
Die Hauptstadt der Künstler – Berlin
- 10. Juli 2012
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Wenn es um Kreativität geht, kann es Berlin mit jeder anderen Metropole der Welt aufnehmen. Nirgendwo sonst entsteht aufregendere Kunst oder kommt radikaleres Theater auf die Bühne. Berlin ist die Stadt der Lebenskünstler und Künstler. Der Übergang ist dabei oft fliessend: Fest steht jedoch, dass mehr als 6000 professionelle Künstlerinnen und Künstler in der Hauptstadt Deutschlands malen, bildhauern und performen.
Ob illegale Street Art, raumgreifende Installationen, provokante Aktionskunst oder Gemälde mit schnellem Strich – in Berlin gibt es alles. In den vergangenen Jahren ist die Hauptstadt zu einem Mekka der zeitgenössischen Kunst geworden. Die Stadt ist inspirierend für Künstler und aufgrund der günstigen Lebenshaltungskosten sehr beliebt bei Kunstschaffenden aus der ganzen Welt. Hier entsteht die junge Kunst von heute, die vielleicht schon morgen in die grossen Sammlungen aufgenommen wird. Starkünstler wie Olafur Eliasson und Thomas Demand leben in Berlin, Otto Dix und Max Beckmann fingen das Gesicht der Stadt früher ein. Für viele ist Berlin das New York der 80er-Jahre. Hier werden Trends geprägt, wird experimentiert und mutig in jede Nische gesprungen. Wie schon der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit sagte: «Berlin ist arm, aber sexy!»
Künstlerkommunen
Künstler sind Egomanen – soweit das Klischee. Und wie alle Klischees wurzelt es in der Wirklichkeit. Doch auch die grössten Egos sind nicht immer als Einzelkämpfer unterwegs. An vielen Stellen in der Stadt haben sich Atelierhäuser und Gemeinschaften gegründet, denn Zusammenarbeiten bringt Synergieeffekte. Nützlicher Nebeneffekt für Kunst-Fans: Oft gibt es Tage der offenen Tür, an denen man durch die Ateliers streifen kann. Neben Berlin Mitte ist Charlottenburg heute eins der Zentren der Berliner Galerienszene. Rund dreissig Galerien ballen sich zwischen Mommsenstrasse, Kurfürstendamm und Fasanenstrasse. Kunsthandwerk und Kunsthandel haben in diesem Viertel eine lange Tradition. Zuzüge aus anderen Städten wie München und Köln beleben die Szene. An der Potsdamer Strasse liegt ein Hort der Kunst: das «Freie Museum Berlin». Eine Gruppe Kunstschaffender hat das Haus im Juli 2009 in Eigeninitiative eröffnet: In einer alten Fabrik aus dem 19. Jahrhundert sind auf 1300 Quadratmetern Atelier-, Archiv- und Ausstellungsräume entstanden. Den Machern geht es darum, die klassischen Grenzen zwischen Künstler, Kurator und Galeristen aufzubrechen. Einmal im Monat findet ein Salon statt, zu dem neben bildenden Künstlern auch Schriftsteller oder Politiker eingeladen werden.
Eine weitere Kulturstätte ist das Kunsthaus Tacheles in der Oranienburger Strasse in den Ruinen eines ehemaligen Kaufhauses. Das Gebäude war Teil einer Passage, die von 1907 bis 1909 erbaut wurde. Das prachtvoll gestaltete Warenhaus war einer der letzten grossen Passagenbauten Europas. 1943 wurde es von Bomben getroffen und schwer beschädigt, sodass es Anfang der 80er-Jahre zum Teil gesprengt wurde. Die Künstlerinitiative Tacheles besetzte die Ruine 1990 und schaffte es, dass sie unter Denkmalschutz gestellt wurde. Das Gebäude ist ein beliebtes Fotomotiv für Touristen, die den immer mehr der Vergangenheit angehörenden Ruinen-Charme Berlins dokumentieren wollen. Im Tacheles können Werke zeitgenössischer Künstler betrachtet werden. Zudem bietet es einem Forum der experimentellen Theaterszene und 20 Ateliers und Werkstätten ein Zuhause.
Kreativmetropole mit Schuss
Das Tacheles ist ein Sinnbild der Stadt Berlin. Aus einer zum Abriss freigegebenen Ruine entstand hier ein Ort der Kreativität. Doch nicht nur Maler und Bildhauer fühlen sich in Berlin pudelwohl, auch das literarische Leben der Stadt war schon immer vielfältig und bewegt. So wohnen heute Hunderte Literaten in der Stadt – vom völlig unbekannten Surf-Poeten aus der Off-Szene bis zum etablierten Nobelpreisträger. Seit dem Mauerfall strömen immer mehr erfolgreiche Künstler aus allen Teilen der Welt nach Berlin. Die meisten kommen, weil die anderen schon da sind. Stars der Szene wie Thomas Demand, Angela Bulloch oder Ann-Sofi Siden. Sie kombinieren niedrige Lebenshaltungskosten mit reichlich Raum und Zeit für die eigene Arbeit. Denn genau dafür liefert Berlin die idealen Voraussetzungen. Langweilig wird es in dieser Stadt nie. Eher gilt das Motto: «Wer die Wahl hat, hat die Qual.» Rund 180 Museen, zahlreiche Galerien, hochkarätige Ausstellungen und renommierte Auktionshäuser: Berlin ist ein Paradies für die Kunst. Die Berliner Museumslandschaft ist so lebendig wie Berlin selbst: Neue Museen entstehen, historische Häuser werden meisterhaft saniert und Sammlungen erhalten ein zeitgemässes Gesicht unter neuem Dach.
