Entzünde mein Feuer
- 10. Juli 2012
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Rockstar, Dichter, Schamane: Jim Morrison starb vor vierzig Jahren in Paris. Als Sänger der Doors verschob er die Grenzen dessen, was bis dahin in der Rockmusik möglich schien. James Douglas Morrison wurde 1943 als Sohn eines Marineoffiziers in Florida geboren. Während der Vater bei den Streitkräften Karriere machte, was häufige Umzüge quer durch die Vereinigten Staaten mit sich brachte, interessierte sich Jim weniger fürs Militär als für die Literatur. Schon früh las er die Werke von Kerouac, Ginsberg und anderen Vertretern der Beat Generation. Als Teenager verschlang er Rimbaud, Baudelaire und Nietzsche. Er war fasziniert von ihrem radikalen Umgang mit dem Werkzeug Sprache. Nach der Schule ging Morrison nach Kalifornien. In Los Angeles studierte er Film- und Theaterwissenschaften. Er zog an den Strand von Venice, kam zum ersten Mal mit bewusstseinserweiternden Drogen in Kontakt und schrieb Gedichte. Ausserdem lernte er an der Universität Ray Manzarek kennen. Der Kommilitone spielte Orgel und ermutigte Morrison dazu, seine Texte singend vorzutragen. Während des Sommers 1965 stiessen der Jazz-Schlagzeuger John Densmore und der Flamenco-Gitarrist Robby Krieger hinzu. Jim erkannte, dass, gemeinsam mit diesen drei Ausnahmemusikern, etwas Grosses entstehen konnte.
Die Tür zum neuen Bewusstsein
Der Bandname «The Doors» war Morrison in Anlehnung an William Blakes «The Marriage of Heaven and Hell» eingefallen. Dort ist von den «Doors of Perception», den Pforten der Wahrnehmung, die Rede. Diese müssten gereinigt werden, damit den Menschen endlich alles so erscheinen könne, wie es wirklich sei: unendlich. Was die Halluzinogene bei Morrison geschafft hatten, nämlich die Türen zu einem neuen Bewusstsein zu öffnen, wollte seine junge Band nun auch mit den Mitteln der Musik erreichen. Jim selbst sah sich dabei in seiner Rolle am Mikrofon eher als Hohepriester denn als gewöhnlicher Rock’n’Roll-Sänger. Er wollte die Zuhörer auf einem Trip in ihr Unterbewusstes begleiten. Eine völlig neue Wahrnehmung sollte erschaffen werden – darunter machte es Morrison nicht.
Sein konservativer Vater war als Kommandeur eines Flugzeugträgers 1964 mitverantwortlich für den Tonkin-Zwischenfall, der aus dem schwelenden Vietnam-Konflikt endgültig einen offen geführten Krieg werden liess. Für die ungewissen Zukunftspläne des Sohnes, der sich in den Kopf gesetzt hatte, sich um jeden Preis künstlerisch zu betätigen, hatte er nur Ablehnung übrig. Immer wieder hatte George Stephen Morrison versucht, Jim eine Laufbahn beim Militär schmackhaft zu machen – stets vergeblich. Nach einem letzten ermahnenden Brief, in dem er seinen Sohn aufforderte, den ganzen Quatsch doch endlich sein zu lassen und sich schleunigst etwas Seriöses zu suchen, brach Jim entnervt den Kontakt zu seinen Eltern ab.
Erste Erfolge
Das erste feste Engagement erhielten die Doors im legendären Nachtklub «Whisky a Go Go» am Sunset Strip. Dieses endete spektakulär, als das Quartett eines Abends das zwölfminütige «The End» anstimmte, in dem Morrison, mittlerweile auch sehr interessiert an Freud, den Ödipus-Komplex auf zwei genial einfache Zeilen herunterbrach: «Father? – Yes son? – I want to kill you. / Mother, I want to fuck you!» Das war für den Besitzer des Tanzlokals dann doch zu viel des Guten. Mehr Erfolg war den Doors bei Elektra Records beschieden. Mit dem aufstrebenden Label kam im Herbst 1966 ein Vertrag über sieben Platten zustande. Sogleich machte man sich an die Aufnahmen für das Debütalbum.
Eine gross angelegte Werbekampagne und zwei erfolgreiche Singleauskopplungen, «Break On Through» und «Light My Fire», ebneten den Newcomern den Weg bis in die landesweit erfolgreich ausgestrahlte «Ed Sullivan Show». Wie vor ihnen bereits bei Elvis Presley und den Beatles, sollte die Teilnahme an dieser Fernsehsendung auch für die Doors den endgültigen Durchbruch bedeuten. Im Vorfeld hatte man sich darauf verständigt, das letzte Wort der Textzeile «Girl, we couldn’t get much higher» abzuändern, um nicht die Werbekunden der Show durch die vermeintliche Drogenassoziation abzuschrecken. Morrison willigte ein – nur um dann, als er live auf Sendung war, doch dem amerikanischen Publikum die ursprüngliche Variante entgegenzuschleudern.
