
Eine alpine Speisekammer
- 23. Oktober 2023
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- Editorial Media Group AG
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Südtirols einziger Drei-Sterne-Koch Norbert Niederkofler tobt sich aus in der Bergwelt. Mit seiner neu eröffneten Homebase «Atelier Moessmer Norbert Niederkofler» in Bruneck stellt der experimentierfreudige Spitzenkoch seinen Respekt und seine Liebe zur Natur unter Beweis.
Autorin_Swenja Willms
Titelbild_Alex Moling
PRESTIGE: Herr Niederkofler, das «Atelier Moessmer Norbert Niederkofler» ist der nächste Schritt ihrer kulinarischen Evolution. Waren Sie gezielt auf der Suche nach einem neuen Lokal oder hat sich dies natürlich ergeben?
NORBERT NIEDERKOFLER: Das hat sich eigentlich so ergeben. Ich wohne praktisch direkt neben diesem schönen Haus, das mir schon immer sehr gefallen hat und dessen Besitzer ich auch gut kenne. Schon vor vier oder fünf Jahren kam die Idee auf, die Lokalität für ein Restaurant zu nutzen, aber so eine Umsetzung benötigt natürlich Zeit. Ich war schon lange auf der Suche nach einer Basis für «Cook the Mountain», unser Konzept, wofür wir nur die besten Zutaten aus den umliegenden Bergen und Tälern direkt von den Produzenten und Bauern beziehen. Das zweite Restaurant, das ich führe, das «AlpiNN», liegt auf 2275 Metern Höhe und ist vor allem im Winter schwer zugänglich und abends geschlossen. Deswegen haben wir mit dem «Atelier Moessmer Norbert Niederkofler» nun einen neuen Standort, an dem wir Platz haben, um unsere Projekte umzusetzen und um Leute auszubilden. Die Qualität und die Arbeitsschritte lassen sich hier viel besser kontrollieren und es ist schön, nur 100 Meter von zu Hause entfernt arbeiten zu können.
Sie haben folglich einen starken persönlichen Bezug zur Region rund um Bruneck.
Ich bin rund 20 Kilometer neben Bruneck im Ahrntal geboren, dem nördlichsten Tal Italiens. Meine Frau kommt direkt aus Bruneck, weswegen wir uns auch hier sesshaft gemacht haben. Mittlerweile wohne ich schon knapp acht Jahre hier mit meiner Frau und unseren zwei Söhnen.
© Alex Moling
In ein paar Worten zusammengefasst: Wofür steht das «Atelier Moessmer Norbert Niederkofler»?
Zum einen für unser erfolgreiches Konzept «Cook the Mountain», welches wir nun während aller vier Saisons bespielen und weiter ausarbeiten können. Es gibt ein entsprechendes Farbkonzept, um die Menügestaltung passend zu den Jahreszeiten auch farblich darzustellen. Folglich erwartet die Gäste zu jeder Jahreszeit ein neues Menü, das sich jedoch stets an die klimatischen Bedingungen anpassen und verändern wird. Denn wir arbeiten nach wie vor mit unseren Grundprinzipien: ohne Gewächshäuser, ohne Zitrusfrüchte, ohne Olivenöl und mit unserem «No-Waste»-Konzept, mit dem wir beispielsweise beim Fleischeinkauf aus Respekt vor den Tieren alles verwerten, nicht nur die Edelteile. Des Weiteren haben wir mit «Atelier Moessmer Norbert Niederkofler» nun einen Ort, um junge talentierte Köche und Köchinnen auszubilden und unseren Gästen Kochkurse oder Masterclasses anzubieten. Damit möchten wir ihnen aufzeigen, was kulinarisch möglich ist, wenn man die Natur respektiert. Es wird also eine Denkfabrik, Talentschmiede und ein «Culinary Think Tank» sein, wo an neuen Rezepten gearbeitet wird, um Lösungen für die Zukunft zu finden und Denkanstösse zu schaffen, wie wir im Jahr 2050 zehn Milliarden Menschen ernähren wollen.
Bei «Cook the Mountain» geht es vor allem um Nachhaltigkeit und um Regionalität. Wie stellen Sie die Qualität der Produkte bei diesem Konzeptansatz sicher?
Wir besuchen unsere Produzenten mehrmals im Jahr, um deren Arbeit zu kontrollieren, aber auch, um das Gespräch zu suchen. Wir leben im Einklang mit der Natur, folglich fragen wir nicht nach dem, was wir brauchen, sondern danach, was die Natur uns geben kann. Man muss den Weg umgekehrt gehen: Der Bauer sagt mir, welche Produkte er liefern kann. Am Anfang war dies eine Riesenherausforderung, aber mittlerweile haben wir ein hervorragendes Netzwerk zu unseren Bauern aufgebaut.
Welche Vor-, aber auch Nachteile ergeben sich aus dem nachhaltigen Konzept?
