduziert auf das Wesentliche, um den grösstmöglichen Fahrspass sicherzustellen, das ist ein McLaren.
Zeit ist beschränkt
«Von der ersten Idee bis zum fertigen Wagen brauchen wir rund 18 Monate», erklärt Rob Melville. «Beginnend mit ersten Zeichnungen, die wir dem Ingenieurteam vorlegen, über die Fertigung eines lebensechten Modells aus Ton, bis hin zur finalen Abnahme». Bevor jedoch überhaupt ein erster Strich von den Designern aufs Papier gebracht wird, legt in letzter Instanz der Design Director das Ziel fest. «Es ist an mir, eine Vision zu schaffen und über die Dauer der Umsetzung zu kontrollieren, ob noch alle mit an Bord sind», sagt er. «Ich setze die Strategie und stelle sicher, dass alle Pfeiler und Prinzipien klar sind.» Ebenso definiert er die Entwicklungspläne, organisiert Coachings und kommuniziert klar Look & Feel. «So einfach wie möglich. Wenig Spielraum, keine Missverständnisse», um es mit seinen eigenen Worten zu sagen.
Der gute Ton
Das gesamte Designteam besteht aus rund 50 bis 55 Köpfen, soll aber weiterwachsen. Dazu Rob Melville: «Wir arbeiten derzeit an neuen Technologien, die mittels Augmented Intelligence eine 3D-Darstellung ermöglichen und uns die Chance geben, Designs bis ins Detail zu untersuchen, zu hinterfragen und Schwachstellen zu erkennen.» Doch bis es so weit ist, vertraut McLaren weiterhin auf eines der ältesten Materialien der Welt: Ton. Tausende Jahre alt, ist er immer noch das beste Hilfsmittel, um das Design eines Autos zu analysieren. «In den ersten Wochen fertigen die Designer zahlreiche Zeichnungen», so der Design Director. «Von diesen bleiben am Ende zwei übrig, die wir in Originalgrösse in Ton anfertigen lassen.» So erhält das gesamte Team einen echten Eindruck vom Auto. Drumherumgehen. Anfassen und wirken lassen. Über die Karosserie streicheln und sich fragen, ob sie allen Ansprüchen mit Blick auf die Aerodynamik standhält.
Limitierte Modelle als USP
Das Tonmodell muss zudem den Windkanal überstehen. 145 Meter lang und vier Meter breit, versteckt in den unteren Gebäudeteilen des McLaren Technology Center in Woking, einem kleinen englischen Dörfchen rund 25 Autominuten von London entfernt. Ein Headquarter, initiiert und inszeniert von Ron Dennis, dem ehemaligen Teamchef von McLaren und ehemaligen Mitinhaber der Unternehmensgruppe. Ein architektonisches Meisterstück, dessen Design vom Rennsport inspiriert wurde und heute Heimat der Menschen ist, die jedes Jahr aufs Neue für unbeschreibliche Modelle verantwortlich sind. Wie eben den schon angesprochenen und in Genf präsentierten 720S Spider. Oder den ebenfalls gezeigten McLaren Speedtail. Ein Dreisitzer (!!!), der nur 106 Mal gebaut wird und bereits ausverkauft ist, obwohl die Produktion gerade erst anläuft. Ein Grund dafür ist auch, dass jeder Wagen ganz nach den Wünschen des zukünftigen Besitzers gefertigt wird. Ob Interior oder Exterior – die Form des Wagens ist gesetzt, alles andere kann frei gewählt werden. Bis hin zur Farbe des Carbons. Champagner, Gold oder Silber – feel free!
Ein Wagen nur für Sie
Das Bespoke-Verfahren ist jedoch auch für andere Modelle Standard, schliesslich ist ein McLaren kein Auto, sondern ein Freund. Ein Begleiter, der zu einem passen soll und mit dem sich jeder gerne in der Öffentlichkeit zeigt. Und das tun übrigens auch Robs Kinder. Drei an der Zahl bat doch das jüngste Melville-Gang-Mitglied kürzlich, dass Papa sie bitte im neuen 720S Spider zur Schule fahren solle. «Mein Argument, dass die Schule genau drei Minuten Fussweg die Strasse rauf sei, fand kein Gehör», erinnert sich der Design Director und lacht. Sicher bringt er auch mal einen Wagen mit nach Hause, dann heisst es aber anstehen, schliesslich sind mit Ausnahme des Speedtail alle Modelle Zweisitzer. Die Kinder stört das weniger, seine Frau jedoch ist die «Leidtragende», so sagt er selbst mit einem schelmischen Grinsen – schliesslich muss sie daheim die Wartenden entertainen.
Ideen liefert das Leben
Auf die Frage nach der Inspirationsquelle für seine Designs antwortet Rob: «Menschen und die Natur». Im ersten Fall sind es Denkmuster und Weltansichten anderer, die ihn zum Nachdenken anregen. Bei der Natur ist es vor allem die Funktionalität, die ihn begeistert. Formen haben sich über Jahre entwickelt, um der Pflanze oder dem Tier das Überleben zu ermöglichen. Alles hat einen Sinn, ist ein perfektes Zusammenspiel. Und darum geht es auch bei einem McLaren. «Wir laufen keinen Trends hinterher», erklärt der Design-Experte. «Für uns steht wie in der Natur die Philosophie der Biomimikry im Mittelpunkt, um die beste aerodynamische Form zu erschaffen.» Umgesetzt bedeutet das: Horizontale Linien sorgen an der Vorderseite für eine gezielte Verteilung der Luft nach oben und unten. Fliessende und glatte Materialien garantieren den perfekten Luftstrom. Die technischen Bereiche hingegen sind stärker, dunkler. Sie sind Zeichen von Stabilität und Kontrolle. Kraftorte, an denen die zahlreichen PS eine sichere Heimat haben. «Unser Design basiert darauf, was funktioniert und gut ausschaut», so die Erklärung des Visionsgebers. «Wir geben Menschen mit dem Auto das Gefühl, ein Risiko eingehen zu können. Das Auto als Partner, der mit dem Fahrer zu jeder Zeit kommuniziert.»
Alles macht Sinn
Abschliessend nach seinem Lieblingsmodell gefragt, ist Robs Antwort fast so schnell wie der Sportwagen selbst: «Ich liebe alle Modelle.» Kurze Pause und ein Nachtrag: «Ich mag den Body des 720er, das Konzept der Double Skin Door.» Der Grund: Sie macht Sinn. Sie ist das «Mehr», was jeden neuen Wagen von McLaren auszeichnet. Sinnvoll oder überflüssig? Funktionell oder Ad-Piece? Ein McLaren ist geprägt von 50 Jahren Motorsport und dem Wissen, dass die Kraft strassentauglich umgesetzt werden sollte. Und davon, dass jedes «Zuviel» mehr Gewicht bedeutet. So wurde fünf Jahre an einem Sportsitz getüftelt, der nur fünf Kilo wiegt. Ein McLaren ist «easy going». In jeglicher Hinsicht. Reinsetzen, starten und geniessen. Jede Kurve, jede Strecke mit Aussicht. Mehr geht immer, auf jeden Fall. Mehr McLaren geht nicht – glauben Sie nicht, probieren Sie es aus.
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