Die Jugend liebte Jim Morrison für sein unangepasstes Auftreten und seine Unberechenbarkeit. Hier war jemand in ihrem Alter, der sich offen traute, gegen die etablierten Autoritäten zu rebellieren. «Mich interessiert alles, was mit Revolte, Unordnung und Chaos zu tun hat», äusserte Morrison in einem frühen Interview. Der Umsturz der alten Ordnung war für ihn der erste Schritt in eine neue, auch innere Freiheit. Unterdessen mussten die Bandkollegen enorm unter seinen Stimmungsschwankungen leiden, die durch exzessiven Alkoholkonsum hervorgerufen wurden. Niemand wollte an «Jimbo» geraten, Morrisons Mr. Hyde, sein zweites, bösartiges Gesicht, das immer dann zum Vorschein kam, wenn er sich hemmungslos betrank.
Während The Doors auf dem Höhepunkt des Vietnamkriegs den radikalen «Unknown Soldier»-Song aufnahmen, wurde Morrisons eigener Vater zum Admiral befördert. Für viele war der Kampf gegen den Krieg in Südostasien nur ein abstrakter, geführt gegen eine nicht greifbare Obrigkeit. Für Morrison war er ganz konkret.
Zwischen Drogen und Vaterkonflikt
An der Figur seines Vaters rieb er sich zeitlebens. Er hatte den Kontakt zu seiner Familie zwar völlig abgebrochen und gab in Pressemitteilungen an, Vollwaise zu sein. Dennoch kam er, wie unzählige Anspielungen in seinen Texten belegen, nie von seiner Familie und Vergangenheit los.
Morrisons Texte faszinierten mit ihrer Metaphorik. Auf der Bühne gebärdete er sich wie unter Hypnose und wusste dabei doch immer genau, was er tat. Die Songs selbst waren für ihn nur ein «Teil der Aufführung».
Besonders die radikalen Performances des New Yorker Living Theatre, das von sich selbst behauptete, in Wahrheit eine Revolution zu sein, welche sich nur als Theatergruppe verkleidet habe, begeisterten ihn. Elemente ihrer Auftritte übernahm Morrison in sein eigenes Repertoire.
Das Publikum und er peitschten sich gegenseitig hoch. Es kam zu Tumulten, Polizisten setzten Reizgas ein. Morrison wurde von der Bühne weg wegen Landfriedensbruchs und Widerstands gegen die Staatsgewalt verhaftet. Krieger, Manzarek und Densmore ertrugen all dies stillschweigend. Dennoch wurmte es sie, dass inzwischen viele Zuschauer in erster Linie nur noch wegen Morrisons zu erwartenden Ausrastern und nicht mehr wegen der Musik zu ihren Auftritten kamen.
Als man, nach sechs Alben in vier Jahren, eine Auszeit für die Band beschloss, zog Jim zu seiner drogenabhängigen Langzeitfreundin Pamela Courson nach Paris. Gemeinsam schnupften sie Heroin, was bei Morrison am Morgen des 3. Juli 1971 zum Herzstillstand führte.
Der selbsternannte Echsenkönig wurde nur 27 Jahre alt. Durch ihn wurden The Doors zu mehr als nur einer Blues- und Rock-Band. Morrison machte sie zu Unruhestiftern. Sie waren das zornige Sprachrohr einer gegen jedwede Form von Unterdrückung aufbegehrenden Generation.
Shortcut
Nach Morrisons Tod
Pamela Courson, seit 1966 Morrisons Freundin, wurde von ihm in seinem Testament als Alleinerbin eingesetzt. Es folgte ein mehr als zweijähriger Rechtsstreit mit Jims Eltern, aus dem Courson als Siegerin hervorging. Anstatt die Auszahlung des Vermögens abzuwarten, lieh sie sich von den Anwälten 25 000 Dollar, kaufte sich davon eine Nerz-Stola, einen VW-Käfer und 30 Gramm Heroin. Ein paar Tage später verstarb sie an einer Überdosis. Die anderen Mitglieder der Doors hatten unterdessen versucht, ohne ihren Sänger weiterzumachen. 1971/72 erschienen mit «Other Voices» und «Full Circle» zwei durchaus gelungene Alben, die sich aber nur schleppend verkauften. Sein erstes «Comeback» erlebte Morrison Ende der 70er, als eine LP mit Gedicht-Rezitationen erschien und Francis Ford Coppola «The End» in «Apocalypse Now» verwendete. Morrisons Grab auf dem Friedhof Père Lachaise ist noch heute mit über einer Million Besuchern im Jahr eine der beliebtesten Pariser Touristenattraktionen.