Ein Land zwischen Fortschritt und Tradition – Taiwan
- 8. Oktober 2012
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Taiwan ist das Produktionsland fast aller PCs dieser Welt, trotzdem vergisst es seine alten Traditionen nicht und ist Fremden gegenüber freundlich und aufgeschlossen. «Ilha Formosa» – schöne Insel – rief ein Matrose im Jahre 1544 beim Vorbeisegeln aus. Dennoch ist Taiwan eines der meistunterschätzten Reiseziele Asiens. Sein Name ist den meisten nur von dem Stempel «Made in Taiwan» geläufig. Doch wo genau dieses kleine Land liegt und was seine Bevölkerung ausmacht, ist den wenigsten bekannt. Und so ging auch ich voller Vorurteile auf Reisen und wurde aufs Angenehmste überrascht. Um es gleich vorwegzunehmen: Taiwan ist ganz anders als China, auch wenn die Insel nur 130 Kilometer von der chinesischen Küste entfernt liegt und die Volksrepublik China noch immer Anspruch auf das Land erhebt.
Der Wendekreis des Krebses teilt die Insel in den subtropischen Norden und den tropischen Süden. Zudem verleihen die grossen Höhenunterschiede Taiwan mehrere Klimazonen, von tropisch bis alpin, mit einer entsprechenden Vegetation. Mehr als die Hälfte der Insel ist gebirgig, gut 50 Prozent bewaldet und ein Viertel landwirtschaftliche Nutzfläche. Mit 3952 Meter ist der Yushan der höchste Berg Ostasiens. Kein Wunder also, dass dieses kleine Land so einiges zu bieten hat.
Moderne Architektur und Tempel
Wie die meisten Taiwan-Reisenden beginnen wir unsere Reise in der Hauptstadt Taipeh, die mit 2,6 Millionen Einwohnern die Metropole der Insel bildet. Neben weltbekannten Sehenswürdigkeiten wie dem Nationalen Palastmuseum und dem Wolkenkratzer «101» lockt hier der Kontrast zwischen Tradition und Moderne. Die Hochhäuser ragen in den Himmel, eine Ecke weiter taucht man jedoch in kleine Gassen in alten Vierteln mit Tempeln und Nachtmärkten ein. Bestes Beispiel für das Nebeneinander von Tradition und Moderne sind der Longshan-Tempel und der Taipeh 101. Der 1738 erbaute Longshan-Tempel liegt inmitten des alten Viertels Wanhua. Er verbreitet eine Atmosphäre aus längst vergangenen Zeiten und lässt einem beim Betreten das aktuelle Jahrhundert vergessen. Dichte Rauchschwaden aus grossen Bronzekesseln, in welche die Gläubigen Räucherstäbchen stecken, erfüllen den Haupthof. Hierher kommen Menschen, die die Götter um Rat und Hilfe bitten und als Dank Opfergaben niederlegen.
Ein ganz anderes Bild hingegen bietet der Taipei Financial District mit dem bis 2007 mit 508 Meter höchsten Wolkenkratzer der Welt. Er bildet das Wahrzeichen der Stadt. Nach der Anzahl seiner Stockwerke wird er «One-0-One» genannt. Ein Besuch ist lohnenswert, denn auch wenn man nicht mehr auf dem höchsten Gebäude der Welt war, so ist man doch mit dem schnellsten Aufzug der Welt gefahren. Der Lift bringt Besucher vom 5. Stock des Einkaufszentrums in nur 39 Sekunden zur Aussichtsplattform im 89. Stock auf 382 Meter Höhe. Von oben hat man, bei gutem Wetter, einen tollen Ausblick in die Ferne.
Unterwegs auf dem Nachtmarkt
Der Besuch eines Nachtmarktes ist eine Begegnung mit der facettenreichen Kultur der Taiwaner. Hier erlebt man neben kulinarischen Genüssen und modischen Trends auch die Unterhaltungskultur der Taiwaner mit ihrem Faible für Karaoke und Spielhallen. Im Shilin District befindet sich der grösste Nachtmarkt Taipehs. Er beginnt täglich ab 16 Uhr. Unzählige Essensstände bieten Spezialitäten wie gebratenes Huhn, Austernomelett, gegrilltes Fleisch, Früchte oder getrockneten Tofu an. Zudem gibt es alle denkbaren Obstsäfte und Smoothies, frisch zubereitet natürlich, sowie die typischen Bubbleteas in allen erdenklichen Geschmacksrichtungen. Doch auch die Shoppingmaniacs kommen hier auf ihre Kosten. T-Shirts, Hosen und Turnschuhe oder trendige Accessoires wie Schmuck, Tücher und Sonnenbrillen – die Auswahl ist riesig. Und im Gegensatz zu China sind die meisten Sachen keine Fakes oder Billigkopien. Nach erfolgreichem Shopping kann man sich der Entspannung widmen und den bevorzugten Freizeitbeschäftigungen der Taiwaner beiwohnen. Junge Frauen trifft man dabei in einem Mani- oder Pediküresalon an, während junge Männer ihre Zeit in Spielhallen verbringen. Einen gemeinsamen Nenner finden die Einwohner Taipehs in unzähligen Karaokebars und Kinos.