Gratis-Kunstgenuss
Kunst im öffentlichen Raum in Berlin ist so vielfältig wie die Stadt selbst: Temporäre Installationen, drop sculptures, Denkzeichen oder Konzeptkunst machen Berlin zu einer sich ständig wandelnden Open-Air-Galerie – und das Beste: Der Rundgang ist absolut gratis! Einige dieser Kunstwerke sind zu Berliner Wahrzeichen geworden, wie die gerade erst von den Künstlern wieder frisch bemalte East Side Gallery oder auch die riesigen Molecule Men an den «Treptowers» in der Spree. Andere wollen mit wachen Augen entdeckt werden. So wie die glänzende blaue Skulptur auf dem Marlene-Dietrich-Platz. Sie erinnert an die Luftballons, die sich durch Verknoten und Drehen zu eigenartigen Gebilden formen lassen. Eindeutig erkennt man an der Skulptur «Balloon Flower» die Handschrift des amerikanischen Künstlers Jeff Koons. Die Plastik gehört zu einer Reihe von weiteren Kunstwerken internationaler Künstler auf dem Potsdamer Platz aus der Daimler Kunst Sammlung, darunter Jean Tinguely, François Morellet, Nam June Paik, Mark di Suvero, Keith Haring, Auke de Vries und Robert Rauschenberg. Alle Skulpturen wurden bewusst für die Aufstellung auf öffentlichen Plätzen entworfen.
Für öffentliche Kunst im Ostteil der Stadt steht unter anderem ein Trabant, der dank geschickter Maltechnik scheinbar den Beton durchbricht. Honecker und Breschnew beim sozialistischen Bruderkuss – mit der East Side Gallery wurde ein Stück der Berliner Mauer zur längsten Open-Air-Galerie der Welt. Die Kunstmeile am Spreeufer in Friedrichshain ist mit 1316 Metern gleichzeitig der längste zusammenhängende Mauerabschnitt, der noch steht. Gleich nach dem Mauerfall wurde die East Side Gallery von 118 Künstlern aus 21 Ländern bemalt. Die Künstler kommentierten in gut hundert Gemälden auf der ehemaligen Ostseite der Mauer mit den unterschiedlichsten künstlerischen Mitteln die politischen Veränderungen der Jahre 1989/90. Im Laufe der Jahre waren viele Bilder der East Side Gallery stark verwittert. 2009 wurden 40 dieser angegriffenen Bilder restauriert.
Strassenkunst
Eine ganz besonders in Berlin ausgeprägte Kunstgattung in der deutschen Hauptstadt ist die sogenannte «Street Art». Längst haben sich die Stars der Szene auch international einen Namen gemacht: Ihre Leinwände sind Fassaden und Hauseingänge, Mauern und ganze Gebäude. In und um die Rosenthaler Strasse in Berlin Mitte, dem Szeneviertel der Stadt, findet man jede Menge Street Art, von diversen Künstlern und in verschiedenen Styles. Von sogenannten «Cut-Outs, Postal- und Marker-Stickern» bis zu gesprühten wie Graffiti oder Stencils, die einfach überall, wo es einigermassen möglich ist, aufgeklebt oder aufgesprüht werden. Hier findet man auch Werke von dem bekannten britischen Artist Banksy oder auch von der Gruppe The London Police. In Kreuzberg finden sich Street-Art-Werke nicht ganz so oft wie in Mitte, daher muss man schon etwas genauer hinschauen, aber es lohnt sich, mal die Oranienstrasse und die Adalbertstrasse auf und ab zu gehen. Denn das Besondere liegt oft im Verborgenen. Gerade deshalb sind sich Künstler, Kunstliebhaber, Berliner, Zugereiste und Touristen einig und singen gemeinsam ein Loblied auf diese Stadt.
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Mein Milljöh
Als Heinrich Zille um 1900 in der Reichshauptstadt seine Karriere als Zeichner startete, waren die Meinungen über den neuen Stern am Satire-Himmel geteilt. Die Vertreter und Nutzniesser des offiziellen Kunstgeschmacks à la Wilhelm II. rümpften die Nasen, sprachen von Abschaum und Gosse. Und zitierten ihren kaiserlichen Herrn und Auftraggeber, der die damals nicht mehr zu stoppende sozialkritische Moderne als «Rinnsteinkunst» verteufelte und forderte, Kunst möge erheben und nicht herabziehen, schliesslich gebe es schon genug Elend. Zwischen Wedding und Kreuzberg, «zweeter Ufjang, vierta Hof/ wohnen deine Leute». Mit diesen Zeilen umreisst Kurt Tucholsky 1929 das Wirkungsfeld Heinrich Zilles, der in seinen Arbeiten so treffend wie kaum ein Zweiter Leben und Elend der Berliner Grossstadtbewohner darstellte – das sogenannte «Milljöh». Doch Heinrich Zille, der für Zeitschriften wie «Jugend» und «Simplicissimus» arbeitete, entdeckte noch im schlimmsten Elend einen Lichtstrahl, in der dunkelsten Hinterhofecke eine mickrige Blume. Allerdings: Seine Bilder gingen nie so weit, die Herrschaftsverhältnisse und insbesondere das autoritäre Gehabe Wilhelms II. direkt anzugreifen.