
Die Schweizer Alpen-Schatulle
- 3. Januar 2018
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Flächentechnisch betrachtet liegt sie auf Platz 133. Sie ist zwar eher klein, aber dennoch «oho», und was den Alpen-Tourismus betrifft, ist sie die unschlagbare Nummer eins. Denn hier, in den Schweizer Alpen, zwischen 6125 Bergen ab 2000 Meter Höhe, entwickelte sich der erste Luxus-Tourismus. Um genau zu sein vor 230 Jahren.
Es sind Faktoren wie Freiheit und Demokratie, Frieden und Eintracht, Glück und Einfachheit, die in der Luft flirren und von denen man glaubt, die Alpen verkörperten sie am schönsten. Werte in einer Gegend, die eine magische Anziehung ausübt. Spürbare Stille, umflutet von mächtigen, schneebedeckten Gipfeln einer kraftvollen Natur; verschobenes und getürmtes graues Granitgestein, schroffe Felsen, steil abfallende Wände, schwindelerregende Höhe. Sattgrüne Wiesen tiefgelegener Täler, die zwischen den Bergen ruhen, die allen Witterungen trotzen und beständig sind, Stärke vermitteln. Und so ewig wie die majestätischen Wächter der Natur wird die Eidgenossenschaft zum Sinnbild für wahre und ewige Werte. Neugier, Pioniergeist sowie der im Menschen schlummernde Drang, die Natur zu bezwingen, stellen die Weichen für ein «Projekt», das vor dem Ersten Weltkrieg seine Glanzzeit feiert, und die Annahme, der Tourismus der Schweizer Alpen gründe auf Schnee und Skifahren, Lügen straft.
Der Verschmähte
300 Jahre dauert es, bis dem Genfer Schriftsteller, Philosophen, Pädagogen, Naturforscher, Komponisten der Aufklärung und Wegbereiter der Französischen Revolution, Jean-Jacques Rousseau, am 28. Juni 2012 die offizielle Anerkennung der Schweiz gezollt wird. Ein bewegtes, künstlerisch und politisch intensives Leben prägt Rousseau, der sein Umfeld genauso beeinflusst. Er ist nicht nach jedermanns Geschmack, und obwohl auch durch die Schweiz schikaniert, spielt er hinsichtlich des Images der Schweiz im 18. Jahrhundert, das er in ganz Europa und vor allem mit seinem Bestseller «Julie oder Die neue Héloïse» popularisiert, eine entscheidende Rolle. Es ist ein Buch in Briefform, das 1761 erscheint und in dem er ein idyllisches Bild der Walliser Bergbevölkerung zeichnet. In einem späteren Briefwechsel mit Charles François de Montmorency, einem seiner Beschützer, beschreibt er ihm seine Vision der Schweiz: «Die Schweiz ist wie eine grosse Stadt, aufgeteilt in dreizehn Quartiere, von denen die einen in Tälern sind, andere auf Anhöhen und noch andere auf Bergen. Man glaubt nicht mehr, Einöden zu durchqueren, wenn man Kirchtürme zwischen den Tannen findet, Viehherden auf den Felsen, Fabriken in den Abgründen, Werkstätten auf den Bächen.» Was Rousseau ironisiert verfasst, verstärkt die Schwärmerei, die in Europa für die Schweiz entstanden ist.
