
Du kannst doch pfeifen, oder, Steve?
- 29. Mai 2017
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In ihrer ersten Filmrolle an der Seite von Humphrey Bogart und mit nur 19 Jahren wird sie über Nacht zum Star und gleich noch die Ehefrau von «Bogie». Lauren Bacall. Leinwandlegende mit Stil, Klasse, grünen Katzenaugen und der unverkennbaren tiefen, heiseren Stimme.
Als sie in einem Interview gefragt wird, ob sie damals das richtige Aussehen besessen habe, um ein Filmstar zu werden, winkt sie lachend ab: «Niemals, nein. Ich war flachbrüstig, mit zu grossen Füssen und schämte mich zu lächeln, weil meine Zähne schief waren.» Ihre Modelkarriere erklärt sie genauso nüchtern: «Das war Glück. Denn wenn du von der richtigen Person zur richtigen Zeit vor der richtigen Kulisse und mit dem richtigen Licht fotografiert wirst, siehst du okay aus. Ich will nicht sagen, dass ich hässlich war, aber ich war zu jener Zeit auch keine Schönheit.» Entgegen ihrem bescheidenen Selbstbildnis jobbt sie bereits mit 17 Jahren erfolgreich als Model und wird 1942 zur «Miss Greenwich» gekürt. Mit ihrem Talent und ihrer faszinierenden, unglaublich erotischen Ausstrahlung spielt sie in den 50er Jahren in der gleichen Top-Liga wie die Hollywood-Diven Vivian Leigh, Judy Garland, Barbara Stanwyck, Katharine Hepburn, Ingrid Bergman, Joan Crawford und Olivia de Havilland. Über Jahrzehnte hinweg trotzt sie den gesellschaftlichen Regeln der Schauspielzunft, Studio-Bossen und dem Zahn der Zeit. Humorvoll und selbstkritisch, authentisch und schonungslos offen erzählt sie in Interviews mit ungekünstelter Eleganz und perfekt aufeinander abgestimmter Schmuckauswahl über ihr Leben, ihre Triumphe und Abgründe.
Betty will auf die Bühne
Betty Joan Perske wird am 16. September 1924 in New York City geboren. Ihre Eltern William Perske und Natalie Perske, geborene Weinstein-Bacal, sind jüdische Einwanderer und führen ein typisches Mittelstandleben. William, ein Cousin des ehemaligen israelischen Premierministers Shimon Peres, arbeitet als Geschäftsmann, Natalie ist Sekretärin. Als Betty sechs Jahre alt ist, verlässt ihr Vater die Familie, was Betty nicht sonderlich berührt, fühlt sie sich doch stärker zu ihrer Mutter hingezogen. Betty wächst zu einem Teenager heran, der sich selber nicht als hübsch bezeichnet und kein Interesse an Jungs hat. Nachdem sie Bette Davis in einem Film sieht, entbrennt ihre Leidenschaft für die Schauspielerei. «Ich war besessen davon, ein Filmstar zu werden, und wollte auf der Bühne stehen, träumte davon, meinen Namen als Leuchtreklame zu bewundern. Und ich wollte alles dafür tun, um entdeckt zu werden.» Noch als Teenager nimmt sie Tanzunterricht und beginnt mit dem Modeln.
Das grosse Zittern
Ihr Gesicht ist auf dem Cover des prominenten US-Magazins «Harper’s Bazaar» abgebildet, als Nancy Gross, fasziniert von ihrer aussergewöhnlichen Ausstrahlung, begeistert ihren Gatten, den berühmten Hollywood-Regisseur Howard Hawks, dazu drängt, Probeaufnahmen mit der 18-Jährigen durchzuführen. Die erfahrungslose junge Frau überzeugt unter körperlicher Höchstleistung. «Ich leide unter schrecklichem Lampenfieber», erzählt sie in einem Interview, «ich war ein nervöses Wrack. Wenn Scheinwerfer auf mich gerichtet waren, Leute mich anstarrten oder die Klappe fiel, fing mein Körper an, unkontrolliert zu zittern. Sogar mein Kopf bebte, und es gab nur eine Möglichkeit, ihn unter Kontrolle zu halten, indem ich das Kinn fest auf die Brust drückte und sich dadurch die Nackenmuskulatur versteifte, nur so konnte ich das lästige Kopfzittern unterbinden. Aus dieser Perspektive blickte ich Bogie an, und booom war der Look geboren!» Die kecke Haltung mit dem erotisch provozierenden Augenaufschlag sowie ihre tiefe Stimme werden ihr Markenzeichen.
Superstar & Traumpaar
Hawks besetzt 1944 die Rolle der Marie Brown in der Hemingway-Verfilmung «Haben oder Nichthaben» mit der völlig unerfahrenen jungen Betty. «Wie verführerisch kannst du ohne jeglichen sexuellen Hintergrund sein? Aber wenn du eine tiefe Stimme und ein burschikoses Auftreten hast, Howard Hawks deine Dialoge schreibt, dich regiert und richtig beleuchtet, kannst du alles sein.» Hawks ändert ihren Namen Betty in Lauren, setzt der Aussprache wegen noch ein «l» an den Mädchennamen ihrer Mutter und lässt ihre hohe, nasale Stimme wegtrainieren. Für die männliche Hauptrolle im Film möchte sie Cary Grant an ihrer Seite, doch Hawks entscheidet sich für Humphrey Bogart, was ihr, wie sie in ihrem Buch «By Myself» mit «Humphrey Bogart – igitt!» beschreibt, deutlich missfällt.