Auf zwei Rädern durchs Land
Nachdem wir die Grossstadt-Facetten Taiwans erkundet haben, machen wir uns auf, die Landschaften und die Natur der Insel zu erkunden. Durch die schnelle Industrialisierung wurden in der Vergangenheit schwere Umweltsünden begangen, doch im Gegensatz zu China lernt man hier aus seinen Fehlern. Heute stehen mit sechs Nationalparks immerhin 8,5 Prozent des Staatsgebiets unter Naturschutz. Zudem ist Taiwan zu einem Paradies für Fahrradfahrer geworden. Tausende von Kilometern wurden fahrradfreundlich verlinkt, inklusive zweier Strecken, die rund um die Insel führen. Beim Taiwan Tourismusbüro in Frankfurt kann ein 175-seitiger Reiseführer «Cycling in Taiwan» bestellt werden, der wirklich umfassend über die Radfahrmöglichkeiten informiert. Insgesamt durchziehen 3600 Kilometer modernster und gut beschilderter Radwege die Insel, und das Netz wird immer dichter. Erst in jüngster Zeit wurden fünf wichtige Radwege umfassend saniert, darunter in Taipeh, Yilan, Hualien und Taitung. Zudem sind die Ausleih-Kosten in dem Land, das Fahrräder aus eigener Produktion in alle Welt exportiert, unvergleichlich günstig. Die Spitzenprodukte der Firma Giant sind auf allen Kontinenten wegen ihrer herausragenden Qualität berühmt – auf Taiwan kann man sie bequem und ausgiebig testen.
Der Berg ruft!
Doch nicht nur mit dem Drahtesel lässt sich Taiwan bestens erkunden, auf auch Schusters Rappen lässt sich einiges entdecken. Die zentrale Gebirgskette der Insel nimmt drei Viertel ihrer Landmasse ein und verläuft in Nord-Süd-Richtung entlang der Ostküste. Der Yushan oder Jadeberg im Südosten ist mit 3952 Meter die höchste Erhebung. Er bildet das Herzstück des Yushan-Nationalparks, auf dessen Fläche von über tausend Quadratkilometer auch noch dreissig weitere der rund hundert «Dreitausender» des Landes liegen. Die herrliche Gebirgslandschaft eignet sich – je nach Geländebeschaffenheit – ausgezeichnet für Wanderer, Freizeitkletterer oder auch ambitionierte Bergsteiger.
Wir entschieden uns jedoch für die weiter nördlich gelegenen Gebirgszüge, in welchen der bekannte Taroko-Nationalpark liegt. Dieser verdankt seinen Namen der gleichnamigen Schlucht, die der Fluss Liwu im Laufe von Jahrmillionen bis zu einem halben Kilometer tief in das Gestein aus Marmor und Granit frass. Zum Zeitpunkt unserer Reise waren leider nicht alle Trails passierbar, da ein Taifun für Erdrutsche sorgte. Trotzdem waren wir beeindruckt von der landschaftlichen Schönheit und dem Eternal Spring Shrine – einem Tempel, aus dem sich scheinbar ein Wasserfall ergiesst. Auch die kurze Wanderung durch den Shakadang Trail war ein Erlebnis. Uns erwarteten türkisblaues Flusswasser auf weissem bis grauem Marmor, bei sommerlichen schwülwarmen Temperaturen, und eine unglaubliche Artenvielfalt von Waldbewohnern. Hunderte Schmetterlinge, Amphibien und Vögel begleiteten uns auf unserem Weg, während unter uns das Wasser brauste. Gerade im Sommer bietet der Nationalpark eine angenehme Zufluchtsstätte, fernab der heissen Temperaturen, die den Rest der Insel um diese Zeit beherrschen.
Fazit der Reise: Taiwan stellte sich als überaus abwechslungsreiches Land dar, in dem auf kleinstem Raum jeder etwas nach seinem Geschmack finden kann. Ein Land zwischen Tradition und Moderne, ursprünglicher Natur und Metropole.
Shortcut
Die Betelnuss-Girls
Die spärlich bekleideten Betelnuss-Mädchen oder auf Taiwanisch Binlang Xi Shi sind ein einmaliges taiwanisches Phänomen. Namenspatin ist die legendäre Schönheit Xi Shi des chinesischen Frühlingsfestes. Xi Shi war eine so ausserordentlich schöne Frau, dass bei ihrem Anblick die Fische im Fluss das Schwimmen und die Vögel das Fliegen vergassen. Sie war eine der vier Schönheiten der chinesischen Mythologie und lebte vor 2500 Jahren. Auf sie geht das chinesische Idiom Xi-Shi Beauty zurück, das in China für aussergewöhnliche Schönheit steht. Heute ist sie die Patin der Betelnuss-Verkäuferinnen. Mädchen und junge Frauen, häufig aufreizend bekleidet, verkaufen Betelnüsse am Strassenrand oder in Kiosken. Hier gilt das Motto: sex sells. Die Betelnuss-Kioske stehen meist in der Nähe von Highways oder Ausfallstrassen grosser Städte an der Westküste Taiwans. Zerkleinerte Betelnüsse haben eine anregendere Wirkung als Kaffee. Die noch unreifen Betelnüsse werden in Asien kleingehackt und gekaut. Sie werden in mit gelöschtem Kalk bestrichene Blätter gerollt, die vom Betelpfeffer stammen. Der gelöschte Kalk bewirkt, dass das in den Nüssen befindliche Arecolin in Arecaidin und Methanol umgewandelt wird. Die Wirkstoffe werden nach dem Kauen im Mund direkt resorbiert und passieren schnell die Blut-Hirn-Schranke und wirken gegen Ermüdung. Durch die Alkalisierung bilden sich Phlobatannine, die den Speichel rot färben.