
Eine perlende Liebesbeziehung – Ruinart & Art de vivre
Helena Ugrenovic
- 2. August 2019
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Noch zehn Jahre fehlen bis zum 300-jährigen Jubiläum des ältesten französischen Champagnerhauses, das den folgenreichsten Börsencrash der Geschichte und zwei Weltkriege überlebt hat. Letzteren mit knapp 10ʼ000 Champagnerflaschen auf Lager und gerade mal zwei Kunden in Paris. Doch all den Launen des Schicksals zum Trotz blüht das Traditionshaus weiter. Ruinart. Ein Champagner, den man, einmal gekostet, nie mehr vergisst und der seit jeher einen einzigartigen Lebensstil pflegt. Die Art de vivre.
Die Ruinarts sind eine bürgerliche Familie von Tuchhändlern in der Champagne. Während Nicolas Ruinart im Familienbetrieb arbeitet, realisiert sein Onkel Dom Ruinart, ein visionärer Mönch, auf seinen Handelsreisen durch Europa die wachsende Begeisterung, die Champagner an den königlichen Höfen auslöst. Der schlaue Mönch erkennt das Zukunftspotential für die Produktion von «Wein mit Bläschen», der aus den Weinen in seiner Heimat, der Champagne, hergestellt werden kann, und vermittelt sein Wissen und seine Visionen seinem Neffen Nicolas. Es ist die Zeit, als Louis XIV Frankreich regiert, der König des Pomps, der Guru der Hofkultur, welche die Aristokraten Europas kopieren, der Mäzen für Kunst und Wissenschaft, der Vater des Louis-quatorze-Stils und der Verantwortliche für die Blütezeit der französischen Kultur.
Der Sonnenkönig ist es auch, der am 25. Mai 1728 den königlichen Erlass erteilt, dass Wein nicht mehr ausschliesslich in Fässern, sondern auch in Flaschen transportiert werden darf. Am 1. September 1729 verwirklicht Nicolas Ruinart seine Pläne und gründet das Champagnerhaus Ruinart. Doch es ist nicht nur ein «Wein mit Blasen», der 1730 in 170 Flaschen verkauft wird. Es ist ein einzigartiger Lebensstil, die Art de vivre, die Ruinart vom ersten Gründungstag an und über fast drei Jahrhunderte lang leben wird und sein Engagement für die Kunst durch die Zusammenarbeit mit zahlreichen Künstlern ausdrückt.
Prickelnde Kunst
Durch die enge und langjährige Beziehung zur Welt der Kunst und des Designs ist Ruinart ein engagierter Vertreter zeitgenössischer Kreationen und an zahlreichen und wichtigen Kunstmessen rund um den Globus als Partner vertreten. Das älteste Champagnerhaus der Geschichte beauftragt jedes Jahr einen neuen zeitgenössischen Künstler oder Designer mit einem Kunstprojekt, um die Cuvées, die Geschichte und die Weinkeller des Hauses künstlerisch zu würdigen. Vor zwei Jahren dekonstruiert der Skulptur-Künstler Jaume Plensa die vielsprachigen Arbeiten von Dom Thierry Ruinart und zerlegt diese gewissermassen in einzelne Worte, die wiederum in Buchstaben und Zahlen zerteilt wie winzige, komplett unterschiedliche Zellen schlussendlich ein komplexes Ganzes ergeben. Die Skulptur «A silent witness», «Ein stiller Zeuge», ist eine Plastik aus Elementen, die viele Sprachen widerspiegelt. Die Skulptur aus Zeichen und Buchstaben der acht verschiedenen Alphabete Latein, Griechisch, Arabisch, die Dom Thierry Ruinart besonders am Herzen liegen, sowie Hebräisch, Chinesisch, Japanisch, Russisch und Hindi ist wie die Weinreben in der Erde am Boden verankert. Es ist ein Hinweis auf die Wurzeln, aus denen Dom Thierry Ruinarts Champagner stammt.
2018 hält der chinesische Künstler Liu Bolin die aussergewöhnliche Expertise und Hingabe des Champagnerhauses mit atemberaubenden und faszinierenden Bildern fest. Er lässt sich und andere vor unterschiedlichen Hintergründen in Szene setzen und camouflage-artig darin verschwinden. Für das Bild «Deep underground» im Keller und in der Produktionsstätte ändert der Künstler zum ersten Mal seine Position und streckt seine Arme nicht aus, was ihn regelrecht mit den Elementen des Kellers verschmelzen lässt.
Der Künstler des Jahres 2019
Der brasilianische Künstler Vik Muniz bezeichnet sich selbst als «Low-Tech Illusionist», jemand, der unser kollektives Gedächtnis erforscht, um es noch effektiver infrage zu stellen, und nutzt dabei die unterschiedlichsten Medien wie Fotografie, Bildhauerei und Video sowie eine Vielzahl an Materialien. Dabei stellt er immer wieder unsere Beziehung zu Wirklichkeit und Erinnerung infrage. In seiner Zusammenarbeit mit dem Champagnerhaus Ruinart gelingt es Vik Muniz, mit sieben Kunstwerken die tiefe Beziehung zwischen Mensch und Natur, Weinbauern und Weinreben einzufangen und die kreative Spannung zu verdeutlichen, die Widrigkeiten in Wunder verwandeln kann. Oder wie aus harter Arbeit Wunder entstehen.
