Drache, Tiger und Kirschblüten – Yakuza
- 10. Oktober 2013
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Mit fast 86 000 Mitgliedern sind sie das grösste organisierte Verbrechersyndikat der Welt und wer ihnen einmal beigetreten ist, gehört für immer ihnen. Die Rede ist von der Yakuza. Es existiert kein einziger Geschäftszweig in Japan, der nicht von ihnen beherrscht wird. In keinem anderen Mafia-Syndikat der Welt identifizieren sich Mitglieder durch ihre Tätowierungen so intensiv mit ihrem neuen Ich. Von Top-Führungskräften und Verwaltungsräten bis hin zu Schauspielern und Superstars zieht sich die eindrucksvolle Mitgliederliste der Yakuza. «Wer einen Taler raubt, wird gehängt; wer ein Land raubt, wird König.» Auch heute noch haftet ein verklärtes Robin Hood-Image an ihnen, denn sie sind barmherzig und kaltherzig, gütig und grausam zugleich. Im Gegensatz zu amerikanischen oder anderen Mafiastrukturen, operieren die japanischen Yakuza nicht aus der Unterwelt. Sie werden als notwendiger Teufel gesehen, durch dessen allmächtige Anwesenheit die Strassenkriminalität eingedämmt wird, denn noch schlimmer als ein organisiertes wiegt ein unorganisiertes Verbrechen.
Oicho-Kabu
Ihren Namen verdanken sie den denkbar schlechtesten Blättern im alten japanischen Kartenspiel Kabufuda: Ya-Ku-Za ist die dialektale Aussprache der Zahlenkombination 8, 9, 3 und gilt als wertlos. Als die Wertlosen der Gesellschaft sehen sich die Yakuza nicht ohne Stolz. Ihr Ursprung wurzelt in der Edo-Periode zwischen 1600 und 1868. – Einer Zeit, in der in Europa in 31 Kriegen um die Vorherrschaft gekämpft wird, Nikolaus Kopernikus seine Theorie vom heliozentrischen Weltbild veröffentlicht und die Welt mit Persönlichkeiten wie Leonardo da Vinci, Niccolò Machiavelli, Michelangelo oder William Shakespeare bereichert wird. Damals sind es Bauern und Handwerker, jedoch vielmehr Kaufleute, die sich aus bitterer Armut oder gepeinigt von Schicksalsschlägen, den Yakuza anschliessen.
Wer sein Land oder Geschäft durch Naturkatastrophen oder das Glücksspiel verloren hat, mittellos in eine neue Stadt flüchtet und auf ein besseres Leben hofft, sieht keinen anderen Ausweg, als bei den Yakuza anzuklopfen. Lieber einen Pakt mit dem Teufel eingehen, als in verdreckten Gassen verhungern. Die Yakuza geben ihnen Arbeit, Unterkunft und Geborgenheit innerhalb ihrer Familienstruktur; Respekt und Anerkennung zollt ihnen die ländliche Bevölkerung.
Yakuza versus Samurai
Die Samurai haben keine kriegerische Beschäftigung mehr zu jener Zeit. Sie verlagern ihr Wirken in den Dienst der Polizei sowie den Schutz der öffentlichen Sicherheit. In der Hierarchie höher gestellt, blicken die »Bushi« herablassend auf die Yakuza, die sie als Möchtegern-Samurai beschimpfen. Erst ab 1926, während der Showa-Zeit, in der Ära des erleuchteten Friedens, die als Blütezeit des japanischen Imperialismus zählt, und vor allem nach der Kapitulation Japans 1945 im Zweiten Weltkrieg erlangen die Yakuza relevanten Einfluss auf die japanische Gesellschaft. In dieser Zeit werden die Strukturen der modernen Yakuza gebildet. Sie organisieren den Schmuggel und Schwarzhandel und erschaffen legale Strategien, um ihre zum Teil illegalen Forderungen durchzusetzen. Als Japan am Ende der Besatzungszeit und mit seiner Anerkennung als souveräner Staat 1952 den Wiederaufbau der Wirtschaft und staatlichen Strukturen forciert, reagieren die Yakuza mit einem Parallelkonzept. Sie erschaffen eigene Wirtschaftszweige und fokussieren sich auf das Glücksspiel und die Bauwirtschaft.