Entgegen der anfänglichen Antipathie und ihrer jungfräulichen Unschuld besticht sie in der Rolle der Femme fatale und wird mit zwei legendären Szenen in der Filmgeschichte über Nacht ein Star. Als sie während eines Akts im Hotel Hüfte wackelnd zu Humphrey Bogart, der den Seefahrer Steve verkörpert, tänzelt und ihm danach ein hinreissendes, mädchenhaft unschuldiges Lächeln schenkt. Es ist keine Vorgabe des Drehbuchs, sondern sie, die leidenschaftliche Tänzerin, integriert die Szene spontan. Wie sie in einer heissen Flirtszene mit Steve lasziv haucht, er müsse nur pfeifen, wenn er sie haben will: «Du weisst doch, wie man pfeift, oder, Steve?»
Lovestory
Mit ihrem Filmdebüt schlagen gleich zwei Ereignisse in Lauren Bacalls Leben ein: ihre plötzliche Berühmtheit sowie der Beginn einer der schönsten Liebesgeschichten Hollywoods. Noch während den Dreharbeiten zu «Haben und Nichthaben» verlieben sich Lauren und Bogie und heiraten am 21. Mai 1946. Mit ihrer Vereinigung beginnt eine erfolgreiche Serie von Bogart-Bacall-Filmen wie «Tote schlafen besser», «Die schwarze Natter» sowie «Gangster in Key Largo», wobei sie ihr Familienleben mit Bogie und den zwei Kindern priorisiert und deswegen nur einen Film im Jahr dreht. Das Ende der 1950er Jahre wird für Lauren durch Bogies Krebserkrankung zu einer psychischen Dauerbelastung. Als Humphrey Bogart am 14. Januar 1957 an Krebs stirbt, legt Lauren am Tag seiner Beerdigung eine Trillerpfeife in seinen Sarg, in Erinnerung an ihren ersten gemeinsamen Film und den berühmten Satz. Die Witwe und alleinerziehende Mutter legt für drei Jahre ihre Arbeit nieder. «Ich brauchte Jahre, um damit fertigzuwerden. Eigentlich bin ich bis heute nicht über seinen Tod hinweggekommen. Über solche Dinge kommt man nie hinweg.»
Hollywoods Kratzbürste
Sie spielt an der Seite von Schauspielgrössen wie Charles Boyer, Gary Cooper, Doris Day, Kirk Douglas, John Wayne, Rock Hudson, Marilyn Monroe und Gregory Peck und wehrt sich vehement gegen das Verdikt der Warner Bros. Studios, die Schauspieler als Angestellte behandeln und diesen Rollen aufzwingen. Doch in der aufgesetzten, künstlichen Hollywood-Welt, in der die Ohren vor der Wahrheit verschlossen werden, eckt sie an, und so erhält sie nach Bogies Tod weniger signifikante Rollen. Sie widersetzt sich allen gesellschaftlichen Zwängen und Altersvorgaben, dass die Filmbranche nur für jüngere Generationen vorgesehen sei. «Ich liebe meine Arbeit, und ich liebe es zu arbeiten. Arbeit ist wie ein Elixier, sie hält dich lebendig. Ich hasse es, dafür verurteilt zu werden, oder du etwas sein musst, weil du 30, 40, 55 oder 60 bist, das ist total unfair. Weshalb sollen wir uns darauf limitieren? Warum soll Alter verhindern, dass wir die Flügel ausbreiten? Warum soll jemand gezwungenermassen in Rente gehen, wenn er 62 Jahre alt ist?»
Herbstzeitlosen
Zurück in New York feiert sie Erfolge am Broadway und erntet Lob und Auszeichnungen für ihre Rollen in «Die Kaktusblüte» und «Woman of the Year». Bis ins hohe Alter ist sie regelmässig im Kino zu sehen und spielt mit Jack Lemmon, Barbra Streisand, Nicole Kidman, Kirk Douglas, Marcello Mastroianni, Sophia Loren, Julia Roberts, Ben Kingsley oder Moritz Bleibtreu in Filmen wie «Prêt-à-Porter», «Ein Präsident für alle Fälle», «Diamonds», «The Walker», «Die Sopranos». Sie heimst zahlreiche Nominierungen und Auszeichnungen wie den César, Tony Award, National Board of Review Award und Kennedy-Preis ein. In ihrer Dankesrede 2009, als sie im Alter von 85 Jahren mit dem Ehren-Oscar für ihr Lebenswerk geehrt wird, präsentiert sich dem Auditorium eine faszinierende, charismatische und humorvolle Grande Dame. «Yeah! Oh Himmel, ich kann es kaum glauben! Endlich ein Mann!»
Mit dem Tod von Lauren Bacall verabschiedet sich am 12. August 2014 eine der noch wenigen und letzten Leinwandlegenden einer glanzvollen Hollywood-Ära.
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Der Asteroid «(5107) Laurenbacall»
Der Asteroid, der am 24. Februar 1987 vom belgischen Astronomen Henri Debehogne entdeckt wurde, ist am 8. Oktober 2014 Lauren Bacall benannt worden. Besonders hervorgehoben in der Widmung ist ihr Schauspiel aus dem Film «Haben oder Nichthaben» an der Seite ihres Ehemannes Humphrey Bogart.
«Berühmtheit ist kein Beruf, sie ist ein Unfall.»
– Lauren Bacall –
«Wenn es eine Sache gibt, die ich nie war, dann geheimnisvoll. Und wenn es eine Sache gibt, die ich nie getan habe, dann ist es, den Mund zu halten.»
– Lauren Bacall –
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