
Die Macht der Symmetrie
- 21. Juli 2021
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Der deutsche Künstler Ralph Hasenohr widmet sich in seinem Kunstprojekt «TWINS» der Symmetrie und ihre Wirkung auf ihre Betrachter.
PRESTIGE: Herr Hasenohr, was ist TWINS?
RALPH HASENOHR: TWINS handelt von Symmetrie, Schönheit und Gerechtigkeit. Manche Dinge erachten wir als schön, andere nicht. Manches ist einzigartig und besonders, anderes scheint gewöhnlich und unbedeutend. Am Anfang von TWINS stand die Frage, ob das einfache Spiegeln von Dingen und die so entstehende Symmetrie diese Eindrücke verstärkt oder ob sie eher ausgleichend wirkt.
Und was ist das Ergebnis?
Symmetrie gleicht aus und sie schafft eine gemeinsame Ebene. Und zwar dadurch, dass sie weniger schöne Dinge schön macht. Das liegt daran, dass Symmetrie eine Art von Perfektion ist. Wir empfinden ein Gesicht, das sehr symmetrisch ist, schöner als ein unsymmetrisches. Das Gleiche passiert bei Gegenständen, Landschaften, Architektur. Ein an sich schon schönes Gebäude, ein Opernhaus zum Beispiel, wird durch Symmetrie noch schöner, aber auch der kleine, nicht sehr attraktive Kiosk am Eck wird durch das Spiegeln perfekt. Jedes Stück abgeblätterte Farbe, jede zusammengeknüllte Zigarettenschachtel, jeder Buchstabe der Neonreklame wird in der exakt gleichen Anordnung wiederholt. Der Kiosk kann sich nun neben dem Opernhaus sehen lassen, Symmetrie stellt eine Art Gerechtigkeit her.
Wieso Gerechtigkeit?
Wenn etwas gerecht ist, hält es in gewissem Sinne die Waage. Zu etwas anderem, aber auch zu seinem Umfeld. Eine Waage ist auch eine Art der Symmetrie. Sie tariert exakt aus, keine Seite darf mehr Gewicht haben als die andere. Und genau das passiert beim Spiegeln. Spiegeln schafft ein Gleichgewicht innerhalb eines einzelnen Motives, aber auch innerhalb aller Motive. «Symmetrie» bedeutet im Altgriechischen ja «zusammen», und bei TWINS kommen alle Dinge gewissermassen zusammen. Mit «innerhalb eines Motives» meine ich, dass man oftmals nicht mehr erkennen kann, welche der beiden Seiten die reale ist. Was Spiegelung ist und was Wahrheit, ist nicht mehr klar. Das spielt auch mit einem grossen Thema unserer Zeit: Was ist Fake und was ist echt. Und mit der Tatsache, dass wir gerade eine digitale zweite Welt bauen. Die genauso oder noch ungerechter ist wie die echte.
Wie entstehen TWINS?
Die grundlegende, pure Idee ist, aus einem normalen Foto einen TWIN zu machen. Dafür ist ganz wichtig, beim Fotografieren nie das Erstellen eines TWINS im Kopf zu haben. Sonst würde man das Motiv oder den Bildausschnitt schon so wählen, dass daraus ein interessanter oder schöner TWIN ensteht. Ich will aber die Realität spiegeln, und Realität ist nichts Konstruiertes. Daher spielt der Zufall eine ganz wichtige Rolle. Ich mache auf Reisen sehr viele Fotos. Ich benutze dafür immer das jeweils aktuelle iPhone. Ich will nicht, dass Technik, der Akt des Fotografierens wichtig wird. Das iPhone ist eine Art Alltagsgegenstand, der die Realität unmittelbar einfängt. Ungestellte, manchmal unerwartete Szenen beim Gehen durch eine fremde Stadt, beim Beobachten von Situationen. Diese Fotos durchforste ich nach der Reise und überlege dann, aus welchen ich einen TWIN machen kann.
Sind Reisen dafür wichtig?
