Einfach gut – Cucina povera auf Korsika
- 13. August 2013
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Dieser zarte Duft nach Thymian und Mandeln, Feigen und Kastanien … und dieser Hauch von Kiefer, diese leichte Andeutung von Beifuss, diese Ahnung von Rosmarin und Lavendel … ach, meine Freunde, dieser Duft! … das ist Korsika!» («Astérix en Corse») Was Comic-Held Osolemirnix seinen Gefährten Asterix und Obelix da mit so blumigen Worten anpreist, ist das verführerische Bukett korsischer Schafs- und Ziegenkäse, und die gelten vielen Feinschmeckern tatsächlich als die besten Frankreichs. Mehr als 1000 Sorten soll es auf der Insel geben. Die Sache hat nur einen Haken – die meisten dieser Käsespezialitäten kann man auch nur direkt vor Ort geniessen. Deshalb führt unsere Jagd nach dem ultimativen Gaumenkitzel diesmal auf die «l’Île de beauté», wie die Insel in Anlehnung an ihren griechischen Namen «kalliste» oft auch genannt wird. Doch wir sind nicht nur dem Geheimnis von Tomme de Brebis und Co. auf der Spur …
Besuchern präsentiert sich die «Insel der Schönheit» auf den ersten Blick als Eiland der Kontraste – auch kulinarisch. Mehr als 80 Prozent der Landfläche sind von mächtigen, bis zu 2700 Meter hohen Bergketten bedeckt. An deren Flanken erstrecken sich – je nach Höhenlage – dichte Wälder aus Stein- und Korkeichen, Pinien, Laricio-Kiefern, Rotbuchen und Weisstannen. Die weiten Täler und die Küstenebene mit ihren steil abfallenden Klippen, geheimnisvollen Grotten und malerischen Badebuchten, die vom smaragdgrünen und türkisblauen Wasser umspielt werden, sind dagegen von undurchdringlicher, immergrüner Macchia und der intensiv duftenden Garigue überwuchert. Dieser Medizin- und Kräutergarten liefert Lavendel, Rosmarin, Bergthymian, Minze, Zistrose, Salbei, Fenchel oder Myrte frei Haus, die in zahlreichen traditionellen Rezepten Verwendung finden.
Im Land der Maronen
Die Landschaft der besonders ursprünglichen Castagniccia im Osten der Insel wird dagegen von dichten Edelkastanienhainen bestimmt, die im Herbst das braune Gold der korsischen Küche liefern: Maronen. Die waren bis zur Mitte des 20. Jahrhundert das Grundnahrungsmittel der Insulaner und sind – als Mehl oder im Ganzen – bis heute unverzichtbare Zutat zahlloser Kuchen und Süssspeisen, Schmorgerichte und Eintöpfe. Vor allem aber der korsischen «pulenta», die eng mit ihrem italienischen Pendant aus Maisgries verwandt ist. Selbst ein Kastanienbier, das Pietra, wird auf der Insel gebraut, und im Spätherbst findet praktisch an jedem Wochenende irgendwo in der Castagniccia eine Fête Du Marron statt – zum Beispiel in Evisa oder Bocognano.
Parallel zur Ernte dieser stacheligen Delikatesse beginnt auch die Jagdsaison für Rotwild, Rebhühner und Wildschweine. Deren domestizierte Vettern, aber auch Ziegen und Schafe leben auf Korsika jedoch ebenfalls halbwild und ernähren sich fast ausschliesslich von Eicheln, Bucheckern, Kastanien und Kräutern, was dem Fleisch eine prägnante Farbe und einen unnachahmlich herzhaften Geschmack verleiht. Gerade im Inselinnern muss man deshalb als Autofahrer immer damit rechnen, dass urplötzlich Tiere auf der Strasse auftauchen.
Das schlachtfrische Schweinefleisch wird im Winter zur berühmten «charcuterie corse» verarbeitet, die traditionell nach dem Salzen über Kastanienholzfeuer geräuchert wird. Dazu gehören «coppa» (Nacken), «lonzu» (Filet), «prisuttu» (Schinken) oder «figatellu», kräftig gewürzte Rohwurst mit Leber, die oft auch gegrillt verspeist wird.
