Die neue Z-Klasse Kulinarische Entdeckungen in Zeeland
- 1. September 2014
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Jedes Jahr am letzten Donnerstag im März verwandelt sich das kleine Städtchen Zierikzee auf der windzerzausten Insel Schouwen-Duiveland in ein Tollhaus – zumindest für einen Tag.
Schon am frühen Morgen umschwirren Helikopter mit Kamerateams in der angrenzenden Oosterschelde Bucht ein paar unscheinbare, Wimpel geschmückte Bojen, als stünde dort unten jede Sekunde das Auftauchen von Poseidon bevor. Wenig später folgt der Luftaufklärung eine ganze Armada von bis auf den letzten Platz besetzten Muschelkuttern, Schlauchbooten und Ausflugsschiffen. Sogar der Repräsentant des Königs aus Den Haag ist angereist. Das niederländische Frühstücksfernsehen sendet live. In der Provinz Zeeland hat die Hummersaison begonnen.
Hummer aus Skandinavien
Tatsächlich war Zierikzee während des Goldenen Zeitalters einer der wichtigsten Umschlagplätze für die edlen Krustentiere. Da es an der Oosterschelde früher aber weder felsige Küsten noch steinigen Meeresboden gab, in dessen Spalten und Hohlräumen die Hummer hätten Schutz finden können, wurden sie damals für den Handel noch ausschliesslich aus Skandinavien importiert. Umso erstaunter waren lokale Fischer als ihnen 1883 der erste Oosterschelde-Hummer ins Netz ging. Aber wo kamen die Tiere plötzlich her? Eine Legende erzählt, ihre Vorfahren stammten von einem im 18. Jahrhundert vor der zeeländischen Küste mitsamt seiner quicklebendigen Fracht gesunkenen norwegischen Schoner ab. In Wahrheit war die Sache aber wohl weitaus weniger romantisch: Vor rund 150 Jahren begann man, den zeeländischen Küstenabschnitt systematisch mit Deichbauten zu verstärken. Dazu wurden riesige Mengen Stein und Geröll ins Wasser gekippt. Ideale Voraussetzungen also für die Ansiedlung von gepanzerten Einwanderern auf der Suche nach einer geeigneten Unterkunft. Da von der Strömung immer wieder Hummerlarven aus der Nordsee in die Oosterschelde gespült wurden, war es nur eine Frage der Zeit, bis sie unter den veränderten Umweltbedingungen schliesslich heimisch werden konnten. Dabei half auch, dass der Salzgehalt der Bucht durch die zeitgleiche Abschottung vom Süsswasserzufluss der Schelde stark angestiegen war.
Da nach dem Bau der Flutsperren zwischen Oosterschelde und Nordsee nur noch ein geringer Wasseraustausch stattfand, entwickelten die Neuankömmlinge in den nächsten Jahrzehnten ein eigenständiges DNA-Profil, das es so nur beim Oosterschelde-Hummer gibt. Da in kalten Wintern bis heute ein Grossteil der Tiere eingeht, wurde der Genpool immer wieder neu aus den kräftigsten und stärksten Exemplaren aufgebaut. Das sieht und schmeckt man.
Hummer satt
Traditionell werden die ersten aus dem Wasser gehievten Exemplare alljährlich einem besonderen Ehrengast überreicht – quasi als offizieller Startschuss der Saison. In diesem Jahr hat man dazu den deutschen Promi-Koch Alfons Schuhbeck aus München eingeflogen. Und als der feierliche Augenblick endlich gekommen ist und gleich drei leibhaftige niederländische Botschafter in schreiend gelbem Ölzeug die ersten Hummer vom Fischerboot MS3 über die Reling reichen, bricht ein Blitzlichtgewitter los, das jede Oscar-Verleihung in den Schatten stellt. Gestandene Herren, geschmückt mit silbernen Amtsketten und bunten Reversspangen, die sie als Träger königlicher Orden ausweisen, posieren mit stolz geschwellter Brust für die Kameras – die prächtigen Gliederfüssler in den Händen –, als hätten sie sie höchstpersönlich aus dem Wasser gefischt. Der Ehrengast ist nur noch Nebensache. Manchem Anwesenden stehen Tränen der Rührung in den Augen.
Anschliessend heisst es: Hummer satt. Allein auf unserem Schiff, der Frisia, werden innerhalb einer Stunde mehr als 200 der prachtvollen Tiere verputzt und mit einem gut gekühlten Glas Moet oder einer Flasche eigens abgefülltem Hummerweins hinuntergespült.
