
Ein Mann, ein Traum – Thierry Stern im Interview
- 24. Juni 2023
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Als Präsident leitet er das traditionsreiche Familienunternehmen Patek Philippe in vierter Generation. Thierry Stern im exklusiven Prestige-Interview.
Autor_Gisbert L. Brunner
Bilder_Patek Philippe
PRESTIGE: Herr Stern, Patek Philippe wird seit Generationen von derselben Familie gehalten. Ihr Urgrossvater hat Patek Philippe 1932 gerettet, indem er heimlich Aktien kaufte und sie LeCoultre wegnahm. Sonst wäre Patek Philippe heute womöglich unter dem Dach des Richemont-Konzerns. Unabhängigkeit ist eine Tradition in Ihrer Familie, das Eingehen von Risiken auch. Ihr Vater ging grosse Risiken ein, Sie tun es mit der Entwicklung vieler neuer Kaliber.
THIERRY STERN: Für mich war und ist das einfacher, weil ich jetzt genug Reserven habe. Ich bin in dieser Hinsicht ein sehr vorsichtiger Mensch. Das Schlimmste, was passieren könnte und passieren wird, ist eine grosse Krise. Natürlich wird diese eines Tages kommen, das weiss ich.
Ernsthaft?
Eines Tages ja. Ich hoffe immer, dass es während meiner gesamten Laufbahn nicht dazu kommen wird. Aber seien wir realistisch: Mein Vater musste zwei oder drei grosse Krisen durchstehen.
Die 1970er-Jahre zum Beispiel mit ihrer Quarzkrise.
Eines Tages muss ich mich auch einer Krise stellen, definitiv. Wir werden alle eine erleben. Aber das Schlimmste wäre, dann jene eigenen Mitarbeitenden zu verlieren, welche man mühevoll ausgebildet und qualifiziert hat, oder die besten. Es ist meine Angst, diese Leute zu verlieren. Um sie zu halten, braucht man also grosse Reserven …
… die Sie ja auch haben.
Mein Vater hat Reserven behalten. Wie ich gerade sagte, wusste er davon. Es ist ihm passiert. Und ich habe diese Reserve verdoppelt. Heute sagt mir zum Beispiel Herr Peny, unser CEO, immer, dass das ein bisschen zu viel ist.
Was antworten Sie ihm?
Ich erwidere, dass es mir egal ist. Wir verdoppeln die Reserve. Ich möchte vorbereitet sein, falls etwas passiert. Und ich denke, das ist wichtig. Das kann man nur als liquides Familienunternehmen machen. Da kann man sagen: Okay, wir behalten das Geld. Und das ist sehr wichtig. Es ist auch Teil der Mentalität von Patek, nicht zu rennen, um Geld zu verdienen, sondern um das Unternehmen zu erhalten. Das Unternehmen gibt dir Essen und Geld zum Leben. Es geht also nicht nur darum, Dividenden oder was auch immer zu erwirtschaften. Das wäre falsch. Für mich ist es eine ganz einfache Sache, die ich immer im Kopf habe: Wenn ich schöne Uhren entwerfe, wird der Rest folgen. Das ist für mich eine extrem wichtige Regel. Und sie funktioniert.
Würden Sie sich als einsamer Leiter der Traditionsmanufaktur Patek Philippe bezeichnen?
Wenn es darum geht, Patek Philippe zu leiten, ist man nie allein, würde ich sagen. Und das finde ich sehr gut. Ich bin von professionellen Leuten umgeben. Sie alle sind die Hüter von Patek Philippe, nicht ich. Selbst wenn ich morgen sterben würde, würde Patek Philippe weiterbestehen. Ich meine, all diese Menschen sind wirklich gut, sie wissen, was zu tun ist. Es wäre überhaupt keine Katastrophe. Es ist also sehr wichtig zu sagen, dass man nie allein und emanzipiert sein kann. Das Team um einen herum ist auch der Lehrer und Beschützer. Es arbeitet auch, um die DNA-Marke für das Publikum zu bewahren. Wir reden von einer Mischung. Ich bin die nächste Generation, mein Vater ist nicht mehr aktiv, aber ich arbeite immer noch mit dem Team zusammen, welches er zusammengestellt hatte. Es gibt vielleicht auch noch ein paar andere natürlich. So funktioniert das bei Patek. Man darf also nicht verrückt sein, weil die Leute es intern nicht erlauben, verrückt zu sein. Und ich denke, das ist sehr gut. Der Geist ist hoffentlich immer so offen, dass die Mitarbeitenden sagen können: Nein, Thierry, du liegst falsch, mach das nicht. Als Familienunternehmen ist es sehr wichtig, dass man sich auf die Leute verlassen kann, welche man kennt. Wenn man sagt, ich bin der Eigentümer, ich mache, was ich will, dann ist das das Ende von Patek Philippe oder jeder anderen Marke.