Getreu seinem künstlerischen Wirken nimmt sich Vik Muniz zuerst viel Zeit für seine Gedanken und Beobachtungen, bevor er den Kreativprozess und seinen künstlerischen Aufenthalt in Reims antritt. Er will mit seiner Arbeit das ausdrücken, was durch Sprache nicht transportiert werden kann, und die Komplexität, die das Schaffen von etwas Aussergewöhnlichem mit sich bringt, durch einen Kreativprozess übersetzen.
Shared Roots
Er ist ein traditionsreicher Weinberg der Maison Ruinart und an der Montagne de Reims gleichzeitig der nördlichste Europas. Viele Stunden verbringt Vik Muniz daher in Sillery und an der Seite von Frédéric Panaïotis, Ruinarts Kellermeister. Dort, zwischen den goldgrünen Blättern der Reben, fängt der brasilianische Künstler die Beziehung zwischen Mensch und Natur ein und ist fasziniert von dem langen Prozess, den es benötigt, um Ruinart-Champagner zu produzieren. Es sind die Hände von Frédéric Panaïotis, die diese einzigartige Beziehung verkörpern und die das Motiv von Viks Kunstwerken sind. Inspiriert von der Idee der komplexen Abläufe kreiert der vielseitig talentierte Künstler eine Reihe von Werken, die auf Weinstöcken, dargestellt durch geschwärzte Holzstückchen und Kohle, basieren.
Den Blättern der Chardonnay-Trauben, die sinnbildlich sind für den Ruinart-Geschmack, verleiht er gemeinsam mit natürlichen Elementen, die er im Weinberg von Sillery findet, neues Leben. Vic Muniz glaubt, je steiniger der Weg, umso besser das Ergebnis. Das «Chardonnay Leaf» ist eine riesige, rebsortenkundige Darstellung des Chardonnay-Blatts, das aus Blättern, Trieben und Zweigen aus dem Sillery-Weinberg besteht. Das Werk stellt er in einem der UNESCO-Welterbe-Weinkeller der Maison Ruinart in Reims her. Das Werk «Flow Hands» zeigt die Hände von Frédéric Panaïotis, dem Kellermeister der Maison Ruinart, die einen Weinstock halten, und es scheint so, als gehen die kräftigen Sehnen und Muskeln fliessend in das knorrige Holz über, sodass die Grenzen zwischen Mensch und Natur verschwimmen. Diese Komposition hat Vik Muniz zuerst fotografiert und danach mit geschwärztem Holz und Kohle nachgebildet.
In den Kreidekellern der Maison Ruinart erschafft Vic Muniz eine interaktive und künstlerische Installation, die aus 2800 Flaschen Dom Ruinart besteht, die mit einem speziellen LED-System ausgestattet sind. Die Installation verbindet die Tradition der Entreillage, den uralten Prozess des manuellen Stöpselns der Flaschen auf Holzschienen, mit innovativster Technologie. Die Idee zu dieser Arbeit entsteht bei einem Besuch der Maison Ruinart, die der Künstler als einen «einzigartigen und magischen Ort» bezeichnet.
Food for Art
Es ist ein Projekt, das angetrieben ist von der Idee, Kunst und Gastronomie zusammenzubringen und zwei kreative Welten durch authentisches Zusammentreffen von Künstler und Chefkoch zu verbinden. Dieses innovative Programm von Ruinart soll den Austausch aufstrebender Talente aus der internationalen Food-Szene fördern und kulinarische Erlebnisse, frei interpretiert durch das Zusammenspiel zwischen dem aktuellen Ruinart-Künstler und den Weinen der Maison, schaffen. Zur Einführung des «Food for Art»-Projekts, wo Dining auf Kunst trifft, haben der Künstler Vic Muniz und der mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnete Pariser Chefkoch David Toutain ihre Kräfte vereinigt und ein Menü basierend auf Wurzelgemüse abgestimmt.
«Wurzeln geben uns die Möglichkeit, wirklich wundervolle Dinge zu kreieren und ein vergessen geglaubtes Gemüse wieder neu zu beleben. Wurzeln sind zu unseren guten Freunden geworden. Unsere Techniken, egal ob althergebracht oder modern, sind dabei nur dazu da, dem Produkt selbst einen Rahmen zu geben», erklärt David Toutain.
Short Cuts
Eine Million Perlen
In einem Glas Champagner blubbern bis zu einer Million Perlen. Es sind diese kleinen Bläschen, die die Persönlichkeit des Champagners formen und seine Identität ausmachen. Erst wenn der Korken «plopp» macht und der Champagner, der ein zweites Mal in einer Flasche gegoren hat, mit den kleinen Unebenheiten am Glasrand in Kontakt kommt, beginnt das sprudelnde Perlenspiel, wenn die Bläschen explodieren und alle Aromen des Champagners zum Vorschein bringen.
Strong Bottle
Das Design der Champagner-Flaschen aus dem Hause Ruinart ist durch seine ungewöhnliche Silhouette auffällig und eine Hommage an das Erbe und das handwerkliche Können der Maison Ruinart. Die Ruinart-Flasche erscheint erstmals im Jahr 1735. Beim Anblick des Gemäldes «Das Austernfrühstück» von Jean-François de Troy wird der Betrachter Zeuge der ersten Champagner-Verkostung in der Geschichte.
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