Im Frühsommer ist Fangzeit
Frei nach Asterix und Obelix könnte man ob dieser Szenen vermuten: die spinnen, diese Zeeländer. So viel Aufhebens wegen ein bisschen Hummer? Allerdings halten nicht wenige Krustentierfans den Osterscheldekreeft seinem engsten Anverwandten, dem Hommarus Gammarus mit seinem charakteristischen blau bis violett-schwarzen Kleid, tatsächlich für geschmacklich überlegen. Und auch wenn die orangefarbenen Applikationen auf dem Panzer des Niederländers im ersten Moment eher an einen ordinären Maine Lobster denken lassen, besticht der Osterschelde-Hummer tatsächlich mit einem besonders milden, leicht süsslichen Geschmack, der uns fast ein wenig an edle Scampi erinnert.
Doch wer diese marine Delikatesse kosten möchte, hat nicht viel Zeit – gefangen werden dürfen die bis zu vier Kilogramm schweren Tiere nämlich nur zwischen dem 1. April und dem 15. Juli. Was danach noch auf der Karte steht, sind Restbestände aus Bassins oder TK-Ware aus Übersee.
Jetzt, im Frühsommer, sind die Reusen, in denen die Tiere, von Köderfischen angelockt, gefangen werden, aber jeden Tag gut gefüllt. Der milde Winter 2013/14 hat die Population geradezu explodieren lassen. Eier tragende Weibchen und kleine Exemplare unter einem Kilo werden wieder ins Wasser zurückgesetzt, um den Bestand nicht zu gefährden. Trotzdem holen die rund zwanzig Hummerfischer der Region pro Tag und Boot bis zu 150 Exemplare aus dem Wasser. Aber das reicht nicht einmal aus, um die heimische Nachfrage zu decken. Ausserhalb Zeelands gibt es den Osterscheldekreeft deshalb auch nur in einer Handvoll Restaurants. Wer diese lokale Delikatesse also kosten will, dem bleibt nichts anderes übrig, als sich selbst auf nach Zeeland zu machen – doch diese Reise lohnt nicht nur wegen des Hummers.
Seafood de luxe
In der Region gibt es eine ganze Reihe hervorragender Meeresspezialitäten. Abgesehen von den berühmten Miesmuscheln – neben dem Oosterscheldekreeft als neuer Z-Klasse am Krustentierhimmel, sozusagen der Beetle unter den Meeresbewohnern – hat Zeeland auch hervorragende Austern zu bieten. Ausserdem feine Herzmuscheln und kleine, salzige Strandschnecken, die man hier in Meerwasser gekocht mit süssem Rosinenbrot verspeist. Aber maritime Spezialitäten gedeihen nicht nur im Wasser. Mehrere Bauern haben sich auf die Zucht von Lamsoor (Standaster) und Zeekraal (Queller) spezialisiert. Diese salzigen Meeresgemüse wachsen am besten in der Nähe zu Brackwasser und nehmen aktiv Meersalz auf, was ihnen einen intensiven Eigengeschmack verleiht.
Während viele den Queller, der an eine Mischung aus Schachtelhalm und filigranem Kaktus ohne Stacheln erinnert, von der heimischen Fischtheke kennen, ist das Lamsoor eine echte zeeländische Spezialität. Sieben von acht in den Niederlanden aktiven Lamsoorbauern findet man in dieser Provinz. Essen kann man die fleischigen Blätter frisch gepflückt und roh als Salat oder kurz mit Schalotten und Butter in der Pfanne geschwenkt. Dann schmeckt das Gemüse ein wenig wie Blattspinat, nur wesentlich subtiler, und behält immer einen knackigen Biss. Seit Neustem werden an der Küste aber auch essbare Algen gezüchtet. Die Mineralien reichen Böden Zeelands sind ideal für den Gemüseanbau, zum Beispiel auf dem Bio-Hof Welgelegen von Ard van de Kreeke, der sich augenzwinkernd einen Google-Farmer nennt, hatte er bis vor wenigen Jahren doch keine Ahnung von der Landwirtschaft, sondern war Topmanager eines Unternehmens für erneuerbare Energien, das mehr als 500 Millionen Franken im Jahr umsetzt. Heute baut er mit seiner Frau und rund 20 Mitarbeitern mehrere Dutzend Sorten Kräuter, Gemüse und essbare Blüten an. Zu seinen Kunden gehören alle Sternerestaurants der Umgebung. Van de Kreekes Erfolgsgeheimnis: Er liefert das, was die Starchefs wollen. Geht nicht kommt in seinem Wortschatz nicht vor. Mehrmals im Monat verwandelt sich seine historische Scheune aus dem 17. Jahrhundert, in der auch ein Hofladen untergebracht ist, in ein rustikales Feinschmeckerrestaurant. Dann wird an einer mehrere Meter langen Tafel ein Vier-Gang-Menü aus lokalen Produkten auf Sterneniveau serviert.