
Ein seltener Marine-Chronometer des 19. Jahrhunderts
- 22. August 2014
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Dass eine genau gehende Uhr das beste Mittel sei, um den Längengrad und damit die genaue geografische Position auf dem Meer zu bestimmen, hatte schon um 1530 der niederländische Astronom Gemma Frisius (1508-1555) beschrieben. Eine solche Uhr lag jedoch weit ausserhalb der technischen Möglichkeiten seines Zeitalters: Soeben waren die ersten kleinen tragbaren Uhren in Gebrauch gekommen, die, wenn sie vorzüglich waren, eine Gangabweichung von etwa 15 Minuten am Tag hatten.
Grundlagen der heutigen Marine-Chronometer
1760 gelang es dem Engländer John Harrison (1693-1776) zum ersten Mal, eine Uhr zu bauen, welche die hohen Anforderungen an die Ganggenauigkeit einer Längengraduhr erfüllte. Wenig später folgten in Frankreich mit ihren eigenen Konstruktionen Pierre Le Roy (1717-1785), der 1766 eine Uhr mit den technischen Grundlagen der heutigen Marine-Chronometer vorstellte, und Ferdinand Berthoud (1728-1807), der aufgrund seiner Erfindungen und Publikationen 1770 zum «Horloger du roi et de la marine» ernannt worden war. Diese frühen Marine-Chronometer waren sehr kostspielige Prototypen, die aufwendig geprüft wurden, bevor sie wichtigen Forschungsexpeditionen mitgegeben wurden: Nach erfolgreichen Probefahrten begleitete ein Nachbau von John Harrisons H4 im Jahr 1773 eine Expedition von James Cook (1728-1779) in die Südsee. Die französische Expedition in den Pazifik von Jean-François de Lapérouse (1741-1788) hatte im Jahr 1785 die grosse «Horloge Marine No. 17» von Ferdinand Berthoud an Bord.
Weil die neue Technologie so teuer war, wurden erst nach und nach weitere Schiffe damit ausgerüstet. So erlitt zum Beispiel noch 1815 ein Schiff der East India Company mit 367 Menschen an Bord Schiffbruch, weil es nicht über einen Marine-Chronometer verfügte. Von 1825 an wurden die Schiffe der Royal Navy routinemässig mit diesen Instrumenten ausgestattet, die Handelsmarinen folgten danach. Die englischen Uhrmacher John Arnold (1739-1799), Thomas Earnshaw (1749-1829) und Thomas Mercer (1822-1900) hatten in dieser Zeit die Technik der Marine-Chronometer immer weiter verbessert. Man kann sich die damalige Seefahrt besser vorstellen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es um 1840 bereits erste Schifffahrtslinien mit Dampfschiffen gab, die vorwiegend Post und Geld transportierten, weil sie noch keinen Laderaum hatten.
Ein Meister seines Faches
Im 19. Jahrhundert hatten sich in den Hafenstädten Deutschlands Uhrmacher niedergelassen, die auf Marine-Chronometer spezialisiert waren. Meist fertigten sie nicht selbst, sondern bezogen die Werke aus Frankreich und England. Dennoch waren es ausgezeichnete Uhrmacher. Bei einem von ihnen, nämlich bei Heinrich Johann Kessels (1781-1849) in Altona bei Hamburg, lernt Joseph Thaddäus Winnerl (1799-1886), der Erbauer unseres Marine-Chronometers. Seine Ausbildung vervollständigt der in Österreich in der Steiermark geborene Winnerl in Kopenhagen bei Urban Jürgensen (1776-1830). Beide Lehrmeister Winnerls hatten bei Breguet in Paris gearbeitet. So ist es folgerichtig, dass sich auch Joseph Thaddäus Winnerl nach Paris begibt und dort ab 1829 in den Ateliers von Breguet arbeitet. Diese werden damals von Louis-Antoine Breguet (1776-1858), dem Sohn des genialen Gründers Abraham-Louis Breguet (1747-1823) geleitet.
Joseph Thaddäus Winnerl zeichnet sich ebenfalls durch seinen Erfindergeist aus: Mit einer Taschenuhr, deren Sekundenzeiger sich unabhängig vom Uhrwerk beliebig anhalten und wieder starten lässt, entwickelt er 1831 einen Vorläufer des heutigen Chronografen. Sein Schleppzeiger-Mechanismus, den er um 1838 konstruiert, wird ebenfalls in Chronografen verwendet. Mit dieser Erfindung ist es möglich, einen zweiten Stoppzeiger unabhängig vom ersten laufen zu lassen und zu stoppen. Bereits 1832 macht sich Joseph Thaddäus Winnerl mit einem Geschäft in Paris selbstständig und fertigt Marine-Chronometer, Präzisionstaschenuhren und Präzisionspendeluhren an. Er wird französischer Staatsbürger und ist von 1859 bis 1870 Stadtverordneter von Paris. 1868 konstruiert Winnerl die erste Pendeluhr mit elektrischem Kontakt, die heute noch im Observatorium von Paris erhalten ist.
Die wichtigen Marine-Chronometer, von denen das Leben einer Schiffsbesatzung abhängen konnte, waren noch sehr lange handgefertigte Einzelstücke, auch als in der übrigen Uhrenherstellung bereits die industrialisierte Produktion begonnen hatte. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts werden sie in grösseren Stückzahlen hergestellt – zu dieser Zeit überwiegen auf den Meeren die Dampfschiffe. In den 1930er-Jahren perfektioniert die amerikanische Hamilton Watch Company die Serienproduktion und stellt Tausende Stück her. Heute navigieren Schiffe mit Computersystemen über Satelliten, die Marine-Chronometer als Instrumente werden nicht mehr gebraucht. Zur Erinnerung an das 19. Jahrhundert, als die Seefahrt noch zu neuen Entdeckungen führen konnte, ist der von Joseph Thaddäus Winnerl handgefertigte Marine-Chronometer 336 is Oktober 2014 im IWC-Museum in Schaffhausen im Rahmen der Ausstellung «Auf den Spuren von Charles Darwin» zu sehen.