Aufstieg der Yakuza
Die Konflikte und der Kampf um Territorien innerhalb der Yakuza schwelen an und enden in blutigen Bandenkriegen, die der Staat verzweifelt zu unterbinden versucht. Es erreicht damit jedoch, dass sich die Macht der bis heute vorherrschenden drei Gruppen Yamaguchi-gum, Sumiyoshi-kai und Inagawa-kai nicht nur beschleunigt, sondern festigt. Während der Rezession der 1970er-Jahre sowie der Finanzblase der goldenen Achtziger, dringen die Yakuza in die Finanzbranche vor. Der Schmuggel boomt durch die immer stärker werdende Containerschifffahrt. Börsenkotierte Aktiengesellschaften zittern und zahlen sich durch Schutzgelderpressungen. Die Strategien der Yakuza sind hinterhältig und clever. Die Klagen und Einsprüche von Kleinaktionären gegen Geschäftspraktiken und Rechnungsabschlüsse sind Zeit- und Geldfresser und weitaus kostspieliger als «Spenden» an die Yakuza.
Moderne und Tradition
So sehr sie jetzt sogar mit einem öffentlich erhältlichen Werbemagazin, in dem Gedichte und Reportagen zu lesen sind, um neue Anhänger buhlen, schrumpft die Anhängerschaft der Yakuza. Das Magazin der Yamaguchi-gumi ist nur ein verzweifelter Griff nach dem Strohhalm. Die jungen Japaner verspüren keine grosse Lust, den Yakuza beizutreten und sich einer patriarchischen Führungs- und Vaterfigur, dem sogenannten Oyabun oder Paten, zu beugen oder sich ihre Sporen mit niedrigen Arbeiten zu verdienen. Die Yakuza-Gruppen sind wie eine Familie strukturiert, mit dem Oyabun an der Spitze und darunter die Kobun, die Söhnen oder Soldaten. Akihito Akeuchi, ein ehemaliger Yakuza und heute einer ihrer Tätowierer, erzählt in einem Interview: «Es beginnt damit, dass du mit dem Boss Sake trinkst und er dann sagt, dass er von heute an dein Vater ist und du sein Sohn bist. Ich hatte mir das anders vorgestellt, als der Dienstbote der älteren Brüder zu sein. Ich war frustriert, musste Zigaretten holen, sie bewirten und die Aschenbecher leeren. Ich war ein junger, durstiger Soldat, der auf die Strasse wollte, doch stattdessen schenkte ich Tee aus und küsste ihre Hintern.»
Menschen- und Drogenhandel, Prostitution, legale und illegale Inkassogeschäfte, verbotenes Glücksspiel und Schutzgelderpressungen gehören zum täglichen, traditionellen Mafia-Geschäft der Yakuza. Sie operieren auf praktisch jedem Geschäftsgebiet Japans, beeinflussen die Finanzmärkte und haben ihren Wirkungskreis auf die politische Korruption ausgedehnt. Gewalt gilt als ultimativ letzte Instanz.
Zeig mir deinen Körper …
… und ich sage dir, wer du bist. In keiner anderen kriminellen Gruppierung wird die Zugehörigkeit auf so eine markante Weise demonstriert wie bei den Yakuza und den Tätowierungen ihrer Mitglieder. Seit Jahrhunderten ritzen sich Krieger und Gesetzlose ihre Zusammengehörigkeit unter die Haut. Die Bilder auf dem Körper müssen in einer Balance und Harmonie zueinander stehen und so sind Ganzkörpertätowierungen oft spiegelverkehrt gestochen. Alles, was eine Vorderseite hat, beinhaltet auch eine Rückseite. Doch die Tätowierungen der Yakuza zeigen nicht nur wahre Kunstwerke, sondern sagen aus, wie viel Schmerz und Geduld derjenige erträgt, oder bereit ist, für die Yakuza zu ertragen. Bei der traditionellen, japanischen Tätowierkunst «Tebori» werden die spitzen Nadeln, die an Bambusröhrchen stecken, in schnellem Tempo tiefer unter die Haut gerammt als mit den üblichen Tätowiermaschinen. Ein äusserst schmerzhaftes und blutiges Unterfangen, doch die Tätowierung hält länger und die Farben verblassen nicht. Der Drache soll vor Feuer schützen, Chrysanthemen werden einem Toten in kleinen Kaskaden mitgegeben, der Karpfen verwandelt sich in einen Drachen, der Stärke symbolisiert. Die Kirschblüten symbolisieren die Vergänglichkeit des Lebens: Lebe schnell, stirb jung. «Wenn ich irgendwann irgendwo in den Bergen wie ein Hund getötet werde, bin ich vorbereitet. An meinem Körper befinden sich Chrysanthemen.»