Ausserhalb der gewohnten Umgebung hat man einen anderen Blick auf Dinge. Ich finde in Los Angeles oder Melbourne Dinge cool, die ich – würde ich dort wohnen – wohl ganz normal finden würde. Und, auch eine Art von Symmetrie: man vergleicht. Die Gehsteige dort mit denen zuhause, auf ihnen abgestellte E-Scooter dort und zuhause. Man entdeckt zuerst die Unterschiede, dann aber viele Gemeinsamkeiten. Und was durch das Fotografieren alltäglicher Dinge am anderen Ende der Welt passiert ist: Ich gehe jetzt mit viel offeneren Augen durch meine Umgebung zuhause.
Werden die Fotos bearbeitet?
Bei den originalen TWINS lege ich vor einer Reise einen Filter fest, mit dem ich dann die ganze Reise hindurch fotografiere. Weil dieser meine Erwartungen an einen Ort verstärkt. Bisher hat das auch immer wunderbar funktioniert. Und er verfälscht nicht die Realität, die für die TWINS wichtig ist. Eine Müllhalde bleibt eine Müllhalde, daran ändert ein Farbfilter, wenn er nicht zu dominant ist, nichts. Aber Symmetrie. Dann wird die Müllhalde plötzlich zu einem Kunstwerk.
TWINS zeigen oft Architektur und Landschaften…
Die ursprünglichen, puren ja. Ein einzelnes Objekt zu zeigen ist dafür oftmals zu abgeschlossen, zu fertig. Die Geschichte ist sozusagen zu Ende erzählt. Ich mag aber, wenn der Betrachter selbst auf eine Reise geht. In einem TWIN unterwegs ist. Ich glaube, TWINS ist etwas für Erwachsene. Wenn man schon viel erlebt hat, taucht man in so ein Kunstwerk ganz anders ein. Durch Erinnerungen an ähnliche Orte, durch Fragen, die man sich stellt: Wohin führt diese Strasse? Was passiert hinter dieser Ecke? Ein TWIN ist dann wie eine Leinwand, eine Theaterkulisse für die eigenen Gedanken.
Warum «ursprüngliche, pure TWINS»?
Sie sind der Anfang, der Urprung des Projektes. Ich habe es aber weitergedacht, geöffnet. Was passiert, wenn man die puren TWINS bearbeitet? Wenn man eine zweite Ebene hinzufügt? Indem man zum Beispiel mit Farbflächen arbeitet, die beide Seiten verbindet. Und zwar nur fast symmetrisch. Beide Seiten sind nicht exakt identisch. Aus der perfekten Symmetrie, die als Basis dient, entsteht so ein ganz neues Einzelstück, für sich und in sich nicht mehr ganz ausgewogen. Es bekommt eine zweite Identität.
Gibt es weitere Ideen, was sind die Pläne für die Zukunft?
Es gibt schon weitere Serien. Die Serie «Beautiful Death» zeigt anhand von toten Tieren, dass selbst etwas so Extremes, Trauriges, Tragisches durch Symmetrie wunderschön sein kann.
«Dos Angeles» spielt mit Fotos aus Los Angeles, bei denen zwei Fotos ineinanderbelichtet werden oder positive und negative Aufnahmen ein und des selben Fotos zusammengebaut werden. «ROMA:AMOR» wird ein Projekt, bei dem ich Fotos aus einem Dokumentarfilm über Rom verwenden werde, den ich aus Versehen gelöscht habe und von dem es nur noch diese Screenshots gibt. So bekommt TWINS eine zusätzliche zeitliche Dimension – als würde man die Vergangenheit zurückholen.
Und, was im Moment und in Zukunft sehr spannend ist: Das Entstehen eines ganz neuen Kunstmarktes im Netz durch sogenannte NFTs, die auf Kryptotechnologie basieren. Durch das Beschäftigen mit dieser neuen Technologie sind ganz neue visuelle Ideen für TWINS entstanden, die im Idealfall dann aus dem Internet in echte Galerien und an echte Wände transportiert werden können. Was wieder eine Art Spiegelung von einer Welt in eine andere wäre. Und alles wäre wieder symmetrisch.
Anfragen zu den Kunstwerken über die Galerie
UNVEILED ART, München, Telefon +49 175 244 65 85
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