Es ist alles in mir – Klaus Kinski
- 10. Juli 2012
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Er wurde entweder verehrt oder gehasst. Vor zwanzig Jahren starb mit Klaus Kinski nicht nur einer der begabtesten, sondern wohl auch kontroversesten Schauspieler des 20. Jahrhunderts. Kinski liess niemanden kalt. Er wühlte auf und forderte es regelrecht heraus, dass das Publikum sich zu ihm positionierte. Auf der Bühne und im Film kannte er keinerlei Mass. Er war ein Getriebener, der die Nerven der Zuschauer mit einem permanenten Zuviel an Aus- und Zusammenbrüchen strapazierte. Er litt, brüllte, geiferte. Manchen mag dieser seelische Exhibitionismus peinlich berührt haben. Tatsächlich umgibt selbst seine grandiosesten Auftritte häufig noch etwas schwer Erträgliches.
Proben als Zeitverschwendung
Geboren wurde Klaus Kinski 1926 in Zoppot in der Nähe von Danzig. Als er drei Jahre alt war, zog die Familie nach Berlin-Schöneberg. 1944 wurde er zum Kriegsdienst bei der Luftwaffe eingezogen und geriet schon nach wenigen Wochen in britische Gefangenschaft. In einem der Lager, in denen er die nächsten eineinhalb Jahre verbrachte, schloss er sich einer Theatergruppe an. Nach seiner Entlassung im Frühjahr 1946 ging er nach Berlin zurück, wo er an einem Theater in Steglitz sein erstes Engagement erhielt. Die Arbeit im Ensemble hat Kinski jedoch nie gereizt; er war mit seiner Art auch nicht längerfristig integrierbar. Schon früh liess er sich von Kollegen und Regisseuren nichts sagen. Proben hielt er für Zeitverschwendung.
Zum ersten Mal auf sich aufmerksam machte Kinski im Sommer 1949 am Kurfürstendamm – konsequenterweise mit einem von ihm selbst inszenierten Ein-Personen-Stück, Jean Cocteaus Psychodrama «Die menschliche Stimme». In diesem Einakter gibt er eine hysterische, aufgewühlte Frau, die von ihrem Liebhaber verlassen wurde. Sie telefoniert noch ein letztes Mal mit ihm, ehe sie sich am Ende des Monologs mit der Telefonschnur erdrosselt. Mit 47 Aufführungen machte der unbekannte junge Schauspieler die Berliner auf sich aufmerksam.
In den fünfziger Jahren stieg er als Rezitator von Villon und Rimbaud endgültig zum gefeierten Bühnenstar auf. Sogar der «Spiegel» widmete ihm eine Titelgeschichte. Der Berliner «Tagesspiegel» sprach vom «Vulkan Kinski», und im Wiener «Bildtelegraf» hiess es: «In Kinski spürt man Gewalten, wie wir sie aus dem Mythos, aus der Bibel, aus der frühen Antike kennen.» In einer Zeit, wo eine ganze Generation von Schauspielern darum bemüht war, möglichst normal und zurückhaltend zu agieren, polterte Kinski überlebensgross dazwischen. Das Natürliche, Angepasste der neuen Sachlichkeit langweilte ihn. Er rebellierte gegen den Zeitgeist und den eingeforderten guten Ton auf der Bühne. Seine Zeitgenossen waren ihm herzlich egal, er orientierte sich lieber an Josef Kainz oder Alexander Moissi, expressionistisch und über die Massen pathetisch agierenden Theaterschauspielern des frühen 20. Jahrhunderts.
Künstler jenseits aller Grenzen
Die gängigen Konventionen, an die sich alle anderen halten mussten, schienen für Kinski nicht zu gelten. In künstlerischer Hinsicht war er ein Anarchist. Gefahr schwang mit, wenn er sich auf der Bühne entäusserte und seelisch entblösste.
Ein Höhepunkt dieser Zeit dürfte der Auftritt auf dem Wiener Heldenplatz im August 1959 gewesen sein. Dort sprach er anlässlich der kommunistischen Weltfestspiele der Jugend und Studenten für Frieden und Freundschaft vor 80 000 Zuschauern Texte von Bertolt Brecht. Zudem besprach er in jenen Jahren über dreissig Schallplatten mit Lyrik; auch diese verkauften sich millionenfach.
Bis 1962 war Klaus Kinski im gesamten deutschsprachigen Raum als Ein-Mann-Wanderbühne unterwegs. Dann hatte er genug davon, sich jeden Abend bis zum Zusammenbruch zu verausgaben. Später gestand er in einem Interview, dass er bei den Vorstellungen häufig «Herzkrämpfe» bekam, und wenn er sich «schluchzend vor Erschöpfung am Vorhang festhielt, dachten die Leute, das gehört dazu».