Sie betonen immer wieder, wie Sie von Ihrem Vater gelernt haben und wie er Sie auf Patek Philippe und die Philosophie des Familienunternehmens vorbereitet hat. Sind Sie nun emanzipiert? Immerhin hat sich Ihr Vater schon vor Jahren aus dem Tagesgeschäft in den Ruhestand zurückgezogen. Sie zeichnen jetzt verantwortlich für mehr als 2000 Menschen, für eine grosse traditionelle Uhrenproduktion.
In Bezug auf die Produkte gab es durchaus eine Emanzipation, als ich die Zukunft der 3970 entwerfen musste. Das war nicht einfach, denn es war eine ikonische Uhr. Und als wir sie einstellten, sagte mein Vater: Okay, du musst ein neues Design für dieses Uhrwerk finden. Aber pass auf, es ist eine ikonische Uhr, viel Glück. Und es dauerte etwa zwei Jahre, bis Patek Philippe die 5970 herausbrachte. Und die war sogar noch besser. Aber es war wirklich ein schwieriger Akt. Ich musste auf so viele Details achten. Ich habe wirklich von der Uhr geträumt. Und träumen, das ist ein wichtiges Wort für mich. Ich meine, man muss von seinem Produkt träumen. So habe ich gearbeitet.
Enzo Ferrari hat gesagt, man muss sein Auto träumen.
Sehen Sie, er kopiert mich (lacht). Nein, aber er hat absolut recht. Ich träume von meinen Uhren. Und ich sehe sie. Und selbst jetzt kann ich mir vorstellen, dass ich die Uhr sehe, dass ich sie vor mir sehe, wissen Sie, ich kann sie mir vorstellen. Und diese 5970, als ich sie meinem Vater vorstellte, das war der Moment, in dem ich mich emanzipiert habe, was das Design angeht. Weil es so eine coole Uhr war, war er sichtlich beeindruckt. Und danach konnte ich tun, was ich wirklich wollte.
Philippe Stern kann als hintergründiger Vater der Nautilus gelten. Sie sind gestalterischer Vater der nicht minder begehrten Aquanaut. In beiden Fällen hat Patek Philippe Ikonen in der Uhrenindustrie geschaffen. Was ging Ihnen mit Blick auf die gut 20 Jahre alte Nautilus durch den Kopf, als Sie diese Armbanduhr 1995 oder 1996 nach Ihrem Einstieg bei Patek Philippe kreierten?
Die erste Frage war, wie man die Aquanaut präsentiert und verkauft. Ein wichtiger Schritt besteht logischerweise darin, eine Uhr zu entwickeln. Der zweite Schritt war die Frage, wie man sie kommunizieren und verkaufen kann. Das kam mir wirklich in den Sinn. Jedes Mal, wenn ich eine Uhr entwerfe, denke ich auch darüber nach, wie wir sie der Welt zeigen, wie wir sie der Welt erklären können. Das ist sehr wichtig. Es ist wirklich ein Teil des gesamten Prozesses der Herstellung einer neuen Uhr. Das Erklären einer Uhr ist sehr wichtig. Ich glaube, wenn man ganz klar erläutert, warum man sie gemacht hat, kann man auch sehr weit gehen. Ich werde den Leuten sicher nicht erzählen, dass ich schon eine andere Idee habe. Für mich ist das ein bisschen wie ein Schachspiel. Wenn ich eine Uhr entwerfe, kenne ich bereits die nächsten beiden. Es ist nicht nur eine Uhr, sondern es geht immer um eine Familie, die sich fortsetzen wird. Was wir dieses Jahr auf der Watches and Wonders gezeigt haben, ist für mich definitiv alt, denn ich bin schon zwei Jahre weiter.
Sie denken immer strategisch voraus.
Ja, und ich weiss genau, was ich tun werde und warum.
Ist das logisch und zwingend?
Ja. Das ist auch sehr wichtig für unsere Kunden – wegen des Glaubens an die Marke und ihrer langfristigen Wirkung. Sie haben die erste Version eines Uhrenmodells gekauft, und jetzt kommt die zweite Ausführung. Das ist sehr wichtig für mich. Das Entwerfen einer Uhr ist also nur ein Teil des Prozesses. Von der Zukunft träumen zu können, gehört auch dazu. Es ist Teil des Marketings, es ist Teil vieler anderer Dinge, die damit einhergehen. Ich meine, wenn man dazu in der Lage ist, weiss man auch, dass man Profi ist.