Feinschmeckertouren
Im Januar und Februar wird die Olivenernte eingebracht. Aus den Früchten, die anders als in der nahegelegenen Toskana vollreif geerntet werden, wird ein kräftiges AOC-Öl gewonnen (Besonders gut ist zum Beispiel das Vierge Extra der Domaine de Marquiliani). März und April stehen dann im Zeichen von Forellen und Süsswasseraalen. Um die Osterzeit gibt es Milchlamm und Zicklein, aber auch zahlreiche Gemüse wie violette Artischocken, feine Rübchen und bunter Mangold schmücken jetzt die Marktstände. Zwischen Mai und Oktober schenkt die Natur den Bauern schliesslich Orangen, Clementinen, Kiwis, Feigen, Zitronen und Mandeln im Überfluss. Dann hat auch der bersteinfarbene «miel de corse» Saison, für den die Bienen den Honigtau von mehr als 2800(!) verschiedenen Blütenpflanzen sammeln. Kurzum: Die korsische Küche schwingt im Takt der Jahreszeiten. Bevorzugte Reisesaison für Gourmets ist die Zeit zwischen September und Mai, wenn besonders viele lokale Spezialitäten Saison haben. So stehen in Bonifacio ganz im Süden der Insel im Mai und Oktober zum Beispiel organisierte Feinschmeckertouren auf dem Programm, bei denen man auch die Menschen, die hinter den Produkten stehen, kennenlernt. Es gibt aber noch einen anderen Grund, die Insel im Sommer eher zu meiden: Von den drei Millionen Touristen, die Korsika pro Jahr besuchen, kommen rund 90 Prozent zwischen Juni und Mitte September. Im Juli und August herrscht dann Ausnahmezustand – und das bei teilweise 45 Grad im Schatten.
In Korsikas Kultur spielt aber auch der Weinbau, den phönizische Siedler vor rund 2500 Jahren auf die Insel brachten, eine grosse Rolle. Insgesamt zählt die Insel heute neun anerkannte AOC-Gebiete. Am bekanntesten sind Patrimonio, Ajaccio und Sartène. Neben Niellucio, einem Sangiovese-Klon, und Sciacarello dominieren Vermentino beziehungsweise Muscat. Spitzenweine findet man übrigens fast nur auf der Insel selbst, exportiert wird eher die Masse. Hervorragend sind der «Granit» von Vaccelli und der «Clos Venturi» der Domäne «Vico» – beide jeweils in Rot und Weiss. Viele Weingüter stehen Besuchern auch für Verkostungen offen, wie «Castellu di Baricci» im wildromantischen Ortolo-Tal. Hier produziert die sympathische Önologin Elisabeth Quilichini seit einigen Jahren auf rund zwölf Hektar Bio-Weine von hervorragender Qualität, denen der bis zu 18-monatige Ausbau in Barriques Format verleiht. Ausserdem wird Olivenöl produziert. Das Weingut lockt aber auch mit drei wunderschönen Gästehäusern.
Was im ersten Moment nach einem wahren Schlaraffenland klingt, war über Jahrhunderte in Wahrheit aber alles andere als ein Idyll. Ein altes korsisches Sprichwort lautet: «Ob mit Stroh oder Heu, das Wichtigste ist, der Bauch ist voll.» Darin steckt viel Ironie, denn Mangel war auf der Mittelmeerinsel seit Menschengedenken allgegenwärtig. Noch heute gilt Korsika als ärmste Region Frankreichs und viele Insulaner lebten bis in die 1950er Jahre buchstäblich von der Hand in den Mund. Vorratshaltung und das Konservieren von Lebensmitteln waren überlebensnotwendig. Ein Grund, warum es die Korsen in dieser Disziplin zu wahrer Meisterschaft gebracht haben – kaum irgendwo sonst versteht man so viel vom Pökeln, Räuchern, Einmachen und Trocknen. Das hat auch in der Küche deutliche Spuren hinterlassen. In diesem Sinne ist korsische Küche klassische «cucina povera»: einfacher, unverfälschter Terroirgenuss, geprägt von kräftigen Aromen.
Die Renaissance der Genüsse
Zum Glück erlebt die lokale Gastronomie nach Jahrzehnten des Niedergangs, als die Touristenhochburgen von einer Pizzawelle überrollt wurden und auch sonst vor allem internationales Einerlei auf den Tellern landete, mittlerweile eine Renaissance. Das heisst, viele Restaurateure besinnen sich wieder auf ihre kulinarischen Wurzeln. Generell gilt: je weiter weg von der Küste, desto grösser die Chance, authentische Küche zu erleben. Es gibt aber auch hervorragende Spezialitätenrestaurants entlang der Küste und in grösseren Städten wie Bastia im Nordosten oder Napoleons Geburtsstadt Ajaccio an der Westküste. Der in den Lokalen entlang der rund 1000 Kilometer langen Küstenlinie allgegenwärtige Meeresfisch hat, historisch betrachtet, in der korsischen Küche bis vor 50 Jahren übrigens keine besonders wichtige Rolle gespielt. Tradition hat allenfalls die klassische Fischsuppe. Generell sollten Fischliebhaber aber bedenken: Die Bestände im Mittelmeer sind stark überfischt. Schuppenträger und Krustentiere sollten deshalb mit Bedacht genossen werden!