Der grösste Vorteil ist die Nähe zu den Produkten und den Produzenten. Diese müssen nicht zwingend biozertifiziert sein, aber sie müssen mit schonenden und mit alten Anbaumethoden arbeiten. Zudem haben wir keine Zwischenhändler, das heisst, wir arbeiten mit unseren Produzenten direkt. Wir bestellen direkt, wir bezahlen direkt, wir sind in direktem Kontakt. Der Nachteil an diesem Konzept ist die Bandbreite an Produzenten, gerade in puncto Fleisch und Fisch. Im Südtirol existieren nur Süsswasserfische. Folglich grenzt das unser Angebot auf circa 30 Produzenten innerhalb der Region ein. Aber auch die Suche nach Alternativen ist eine Herausforderung. Wenn man sich bewusst dazu entschliesst, gewisse Produkte nicht zu verwenden, schliesst man bestimmte Türen. Aber nur so wird man kreativ und geht neue Wege. Eine grosse Hilfe ist dabei auch immer mein junges Team, das extrem wichtig für mich ist. Ich liebe es, wie die junge Generation auf Probleme zugeht und diese löst – frech, direkt und mit viel Freude. Deshalb verleihe ich meinem Team in der Küche auch immer viel Spielraum. Es gibt gewisse Regeln, aber es gibt ein Spielfeld, auf dem du dich bewegen kannst. Und was daraus resultiert, überrascht mich oftmals selbst.
©Angonese
Sie sind also ein wahrer Teamplayer in der Küche?
Ich sage immer: Ich habe ein Gericht nie selbst entwickelt. Natürlich könnte ich das, aber für mich ist Kochen eine Teamarbeit. Denn auch, wenn ich mal nicht da bin, muss das Produkt das Gleiche sein. Für mich geht es darum, was wir der nächsten Generation hinterlassen. Wir vermitteln mit unserer Küche den Respekt zur Natur und dass man auch mit einem nachhaltigen Konzept drei Sterne besitzen kann.
Kommen die Gäste genau aus diesem Grund auch zu Ihnen, um die Nähe zur Natur wieder zu spüren?
Das ist sicherlich ein Grund. Zum anderen ist der Besuch im «Atelier Moessmer Norbert Niederkofler» auch an eine Experience geknüpft, vom Spaziergang zum Haus bis zum Läuten an der Glocke, gepaart mit der historischen Geschichte des Gebäudes – der alten Tuchfabrik von Moessmer. Damals wurde hier vor allem Lodenstoff produziert, typisch für die Gegend. Das gesamte Areal ist unter Ensembleschutz und hat eine unglaubliche Geschichte. Der Industriebau der alten Villa mit ihren hohen Decken und den alten Böden vermittelt ein besonderes Flair. Hier mussten die Architekten Walter Angonese und Klaus Hellweger extrem filigran arbeiten, um Alt und Neu in Einklang zu bringen und eine Verbindung zum zweiten Trakt zu schaffen, der modern und komplett aus Glas ist. Zusammen mit Paul Oberrauch, Besitzer und Präsident der Tuchfabrik Moessmer, ist uns ein einzigartiges Projekt gelungen. Hier steht die offene Schauküche, die Platz für bis zu 15 Personen bietet. Wir nehmen unsere Gäste mit in diese Küche und zeigen ihnen, wie wir mit den Produkten arbeiten, welche Zubereitungsart wir wählen, und erzählen die Geschichte hinter den Gerichten.
Was können die Gäste jetzt im Herbst an kulinarischen Gerichten erwarten?
Der Herbst lebt von bunten Farben, von gelbbraunen Blättern, Kastanien und viel Gemüse. Dieses wird auch bereits zum Lagern hergerichtet für den Winter. Es wird typischerweise viel Wild geben und auch Beeren. Weil wir keine Zitrusfrüchte verwenden, benötigen wir Beeren, um Säure zu produzieren. Wie gesagt, die Küche geht Hand in Hand mit der Natur. Im Herbst werden die Tage kürzer und dunkler. Folglich orientieren sich unsere Gerichte an Gemüsearten, die unter der Erde wachsen. Einer unserer grossen Klassiker sind sicher die Rote-Bete-Gnocchi, gefüllt mit Meerrettich-Creme, serviert auf einer Biererde – einem Produkt, das wir aus Brotbröseln herstellen und zum Panieren verwenden. Für das Wild haben wir eine komplett vegetarische Sauce entwickelt, bestehend aus den Abfällen diverser Gemüsearten, die geröstet und eingekocht werden. Die schöne Farbe erhält die Sauce dank der Kornelkirschen.
Sie wurden als einer der ersten mit dem grünen Michelin-Stern ausgezeichnet. Was bedeutet diese Ehrung für Sie?
Es war natürlich ein extrem wichtiger Moment für uns, weil diese Auszeichnung genau unsere Vision unterstützt. «Cook the Mountain» steht für Neues – neue Sachen und neue Wege zu entdecken. Es war ein Riesenziel für uns und gleichzeitig eine Riesengenugtuung, dass wir direkt mit dem grünen Stern ausgezeichnet wurden.
© Alex Moling
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