Haben Sie bei der Kreation der Aquanaut in Erwägung gezogen, eine Ikone zu schaffen, die bis weit in die Zukunft Bestand haben wird?
Das würde ich so nicht sagen. Wenn man eine Uhr kreiert, weiss man grundsätzlich nie, ob sie ein Leader sein wird oder nicht. Bei mir war das vor 20 Jahren so. Heute spüre ich es durchaus. Ich kann einschätzen, diese Uhr wird ein grosser Erfolg werden, sie wird in der Kollektion bleiben und es wird Modifikationen geben, sie wird auf Dauer bleiben. Oder diese Uhr wird ein kurzfristiger, einmaliger Hit, und dann muss ich aufhören, weil es nicht etwas ist, das zu lange aufhalten sollte. Also ja, heute weiss ich es. Es ist vielleicht anmassend, das zu sagen, aber auch das ist nur eine Frage der Erfahrung. Also ich spüre schon, dass ich alt werde.
Trotz aller Modernität bringt die Aquanaut ein subtiles Gespür für traditionelle Designs und durchweg den Geist von Patek Philippe zum Ausdruck. Hat Sie Ihr Vater dorthin geführt oder wie sind Sie dazu gekommen?
Nein, mein Vater war das eher weniger. Natürlich hatte ich das Glück, all diese schönen Uhren seit meiner Jugend immer wieder zu sehen. Ich denke, dadurch gelangte die DNA in meinen Kopf. Die Idee war ja immer dieselbe, dass wir mit Patek eine bestimmte Linie bewahrt haben. Ich kann also nicht wirklich mit Gimmicks spielen. Man muss also die Vergangenheit studieren, um die Marke, die Form und auch das Uhrwerk wirklich zu verstehen. Und wenn man das tut, bekommt man im Laufe der Zeit eine bestimmte Linie im Kopf. Aber für mich war auch wichtig, dass man sich immer weiterentwickeln muss. Es ist ein bisschen wie beim Porsche 911. Er ist im Grunde immer noch derselbe, hat sich jedoch immer wieder weiterentwickelt. Und genau das versuche ich auch mit Uhren zu machen. Man muss etwas Neues schaffen, ohne dabei das Image der Marke und einer Linie zu zerstören. Bei der Calatrava-Linie weiss ich zum Beispiel, wie weit ich gehen kann. Es gehört zu meinem Job, an die Grenzen zu gehen, ja.
Wann oder wie erkennen Sie, dass die Grenze erreicht ist?
Der Grenze muss man sich vorsichtig nähern. Und dann gibt es eine rote Linie, die man nicht überschreiten sollte. Das Schöne, die Herausforderung und die Motivation, welche ich habe, bestehen darin, dass ich immer am Rande der Grenze bin. Es ist nur deine eigene Ausbildung, die dich verstehen lässt, wie weit du gehen kannst. Das ist natürlich meine Vision. Ich bin jedoch jemand, der sich gerne weiterentwickelt, aber auch traditionell bleibt, und das schon seit meiner Kindheit. Mein Grossvater und mein Vater haben mir immer gesagt, dass Philippe eine Tradition der Innovation hat. Und das ist es, was ich im Kopf habe, wenn ich diese Art von Design mache. Es ist wichtig, die Vergangenheit aufzugreifen. Da kommen wir her. Aber wenn man als neue Generation seinen eigenen Beitrag leistet, dann ist es das, was die Leute auch von mir erwarten. Wenn Sie also Produkte vergleichen, entdecken Sie eine Evolution der Generationen.
Wie geht das?
Indem ich viele verschiedene Zeichnungen, viele verschiedene Prototypen ausprobiere. Das ist nichts, was man auf einmal herausfinden kann. Es dauert vielleicht sechs Monate, mitunter auch ein Jahr, um das richtige Gehäuse oder das richtige Zifferblatt zu entwerfen. Und ich kann nicht sagen, dass es das perfekte Modell gibt. Das gibt es nämlich nicht. Aber etwas Neues zu kreieren, das gut aussieht und von den Leuten geschätzt wird, ist ein langer, langer Prozess.
Wie viele Entwürfe gibt es auf dem Weg?
Sehr oft denken die Leute: Oh, er macht ein Design und das war’s dann. Nein. Das schlichteste Zifferblatt, welches wir damals in unserer Kollektion hatten, war eine einfache Calatrava. Ich glaube, ich brauchte 30 Prototypen von Zifferblättern, bis ich das richtige gefunden hatte. Aber so funktioniert es bei Patek. Es gibt keine Grenzen, was das Ausprobieren angeht. Man muss ausprobieren und erneut ausprobieren. Und plötzlich sieht man das Endergebnis und sagt: Das ist das Richtige.