Grand Tour
Nebst den Erzählungen Rousseaus sind es Reiseberichte, Reiseführer, Romane, Gemälde, Stiche und Skizzen, die mit ihrer vielfältigen Verbreitung den Lockruf in die Schweizer Berglandschaft verstärken. Während der Bildungsreise «Grand Tour», auf der junge aristokratische Engländer Frankreichs Städte, Italien, Deutschland und die Niederlande entdecken, ist die Schweiz zu Beginn lediglich eine obligatorische Etappe auf der Reise nach Italien. Doch die starre Struktur der Reiseroute lockert sich, junge Leute aus gutbürgerlichen Häusern brechen zur Tour auf, und die Schweiz wird Ende des 18. Jahrhunderts mit ihrer pittoresken Natur, der Erhabenheit und Schönheit der Berge selbst zum Reiseziel. Gelehrte wie Horace-Bénédict de Saussure, Jean-André Deluc und Déodat de Dolomieu erforschen die Alpen, und inspiriert von Johann Wolfgang von Goethe und Lord Byron reisen die ersten Touristen in die Schweiz. Zwischen 1780 bis 1840 bricht eine regelrechte Sucht aus, als Schriftsteller, Maler, Adlige und neureiche Bürgerliche in die Schweiz strömen.
Alpenzauber
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt sich die touristische Infrastruktur, werden geeignete Verkehrsmittel wie Bergbahnen in Betrieb genommen und an landschaftlich reizvollen Plätzen wahre Hotelpaläste erbaut. Die Erkundung der Alpen und das Bezwingen ihrer Gipfel werden mit kulturellen und sportlichen Aktivitäten ergänzt, und Casinos, Kursäle, Restaurants, Boutiquen und Theater sorgen für Vergnügen und Zerstreuung. Kurhäuser und medizinische Einrichtungen, Sanatorien und Bäder für Erholungs-und Pflegebedürftige werden eröffnet. Die antike Badekultur der Schweiz reicht Jahrhunderte zurück und umfasst zahlreiche Thermen von Baden, Lostorf, Yverdon-les-Bains, die Mineralquelle von St. Moritz, Leukerbad, Gurnigelbad oder Schinznach Bad.
Die grosse Blütezeit der Bäder sowie des Alpentourismus dauert bis zum Ersten Weltkrieg 1914, danach hemmen zahlreiche Faktoren, wie die schlechte Wirtschaftslage, sinkende Einkommen, Wechselkurse und Hürden bei der Einreise, den Tourismus. Mit der der Konjunktur in den 20er Jahren bereisen unternehmungslustige in- und ausländische Touristen aber wieder vermehrt die Schweiz, die als Sommer- und auch Winterziel immer beliebter wird.
Schweizer Alpen-Club
Gegründet wird der Verein, der heute 152 Berghütten betreibt, 1863 von Rudolf Theodor Simler im Bahnhofbüffet in Olten. Der Zürcher ist Dozent für Chemie und Geologie an der Universität von Bern und will die boomende Eroberung der Alpen nicht den Ausländern allein überlassen, sondern die Förderung des Bergsteigens und die Erforschung des Alpenraums sicherstellen. Der Verein, der sich im 19. Jahrhundert als Verein der bürgerlichen Elite versteht, baut noch im Gründungsjahr die Grünhornhütte in den Glarner Alpen.
Kronjuwelen und Pelze
Glanz und Glamour prägen auch heute noch hochkarätige Orte wie Gstaad oder St. Moritz, wo 1856 das erste Luxushotel gebaut wird, 1878 das erste elektrische Licht der Schweiz flackert, 1882 die erste Eislauf-Europameisterschaft, 1907 das weltweit erste Pferderennen und 1985 das erste europäische Poloturnier auf einem gefrorenen See stattfindet. Wie zu den Anfängen des alpinen Tourismus, als der europäische Adel die Gipfel erklimmt und das heilende Wasser der Thermalbäder geniesst, zieht es seit jeher berühmte Persönlichkeiten wie auch Filmstars, Rocklegenden, weltberühmte Sänger und gekrönte Häupter in die Schweizer Bergwelt. Unter ihnen einst auch Aga Khan, Charlie Chaplin, Audrey Hepburn, Elizabeth Taylor, Aristoteles Onassis oder Alfred Hitchcock – ein Stelldichein einer Elite aus Schauspielern, Künstlern und kosmopolitischem Geldadel mit schweren Pelzen und funkelnden Juwelen. Eine Elite, die nicht einem Trend der Neuzeit entspringt, sondern eine jahrhundertealte Tradition ist.
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