Hervorragende maritime Spezialitäten wie frische Langusten vom Grill oder saftigen St. Pierre serviert zum Beispiel das Restaurant «Pech» etwas ausserhalb von Ajaccio an einem Abschnitt des sieben Kilometer langen Stadtstrandes. Die in der Altstadt gelegene «L’Auberge Ajaccienne» ist dagegen für rustikale Inselklassiker auf höchstem Niveau bekannt. Das Fleisch, der Käse, das Gemüse – fast alles stammt vom eigenen Bauernhof inklusive Käserei, und der hier servierte Rohschinken lässt jeden Pata Negra alt aussehen! Das wohl typischste Gericht Korsikas ist «civet de sanglier», eine Wildschweinschmorpfanne zubereitet mit Maronen, Fenchel, Knoblauch, Zwiebeln, Rotwein und einem grosszügigen Schuss Eaux de Vie, die vor allem im Herbst auf den Tisch kommt. Lamm und Zicklein werden dagegen meist mit viel Knoblauch, Rosmarin und Kartoffeln über Holzkohlenglut gegrillt.
Say Cheese
Nicht wegzudenken aus der Inselküche sind aber auch die eingangs besungenen korsischen Käse. Denen ist auch ein grosses Festival gewidmet, das jedes Jahr Anfang Mai in Venacu stattfindet. Als wahre Ikone gilt den Einheimischen dabei der «brocciu», ein mit Ricotta verwandter Molkenfrischkäse, der in zahllosen süssen und pikanten Rezepten verwendet wird. Zum Beispiel als Füllung für Beignets und Cannelloni oder Grundzutat des «fiadone», einer Art Käsekuchen ohne Boden. Er wird aber oft auch einfach pur mit einem Schuss Schnaps oder einem Teelöffel Honig verspeist. Die schon erwähnten Variationen von «Tomme de Brebis» beziehungsweise «de Chèvre» werden vor allem im Zentrum der Insel und an der Ostküste produziert und bestechen durch ihr mineralisch-nussiges und kräuterduftiges Aroma.
Einige Spezialitäten der korsischen Küche sind allerdings nur hartgesottenen Connaisseuren zu empfehlen. Zum Beispiel «fromage de tête». Den findet man nicht an der Käsetheke, sondern in der Charcuterie, denn es handelt sich dabei um eine Art Terrine aus pikant abgeschmecktem Schweinskopf. Dagegen ist der «casgiu merzu» zwar ein waschechter «Fromage», aber schon sein Name (wörtlich übersetzt: fauler Käse) lässt ahnen, dass es einige Überwindung kostet, hier herzhaft zuzubeissen, denn nicht nur die «Odeur» dieser Spezialität wirkt im wahrsten Sinne des Wortes umwerfend. Wer Innereien schätzt, sollte «tripes aux herbes de macchia» probieren, pikant mit wilden Kräutern abgeschmeckte Lamm- oder Kalbskutteln. Vogelfreunde müssen dagegen gut überlegen, ob sie bei «pâté de sansonnet» zugreifen wollen. Die wird nämlich aus Starenfleisch zubereitet und hat die bei Korsen beliebte Amselpastete («pâté de merle») abgelöst, nachdem die Jagd auf den Singvogel mittlerweile verboten ist.
Um den gesamten Kosmos korsischer Esskultur kennenzulernen, gibt es natürlich keinen besseren Weg als den Bummel über einen der bunten Wochenmärkte der Insel, die in der Regel von Dienstag bis Sonntag stattfinden. Besonders lohnend ist der Rundgang in Bastia (vor allem am Wochenende). Als schönster Markt der Insel gilt den meisten aber der von Ajaccio. An fast allen Ständen kann hier unter den Augen eines Napoleondenkmals ausgiebig geplauscht und probiert werden, während der Duft von Käse, Schinken und frischen Macchiakräutern die Luft zum Vibrieren bringt. In jedem Fall eine Reise wert.