Ecuador: die Mitte der Welt
- 10. Juli 2012
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Ecuador ist eines der artenreichsten Länder der Erde. Denn es ist gleichzeitig Pazifikanrainer, Andenstaat sowie Teil des Amazonasbeckens und Äquatorgürtel . Küste, Gebirge, Regenwald und die Galapagosinseln – vielfältiger ist kein Land auf der Welt. Wahrscheinlich gibt es kein anderes Land, das eine derart hohe Reisevielfalt auf so kleinem Raum bietet wie Ecuador. So wie die dramatische Topografie zwischen der Brandung des Pazifiks und den eisigen Gipfeln der Vulkane stehen auch die Kulturen des Landes für eine faszinierende Vielfalt.
Hochgelegene Hauptstadt
Quito ist eine der höchstgelegenen Hauptstädte der Welt. Rund 1,8 Millionen Quinteños leben mittlerweile in der Andenmetropole auf 2850 Metern Höhe. Die UNESCO erklärte die Altstadt von Quito aufgrund ihrer jahrhundertealten Architektur und ihrer aussergewöhnlichen Kulturschätze schon im Jahre 1979 zum Weltkulturerbe der Menschheit. Sah die Stadt damals noch recht trübselig und grau aus, so ist sie heute ein architektonisches Juwel: Restaurateure und Investoren haben aus den engen Gassen mit ihren traditionellen Lehmziegelbauten und ihren kuriosen Stilmischungen ein lateinamerikanisches Besucherzentrum für koloniale Geschichte und Architektur geformt.
Und das liegt durchaus in der Tradition der Stadt, deren einst spanische Schule der Malerei und Bildhauerei, die Escuela Quinteña, an diesem Ort seit bald 500 Jahren Meisterwerke vollbringt. Dass diese Kunst der Besatzerelite auf Kosten der indianischen Ureinwohner ging, ist Teil dieser Geschichte. Das Stadtmuseum versteht sich daher als eine Hommage an die einfachen Menschen, die unter den Tonnenlasten von Blattgold und Zedernholz jahrhundertelang nahezu vergessen wurden. Der «casco colonial», die Altstadt von Quito, ist eine der ältesten Städte Kolonialamerikas und empfiehlt sich jedem Ecuadorreisenden unbedingt für eine einzigartige Zeitreise durch Architektur, Geschichte und religiöse Kultur der «Neuen Welt». Wer sich in den zahlreichen Museen und hübschen Cafés oder Saftbars nicht gänzlich verliert, kann mit einem vollen Tag auskommen, um die Höhepunkte dieses Kulturschatzes zu entdecken.
Dramatische Prozession
Wer tief in die Religion der Stadt eintauchen möchte, sollte über Ostern Quito besuchen. Denn die Stadt begeht am Morgen des Karfreitags eine der eindruckvollsten Prozessionen in Lateinamerika. Tausende Sünder geisseln sich mit Ketten, Dornenkronen, Peitschen und schweren Holzkreuzen. Ausgangspunkt der religiösen Grossveranstaltung ist das Portal der Iglesia de San Francisco. Zigtausende warten dort unter Schwaden von Weihrauch auf den Beginn des Leidenszuges, auf die Sünder und Büsser, die zahlreichen Musikkapellen und die gespenstischen «cucuruchos», unter violetten Kapuzen und Gewändern verhüllte Selbstbezichtiger, die so ihr Angesicht der Sünde verstecken. Zum Ende der Prozession, die sich fortan über mehrere Stunden durch zahlreiche Strassen der Altstadt zieht, werden die Statuen von Jesus und der Jungfrau der Schmerzen aus der Kirche in die Strassen getragen.
Das moderne Quito besitzt hingegen wenig Charme, allerdings umgibt das pulsierende Geschäftsleben in diesem Teil der Stadt auch einige der wichtigsten Museen und Theater. Und auch in der Umgebung der Stadt Quito, jenseits des gewaltigen urbanen Ballungsraums, liegen einige spektakuläre Naturräume, wo besonders Vogelbeobachter, Wanderer und Orchideenfreunde voll auf ihre Kosten kommen. Auch die vulkanischen Thermalbäder von Papallacta liegen nur rund eine Stunde östlich von Quito.