Beim Film konnte er mit wesentlich weniger Aufwand und Einsatz deutlich mehr Geld verdienen. In den von Horst Wendlandt produzierten Edgar-Wallace-Filmen avancierte er zum «Irren vom Dienst». Er verkörperte jedoch nie den obersten Schurken, der im Hintergrund die Fäden zog, sondern diente mit seinem ausgestellten Wahnsinn eher als falsche Fährte, dem Publikum hingeworfen, um bis zum Schluss vom wahren Bösen abzulenken.
An Kinski war nichts Harmloses, Zurückhaltendes. Niemand verkörperte die Ausgestossenen, Kriminellen, Kranken, Einsamen, Gewalttätigen so glaubhaft, so kompromisslos wie er.
Exzesse und Wahnsinn
Als er sich in Deutschland immer mehr fehl am Platz fühlte, ging er nach Italien, wo er in erster Linie in Spaghetti-Western auftrat. Neben jeder Menge austauschbarer Dutzendware entstanden dort auch Klassiker wie Sergio Leones «Für ein paar Dollar mehr» oder «Leichen pflastern seinen Weg».
Während seiner Zeit in Italien lebte er in einem 800 Jahre alten Palais an der Via Appia mit zehn Schlafzimmern, fünf Badezimmern und Brokat an den Wänden. Er besuchte nur die besten Restaurants, liess sich im weissen Rolls-Royce herumkutschieren und hetzte nachts von Liebesabenteuer zu Liebesabenteuer. Dabei, immer mit Hochgeschwindigkeit unterwegs, fuhr er auch schon mal einen Ferrari zu Schrott. Egal, Geld kam immer irgendwie herein. Notfalls musste er eben noch ein gut bezahltes Engagement in einem schlechten Film mehr übernehmen.
Kinskis erste Frage bei einem Rollenangebot war nie «Wen soll ich spielen?» oder «Wer führt Regie?», sondern stets «Wie viel bezahlt ihr mir dafür?».
Trotz aller Exzesse war er in seiner Arbeit präzise und diszipliniert. Er erlaubte sich und anderen keine Konzentrationsschwächen. Bei unbegabten Filmemachern übernahm er während seiner Szenen selbst das Kommando, besprach sich kurz mit dem Kameramann und legte dann, ohne die Regieanweisungen abzuwarten, los. Das war ihm allemal lieber, als sich zum reinen Erfüllungsgehilfen eines ambitionierten Regisseurs machen zu lassen. So verwundert es auch nicht, dass er mit Schund-Filmer Jess Franco gleich fünfmal zusammenarbeitete, während er Angebote von Fellini oder Pasolini ablehnte. Auch für die Rolle des obersten Nazi-Schergen in Steven Spielbergs «Jäger des verlorenen Schatzes» wollte er sich nicht hergeben – stattdessen spielte er in zweit- und drittklassigen Horror- und Söldner-Filmen, wo es ihm erlaubt war, jede Szene an sich zu reissen.
Kinski konnte und wollte sich nicht zurücknehmen, sich einfügen und zähmen lassen. Er spielte, was er wollte, wie er es wollte. Einen wie ihn konnte man vor der Kamera nicht bändigen.
Die klügeren Regisseure versuchten dies erst gar nicht, sondern liessen ihn gewähren. In David Leans «Doktor Schiwago» etwa hat Kinski einen kurzen, aber eindrucksvollen Auftritt im Zug. Er bekam, wenn man so will, seinen eigenen kleinen Film im Film. Abgedreht wurde das Ganze an nur einem Tag.
Seine letzte Arbeit stemmte er 1989 konsequenterweise fast im Alleingang. Niemand redete ihm rein, als er bei «Paganini» Drehbuch, Regie, Schnitt und – natürlich – auch die Hauptrolle übernahm.
Zwei Jahre später, am 23. November 1991, starb er an Herzversagen.
Shortcut
Kinski und Herzog
Mit Werner Herzog drehte Kinski insgesamt fünf Filme, die unbestritten zum Besten gehören, was der Schauspieler in seiner Karriere abgeliefert hat. Vor Herzogs Kamera war er entweder die gequälte Kreatur oder ein Mensch, der bis an den Rand der Welt zum Äussersten geht. Für die Präsenz und Intensität, die Kinski ausstrahlte, nahm der Regisseur auch dessen tägliche Tobsuchtsanfälle in Kauf. Ihre von Spannungen nie ganz freie Zusammenarbeit begann 1972 mit «Aguirre». Kinski weigerte sich, den Buckligen mit einer künstlichen Prothese zu spielen. Lieber verkrümmte er seine Wirbelsäule so, dass es wirkte, als wäre er körperlich deformiert. Noch Wochen nach Drehschluss plagten ihn Rückenschmerzen. Tragisch die Figuren, die er 1978 verkörperte: den an der Zeit leidenden Vampir «Nosferatu» und Büchners zerquälten «Woyzeck». «Fitzcarraldo» führte die beiden Männer nach zehn Jahren noch einmal in den südamerikanischen Dschungel. Ihre Zusammenarbeit endete 1987 in Ghana mit «Cobra Verde».