Dann steht die Entscheidung?
Dann ist es in der Tat meine eigene Entscheidung. Vielleicht ist es nicht die beste, ich weiss es nicht. Aber das ist es, woran ich glaube. Ich habe mir wirklich die Zeit genommen – und das tue ich immer noch –, den Leuten im Hause Patek Philippe sowie unseren Konzessionären zuzuhören. Dazu auch Ihnen von der Presse. Die ist ebenfalls wichtig.
Sie sagten, dass Sie aus der eigenen Anschauung gelernt haben.
Ich habe mir wirklich viele Uhren angesehen, wissen Sie. Ich habe viele, viele Stunden gebraucht, um mir Museumsstücke und Bücher anzuschauen. Aber nur die von Patek. Kataloge anderer Marken schaue ich mir übrigens nie an. Es ist keineswegs so, dass ich sie nicht mag, aber ich möchte mich nicht beeinflussen lassen. Und so versuche ich, meine Uhren zu entwickeln.
Wenn ich Sammlerstücke von Patek Philippe betrachte, also Uhren aus den 1940er- oder 1950er-Jahren, dann besassen die meiner Meinung nach meist ein hohes Mass an Perfektion. Die Proportionen von Gehäuse, Zifferblatt und Zeiger – sie bestimmen das Bild von einer Uhr.
Bei mir ist das die Erfahrung nach nur 30 Jahren. Als ich jung war, habe ich meinen Vater gefragt, wie ich die Uhren beurteilen kann. Und ich sagte: Hör zu, ich habe hier zwei Stücke, eins ist billig, das andere teuer, ich sehe jedoch keinen Unterschied.
Was hat Vater Philippe geantwortet?
Seine Antwort war ganz einfach. Er sagte: Wenn du erst einmal ein paar hundert Uhren in der Hand hattest, wirst du es wissen. Und genau so kam es. Wenn du etwas entwirfst, hast du eine Vorstellung davon, wie du es machen kannst, wie weit du gehen kannst. Es sind oft Details. Und es ist wirklich sehr wichtig, sich genau auf diese Details zu konzentrieren.
Das geht am Ende aber ins Geld.
Man muss zwangsläufig akzeptieren, dass es dafür kein Budget gibt. Wir haben zwar ein Marketing-Briefing, aber ich lese es nicht einmal. Ich kenne es nämlich und es sollte mich nicht antreiben, wenn ich etwas kreiere. Man sollte nicht sagen, okay, ich habe ein Budget von sagen wir 150 Franken für dies oder das. Das sehe ich anders. Ich versuche einfach, das Beste aus dem zu machen, was ich kann.
Wie steht es um Assistenz?
Vor vielen, vielen Jahren hatten wir eine Person, die uns bei der Gestaltung half. Sie war ziemlich wichtig für uns und hat immer eine riesige Zeichnung von dem Zifferblatt gemacht. Sie teilte mir mit, dass sie so gut sehe, ob es schön aussieht oder nicht. Ich denke, das war eine gute Idee. Und genau das mache ich heute bei den Prototypen. Zum Beispiel verwende ich Wachs für das Gehäuse. Ich mache es viel grösser, weil ich so jedes Detail sehen kann. Es gibt aber auch Tricks, die man jedoch jahrelang lernen muss. Am Ende gewöhnen sich die Augen daran, Perfektion zu sehen und einschätzen zu können. So kann ich es mir erklären. Es ist auch eine Chance. Persönlich habe ich nie eine Designschule besucht. Aber ich habe, sagen wir es so, in und aus der Praxis gelernt. Natürlich habe auch ich vorher eine Menge Fehler gemacht. Aus diesen habe ich ungemein viel gelernt.
Ihr Vater hat Sie auf Patek Philippe vorbereitet. Bereiten Sie in diesem Sinne auch Ihre Kinder auf die Zukunft bei Patek Philippe vor?
Nein, ich bereite meinen Ruhestand vor (lacht).
Gut, oder eher doch nicht. Also folgen Sie dem Beispiel Ihres Vaters?
Ich werde ihm folgen, aber genau genommen ist es ein schöner Kreislauf. Wir werden vielleicht mit einer Ihrer anfänglichen Fragen abschliessen. Ich werde ihm folgen, aber ich werde es etwas anders machen, weil wir uns anpassen und etwas anders arbeiten müssen. Die DNA wird die gleiche sein, die Ausbildung wird etwas anders sein, sie hat sich nämlich weiterentwickelt. Und ich muss mich auch in der Art und Weise, wie ich meine Kinder ausbilden werde, weiterentwickeln. Es wird besser sein, vielleicht aber schwieriger. Aber so ist Patek Philippe nun mal.
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