Rauchende Gipfel
Südlich von Quito erstreckt sich der geografisch grösste Teil der ecuadorianischen Anden, der auch die höchste Erhebung aufweist: den 5897 Meter hohen aktiven Vulkan Cotopaxi und den 6310 Meter hohen erloschenen Vulkan Chimborazo. Diese lange Passage, eine grandiose Gebirgslandschaft mit Vegetation bis in eine Höhe von 4500 Metern und rauchenden Gipfeln, taufte Alexander von Humboldt die «Strasse der Vulkane». Für Aktivsportler ist der Süden der Anden ein gelobtes Land. In fast allen Regionen zählen Bergsteigen, Wandern, Reiten und Radfahren zum Standardprogramm – und das auf hohem Erlebnisniveau. Zudem liegen hier zwei grandiose Nationalparks mit reichlich Wasser und von überwältigender Schönheit. Ein Highlight dieser Region ist sicherlich der Nationalpark Cotopaxi mit dem Gipfel eines der höchsten noch aktiven Vulkane. Er bietet mehrere spannende Trecks, auf denen man den 800 Meter breiten Krater auf fast 6000 Meter Höhe besteigen kann. Cotopaxi bedeutet in der Sprache der Cayapas auch «Hals des Mondes» und im Idiom der vorinkaischen Panzaleos «Feuerschlund», der letzte Ausbruch fand jedoch im Jahre 1942 statt.
Vor 127 Jahren, am 28. November 1872, bezwangen der deutsche Geologe Wilhelm Reiss und der Kolumbianer Angel Maria Escobar erstmalig den Cotopaxi. Acht Jahre später ging der legendäre britische Alpinist Edward Whymper mit der ersten Gipfelübernachtung in die Annalen des Bergsports ein. Heute gehört der Vulkan zu den grossen Attraktionen für Bergsteiger aus aller Welt. Der gleichmässige konische Vulkankegel des Cotopaxi überragt das Land «öfter» als jeder andere Berg, da er im zentralen Hochlandklima die meisten Tage mit freier Sicht zählt und ganzjährig zu erklimmen ist. Die Besteigung dauert ab dem und zurück zum Refugio zwischen fünf und zehn Stunden. Wegen der Witterung sowie Schneebrücken und Gletscherspalten ist ein Bergführer obligatorisch. Zudem erfordern die Schneeschmelze, aber auch neue Schneefälle gelegentliche Routenänderungen. Beste Saison für die Gipfelbesteigung ist August bis Dezember, denn von Februar bis Mai bildet sich häufig Nebel.
Der mehr als 33 000 Quadratkilometer grosse Nationalpark um den Vulkan ist geprägt von recht karger bis botanisch vielfältiger Páramo-Landschaft. Aussergewöhnliche Orte zum Verweilen in historischem Ambiente sind die zahlreichen kolonialen Haciendas. Viele von ihnen sind inzwischen aufwändig restauriert worden und beherbergen exzellente Hotels und Restaurants. Zu den nicht selten auf das 16. Jahrhundert zurückgehenden Bauten der kolonialen Haciendas haben sich inzwischen auch einige jüngere gesellt. Auf der im Cotopaxi Nationalpark gelegenen Hacienda Yanahurco erfährt der Besucher zudem noch einiges über die traditionelle Stierzucht in Ecuador.
Sonst leben im Reservat um den Cotopaxi Pumas, fuchsartige Wölfe, Wildpferde, und mit etwas Glück kann man sogar einen der letzten Kondore dort erspähen.
