Die Kunst, einen Hocker zu gestalten Max Bill
- 3. Oktober 2014
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Seine Werke verändern die Formensprache und wirken ungebrochen in der Gegenwart. Ob als Maler, Architekt, Gestalter, Designer oder Publizist – Max Bill gehört zu den erfolgreichsten konkreten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Er hat in vielen Disziplinen eine einzigartige Karriere absolviert und er war ein genialer Künstler, der in jeder Disziplin eine Erfüllung fand. Jedoch eine besondere Verbindung hatte er zur Architektur. Wie in seiner Kunst verzichtete Max Bill auch in der Architektur auf das Expressive. Seine Bauten sind gekennzeichnet durch eine zeitlose Form klarer Strukturen, die für die Ansprüche der Nutzer bestimmt sind. Nicht nur das Möbeldesign, sondern auch die Gestaltung von scheinbar unbedeutendem Alltagsdesign befand Max Bill als wesentlich. Das Spektrum reichte von der Patria Schreibmaschine bis hin zu Geschirr und, nicht zu vergessen, den Ulmer Hocker.
Ein Hocker mit Kultstatus
Ob als schlichter Hocker, als aparter Beistelltisch, Nachttisch oder mobile Traghilfe für Bücher und Zeitschriften, der Ulmer Hocker ist ein gern gesehener Klassiker. Er wurde 1954 von Max Bill in Zusammenarbeit mit Hans Gugelot für die Studenten der HfG entworfen. Weil Geld knapp war, schuf man sich Sitzgelegenheiten für die Studierenden selbst. Der Hocker hatte den Vorteil, dass er bei grosser Stabilität leicht zu transportieren war und den Schülern so auch als Tragegestell für ihre Unterlagen diente. Das Design wurde ausschliesslich an der Funktionalität ausgerichtet: Der Rundstab (ursprünglich aus einem Besenstiel) verleiht dem Hocker Stabilität und dient ausserdem als Tragegriff. So kann er vielfältig als Sitzmöbel, Beistelltisch oder Regalelement genutzt werden, aber auch als Transportbehälter, Serviertablett oder Tischaufsatz dienen. Der Ulmer Hocker ist ein gutes Beispiel dafür, dass Not manchmal im besten Sinn erfinderisch macht. In Zusammenarbeit mit Jakob Bill, dem einzigen Sohn von Max Bill, wurde für die bunte Variante eine Farbpalette zusammengestellt, die den Grafiken/konstruktiven Gemälden von Max Bill entnommen wurde. PRESTIGE unterhielt sich mit Jakob Bill über das Schaffen seines Vaters sowie über die Inspiration für den Hocker mit Kultstatus.
Prestige: Max Bill war für viele schwer zu fassen, denn er galt als ein Universalkünstler. Wie haben Sie Ihren Vater wahrgenommen – als Architekt, Künstler oder Gestalter?
Jakob Bill: Da mein Vater in meiner frühen Kindheit zu Hause arbeitete, fand ich seine verschiedenen Tätigkeiten ganz normal.
Wie hat er sich selbst betrachtet?
Wenn man ihn nach seinem Beruf fragte, so gab er immer Architekt an.
Das Schaffen Ihres Vaters wirkt ungebrochen in die Gegenwart. Hat er stets das Ziel vor Augen gehabt, der Welt etwas Bedeutendes zu hinterlassen?
Er war sicher davon überzeugt, etwas Bleibendes zu schaffen. Er hat aber auch andere Personen gefördert, damit diese in gleicher Richtung etwas Neues kreieren.
In welcher Beziehung stand Max Bill zum Züricher Möbelhaus Wohnbedarf?
Mein Vater war seit der Gründung des Wohnbedarfs dabei. Die Wohnbedarf-Schrift geht auf seinen Entwurf zurück. Ebenso schuf er in der Anfangsphase Inserate und Plakate für das Möbelhaus. Seine Möbel sind immer zuerst im Wohnbedarf dem Publikum zum Verkauf angeboten worden, die Verbundenheit bleibt bis über seinen Tod hinaus bestehen.
Was war die Intention hinter der Neuauflage von Dreirundtisch, Quadratrundtisch, Clubtisch, Dreibein- und Kreuzzargen-Stuhl sowie Barhocker?
Die von Max Bill geschaffenen Möbel sind in Funktion und Form durchgestaltet und damit auch zeitlos. Einer Wiederaufnahme der Produktion stand nichts im Wege, insbesondere da immer wieder danach gefragt wurde.
Bei der Re-Edition werden andere Materialien verwendet als beim Originalklassiker. Wäre Ihr Vater damit einverstanden?
Mein Vater war immer interessiert an Verbesserungen der Fertigungstechnik, die er dann nach Möglichkeit auch angewendet hat. Er war aber auch ein ausgesprochener Vertreter des Gedankens an ein gutes Verhältnis von Funktion, Form und Preis/Leistung.
Heutzutage wird das Wort «Design» relativ inflationär verwendet. Wie betrachten Sie die Entwicklung in den letzten Jahren?
Der Begriff «Design» hat ja auch einen Wandel erfahren – er wird oft als Werbemittel eingesetzt und wirbt entsprechend für Modeerscheinungen und nicht für die gute Gestaltung von Produkten.
Vermuten Sie, dass die alten Klassiker immer einen besonderen Stellenwert behalten oder mit der Zeit durch «neue Klassiker» ersetzt werden?
Es gibt sicher auch in Zukunft Produkte, die zu «neuen Klassikern» werden. Das ist eine historische Tatsache, die sich immer wiederholt.
Was ist das Besondere am Designklassiker Ulmer Hocker?
Da ist die Entstehungsgeschichte wichtig. Die Hochschule für Gestaltung musste mit einem Minimum an Mitteln errichtet und möbliert werden. Das meiste wurde in Naturalien gestiftet: Für die Schreinerwerkstatt gab es eine Holzbearbeitungsmaschine mit einer gegebenen Zinkenbreite, die Bretter waren damals nicht astfrei – in den schlimmsten Fällen wurden Holzzapfen eingesetzt. Nun galt es, mit diesem Minimum an Material ein maximales Sitz- und Arbeitsgerät herzustellen. Entstanden ist der Ulmer Hocker aus drei Brettern und einem Besenstiel als Traverse/Fussauflage/Tragestange. Der Hocker diente in der Folge zum Sitzen in zwei Sitzhöhen, als Lesepult (auf einem Tisch) oder zum Herumtragen von Utensilien wie Bücher oder Ordner. Dies hat auch weitgehend die Dimensionen bestimmt.
Welchen Zusammenhang gibt es zwischen den Farben der neuen Re-Edition des Ulmer Hockers und der Farbpalette Ihres Vaters?
Die neuen, farbigen Hocker beziehen sich auf die Farben eines Siebdruckes, den mein Vater für das Wohnbedarf-Jubiläum 1992 geschaffen hat. Um möglichst klare Farben zu erhalten, war es nötig, auch die darunter liegende Holzart zu ändern. Ursprünglich waren ja alle Hocker naturbelassen, aber mehrere Studenten färbten ihre Hocker individuell ein. Diese tauchen nun manchmal auch bei Design-Verkäufen auf.
Was hat Ihr Vater Ihnen mit auf den Weg gegeben?
Ich bin von beiden Elternteilen mit Ideen versehen worden.