Die grüne Wildnis
Ganz anders präsentiert sich Ecuador im Nordwesten des Landes. Hier prägen dichte Regenwälder das Bild. Ein Lebensraum von überschwänglicher Vielfalt, Heimat indianischer Waldvölker und Schauplatz grossartiger Naturspektakel. Wer die feuchte Luft, den nächtlichen Gesang der Tiere und auch Regen und Morast nicht scheut, wird hier unvergessliche Tage und Nächte verbringen. Der vergleichsweise kleine ecuadorianische Teil des Amazonasbeckens gehört wegen seiner unmittelbaren Gebirgsnähe in Bezug auf Flora und Fauna zu den artenreichsten Gebieten der Welt. Einfache, aber komfortable Regenwaldlodges bieten das Basislager für Waldwanderungen, Kanufahrten oder Besuche bei indianischen Gemeinden. Zwar sieht man die grossen Säuge- und Raubtiere des Waldes wie Jaguar, Puma, Tapir und Riesenotter nur selten, doch verschiedene Arten von Affen, zahlreiche Vögel, skurrile Insekten, Zwergfrösche und lauernde Kaimane im Abenddunkel gehören zu den regelmässigen Stars der Naturbühne dieses immergrünen Freilichttheaters. Besonders für Vogelbeobachter gehört der ecuadorianische Regenwald zu den besten Regionen der Welt. Die unendliche Pflanzenvielfalt und ihre Naturheilkräfte sind phänomenal.
Ecuador hat landesweit 35 ausgewiesene Naturschutzgebiete, von denen zehn in der obersten Schutzkategorie eines Nationalparks stehen. Die Naturschutzgebiete Ecuadors nehmen 17 Prozent des Staatsgebietes ein. Der grösste Nationalpark mit fast einer Million Hektar ist das Biosphärenreservat von Yasuni im Regenwald. Aber auch das ähnlich attraktive Tierschutzgebiet von Cuyabeno im Norden der Selva zählt mehr als 600 000 Hektar. Der berühmteste Nationalpark, der zudem einer der ältesten des Landes ist, verfügt über 694 000 Hektar Landfläche: die Galapagosinseln. Rund 97 Prozent der gesamten Inselfläche sind Nationalpark. Die übrigen drei Prozent, die sich auf die fünf bewohnten Inseln konzentrieren, sind Siedlungsgebiet mit wenig Landwirtschaft und Infrastruktur für Bewohner, Forscher und Touristen. Umgeben werden die Inseln von einem sieben Millionen Hektar grossen Meeresschutzgebiet, einer Fläche etwas kleiner als Österreich.
In Ecuador kann man in einem einzigen Urlaub die ganze Welt erleben. Die vielfältige Natur zwischen Strand und Regenwald, zwischen Vulkanen und den Forschungsstationen Darwins, zwischen Riesenschildkröten und Quitos goldener Kathedrale. Mehr Vielfalt bietet wohl kaum ein Land, und so braucht man entweder sehr viel Zeit oder muss häufig wiederkehren, um alle Facetten gesehen zu haben. Doch egal, wofür man sich entscheidet, auffällig ist überall die Freundlichkeit der Ecuadorianer, gleich, in welcher Region man sich gerade aufhält.
Shortcut
Ein Hut made in Ecuador
Der helle Strohhut mit breiter Krempe und schwarzem Band trägt den Namen Panamahut, dabei ist er einer der Exportschlager Ecuadors. Theodore Roosevelt machte diesen Hut weltberühmt. Der amerikanische Präsident trug den luftigen Hut aus der ecuadorianischen Toquilla-Palmfaser bei seiner Visite der Kanalbauarbeiten am 16. November 1906 in Panama. Das Pressefoto von Roosevelt mit dem Strohhut an dem Jahrhundertbauwerk ging um die Welt, und der Hut hatte seinen irreführenden Namen weg. Natürlich entging dieses Bild auch nicht Teresio Borsalino, seinerzeit Direktor der berühmten italienischen Hutmanufaktur im Piemont. Borsalino bestellte fortan auch in Ecuador. Seither macht der Panamahut internationale Karriere und findet immer wieder Verehrer unter den Prominenten auf der ganzen Welt: Politiker wie Winston Churchill und Erich Honecker liebten ihn genauso wie der Schriftsteller Ernest Hemingway und der Schauspieler Paul Newman. Es heisst, schon Kaiser Napoleon III. habe ihn getragen. Immerhin wird der gebleichte Strohhut schon seit dem 17. Jahrhundert in der ecuadorianischen Küstenprovinz von Manabi und später auch in den Südanden in Cuenca produziert.